Friedrich Schiller Der Spaziergang. 6 Sei mir gegrüßt, mein Berg mit dem röthlich strahlenden Gipfel! 6 Sei mir, Sonne, gegrüßt, die ihn so lieblich bescheint! 6 Dich auch grüß' ich, belebte Flur, euch, säuselnde Linden, 5 Und den fröhlichen Chor, der auf den Ästen sich wiegt, 6 Ruhige Bläue, dich auch, die unermeßlich sich ausgießt 5 Um das braune Gebirg, über den grünenden Wald, 5 Auch um mich, der, endlich entflohn des Zimmers Gefängniß 5 Und dem engen Gespräch, freudig sich rettet zu dir. 6 Deiner Lüfte balsamischer Strom durchrinnt mich erquickend, 5 Und den durstigen Blick labt das energische Licht. 6 Kräftig auf blühender Au erglänzen die wechselnden Farben, 5 Aber der reizende Streit löset in Anmuth sich auf. Frei empfängt mich die Wiese mit weithin verbreitetem Teppich; Durch ihr freundliches Grün schlingt sich der ländliche Pfad. Um mich summt die geschäftige Bien', mit zweifelndem Flügel Wiegt der Schmetterling sich über dem röthlichten Klee. Glühend trifft mich der Sonne Pfeil, still liegen die Weste, Nur der Lerche Gesang wirbelt in heiterer Luft. Doch jetzt braust's aus dem nahen Gebüsch: tief neigen der Erlen Kronen sich, und im Wind wogt das versilberte Gras; Mich umfängt ambrosische Nacht; in duftende Kühlung Nimmt ein prächtiges Dach schattender Buchen mich ein. In des Waldes Geheimniß entflieht mir auf einmal die Landschaft, Und ein schlängelnder Pfad leitet mich steigend empor. Nur verstohlen durchdringt der Zweige laubigtes Gitter Sparsames Licht, und es blickt lachend das Blaue herein. Aber plötzlich zerreißt der Flor. Der geöffnete Wald gibt Überraschend des Tags blendendem Glanz mich zurück. Unabsehbar ergießt sich vor meinen Blicken die Ferne, Und ein blaues Gebirg endigt im Dufte die Welt. Tief an des Berges Fuß, der gählings unter mir abstürzt, Wallet des grünlichten Stroms fließender Spiegel vorbei. Endlos unter mir seh' ich den Äther, über mir endlos, Blicke mit Schwindel hinauf, blicke mit Schaudern hinab. Aber zwischen der ewigen Höh' und der ewigen Tiefe Trägt ein geländerter Steig sicher den Wandrer dahin. Lachend fliehen an mir die reichen Ufer vorüber, Und den fröhlichen Fleiß rühmet das prangende Thal. Jene Linien, sieh! die des Landmanns Eigenthum scheiden, In den Teppich der Flur hat sie Demeter gewirkt. Freundliche Schrift des Gesetzes, des menschenerhaltenden Gottes, Seit aus der ehernen Welt fliehend die Liebe verschwand! Aber in freieren Schlangen durchkreuzt die geregelten Felder, Jetzt verschlungen vom Wald, jetzt an den Bergen hinauf Klimmend, ein schimmernder Streif, die Länder verknüpfende Straße; Auf dem ebenen Strom gleiten die Flöße dahin. Vielfach ertönt der Heerden Geläut' im belebten Gefilde, Und den Wiederhall weckt einsam des Hirten Gesang. Muntre Dörfer begrenzen den Strom, in Gebüschen verschwinden Andre, vom Rücken des Bergs stürzen sie gäh dort herab. Nachbarlich wohnet der Mensch noch mit dem Acker zusammen, Seine Felder umruhn friedlich sein ländliches Dach; Traulich rankt sich die Reb' empor an dem niedrigsten Fenster, Einen umarmenden Zweig schlingt um die Hütte der Baum. Glückliches Volk der Gefilde! Noch nicht zur Freiheit erwachet, Theilst du mit deiner Flur fröhlich das enge Gesetz. Deine Wünsche beschränkt der Ernten ruhiger Kreislauf, Wie dein Tagewerk, gleich, windet dein Leben sich ab! Aber wer raubt mir auf einmal den lieblichen Anblick? Ein fremder Geist verbreitet sich schnell über die fremdere Flur. Spröde sondert sich ab, was kaum noch liebend sich mischte, Und das Gleiche nur ist's, was an das Gleiche sich reiht. Stände seh' ich gebildet, der Pappeln stolze Geschlechter Ziehn in geordnetem Pomp vornehm und prächtig daher. Regel wird Alles, und Alles wird Wahl und Alles Bedeutung; Dieses Dienergefolg meldet den Herrscher mir an. Prangend verkündigen ihn von fern die beleuchteten Kuppeln, Aus dem felsigten Kern hebt sich die thürmende Stadt. In die Wildnis hinauß sind des Waldes Faunen verstoßen, Aber die Andacht leiht höheres Leben dem Stein. Näher gerückt ist der Mensch an den Menschen. Enger wird um ihn, Reger erwacht, es umwälzt rascher sich in ihm die Welt. Sieh, da entbrennen in feurigem Kampf die eifernden Kräfte, Großes wirket ihr Streit, Größeres wirket ihr Bund. Tausend Hände belebt ein Geist, hoch schläget in tausend Brüsten, von einem Gefühl glühend, ein einziges Herz, Schlägt für das Vaterland und glüht für der Ahnen Gesetze; Hier auf dem theuren Grund ruht ihr verehrtes Gebein. Nieder steigen vom Himmel die seligen Götter und nehmen In dem geweihten Bezirk festliche Wohnungen ein; Herrliche Gaben bescherend erscheinen sie: Ceres vor allen Bringet des Pfluges Geschenk, Hermes den Anker herbei, Bacchus die Traube, Minerva des Ölbaums grünende Reiser, Auch das kriegrische Roß führet Poseidon heran, Mutter Cybele spannt an des Wagens Deichsel die Löwen, In das gastliche Thor zieht sie als Bürgerin ein. Heilige Steine! Aus euch ergossen sich Pflanzen der Menschheit, Fernen Inseln des Meeres sandtet ihr Sitten und Kunst, Weise sprachen das Recht an diesen geselligen Thoren; Helden stürzten zum Kampf für die Penaten heraus. Auf den Mauern erschienen, den Säugling im Arme, die Mütter, Blickten dem Heerzug nach, bis ihn die Ferne verschlang. Betend stürzten sie dann vor der Götter Altären sich nieder, Flehten um Ruhm und Sieg, flehten um Rückkehr für euch. Ehre ward euch und Sieg, doch der Ruhm nur kehrte zurücke; Eurer Thaten Verdienst meldet der rührende Stein: »Wandere, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest »Uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl.« Ruhet sanft, ihr Geliebten! Von eurem Blute begossen, Grünet der Ölbaum, es keimt lustig die köstliche Saat. Munter entbrennt, des Eigenthums froh, das freie Gewerbe, Aus dem Schilfe des Stroms winkt der bläulichte Gott. Zischend fliegt in den Baum die Axt, es erseufzt die Dryade, Hoch von des Berges Haupt stürzt sich die donnernde Last. Aus dem Felsbruch wiegt sich der Stein, vom Hebel beflügelt; In der Gebirge Schlucht taucht sich der Bergmann hinab. Mulcibers Ambos tönt von dem Takt geschwungener Hämmer, Unter der nervigten Faust spritzen die Funken des Stahls. Glänzend umwindet der goldene Lein die tanzende Spindel, Durch die Saiten des Garns sauset das webende Schiff. Fern auf der Rhede ruft der Pilot, es warten die Flotten, Die in der Fremdlinge Land tragen den heimischen Fleiß; Andre ziehn flohlockend dort ein mit den Gaben der Ferne, Hoch von dem ragenden Mast wehet der festliche Kranz. Siehe, da wimmeln die Märkte, der Krahn von fröhlichem Leben, Seltsamer Sprachen Gewirr braust in das wundernde Ohr. Auf den Stapel schüttet die Ernten der Erde der Kaufmann, Was dem glühenden Strahl Afrika's Boden gebiert, Was Arabien kocht, was die äußerste Thule bereitet, Hoch mit erfreuendem Gut füllt Amalthea das Horn. Da gebieret das Glück dem Talente die göttlichen Kinder, Von der Freiheit gesäugt, wachsen die Künste der Lust. Mit nachahmendem Leben erfreuet der Bildner die Augen, Und vom Meißel beseelt, redet der fühlende Stein. Künstliche Himmel ruhn auf schlanken jonischen Säulen, Und den ganzen Olymp schließet ein Pantheon ein. Leicht wie der Iris Sprung durch die Luft, wie der Pfeil von der Sehne, Hüpfet der Brücke Joch über den brausenden Strom. Aber im stillen Gemach entwirft bedeutende Zirkel Sinnend der Weise, beschleicht forschend den schaffenden Geist, Prüfet der Stoffe Gewalt, der Magnete Hassen und Lieben, Folgt durch die Lüfte dem Klang, folgt durch den Äther dem Strahl, Sucht das vertraute Gesetz in des Zufalls grausenden Wundern, Sucht den ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht. Körper und Stimme leiht die Schrift den stummen Gedanken, Durch der Jahrhunderte Strom trägt ihn das redende Blatt. Da zerrinnt von dem wundernden Blick der Nebel des Wahnes, Und die Gebilde der Nacht weichen dem tagenden Licht. Seine Fesseln zerbricht der Mensch. Der Beglückte! Zerriss' er Mit den Fesseln der Furcht nur nicht den Zügel der Scham! Freiheit ruft die Vernunft, Freiheit die wilde Begierde, Von der heil'gen Natur ringen sie lüstern sich los. Ach, da reißen im Sturm die Anker, die an dem Ufer Warnend ihn hielten, ihn faßt mächtig der fluthende Strom; Ins Unendliche reißt er ihn hin, die Küste verschwindet, Hoch auf der Fluthen Gebirg wiegt sich entmastet der Kahn; Hinter Wolken erlöschen des Wagens beharrliche Sterne, Bleibend ist nichts mehr, es irrt selbst in dem Busen der Gott. Aus dem Gespräche verschwindet die Wahrheit, Glauben und Treue Aus dem Leben, es lügt selbst auf der Lippe der Schwur. In der Herzen vertraulichsten Bund, in der Liebe Geheimniß Drängt sich der Sykophant, reißt von dem Freunde den Freund. Auf die Unschuld schielt der Verrrath mit verschlingendem Blicke, Mit vergiftetem Biß tödtet des Lästerers Zahn. Feil ist in der geschändeten Brust der Gedanke, die Liebe Wirft des freien Gefühls göttlichen Adel hinweg. Deiner heiligen Zeichen, o Wahrheit, hat der Betrug sich Angemaßt, der Natur köstlichste Stimmen entweiht, Die das bedürftige Herz in der Freude Drang sich erfindet; Kaum gibt wahres Gefühl noch durch Verstummen sich kund. Auf der Tribüne prahlet das Recht, in der Hütte die Eintracht, Des Gesetzes Gespenst steht an der Könige Thron. Jahre lang mag, Jahrhunderte lang die Mumie dauern, Mag das trügende Bild lebender Fülle bestehn, Bis die Natur erwacht, und mit schweren, ehernen Händen An das hohle Gebäu rühret die Noth und die Zeit, Einer Tigerin gleich, die das eiserne Gitter durchbrochen, Und des numidischen Walds plötzlich und schrecklich gedenkt. Aufsteht mit des Verbrechens Wuth und des Elends die Menschheit Und in der Asche der Stadt sucht die verlorne Natur. O, so öffnet euch, Mauern, und gebt den Gefangenen ledig! Zu der verlassenen Flur kehr' er gerettet zurück! Aber wo bin ich? Es birgt sich der Pfad. Abschüssige Gründe Hemmen mit gähnender Kluft hinter mir, vor mir den Schritt. Hinter mir blieb der Gärten, der Hecken vertraute Begleitung, Hinter mir jegliche Spur menschlicher Hände zurück. Nur die Stoffe seh' ich gethürmt, aus welchen das Leben Keimet, der rohe Basalt hofft auf die bildende Hand. Brausend stürzt der Gießbach herab durch die Rinne des Felsen, Unter den Wurzeln des Baums bricht er entrüstet sich Bahn. Wild ist es hier und schauerlich öd'. Im einsamen Luftraum Hängt nur der Adler und knüpft an das Gewölke die Welt. Hoch herauf bis zu mir trägt keines Windes Gefieder Den verlorenen Schall menschlicher Mühen und Lust. Bin ich wirklich allein? In deinen Armen, an deinem Herzen wieder, Natur, ach! und es war nur ein Traum, Der mich schaudernd ergriff mit des Lebens furchtbarem Bilde; Mit dem stürzenden Thal stürzte der finstre hinab. Reiner nehm' ich mein Leben von deinem reinen Altare, Nehme den fröhlichen Muth hoffender Jugend zurück. Ewig wechselt der Wille den Zweck und die Regel, in ewig Wiederholter Gestalt wälzen die Thaten sich um. Aber jugendlich immer, in immer veränderter Schöne Ehrst du, fromme Natur, züchtig das alte Gesetz! Immer dieselbe, bewahrst du in treuen Händen dem Manne, Was dir das gaukelnde Kind, was dir der Jüngling vertraut, Nährest an gleicher Brust die vielfach wechselnden Alter; Unter demselben Blau, über dem nämlichen Grün Wandeln die nahen und wandeln vereint die fernen Geschlechter, Und die Sonne Homers, siehe! sie lächelt nach uns. Friedrich Hölderlin Brot und Wein An Heinse 1 6 Rings um ruhet die Stadt; still wird die erleuchtete Gasse, 5 Und, mit Fackeln geschmückt, rauschen die Wagen hinweg. 6 Satt gehn heim von Freuden des Tags zu ruhen die Menschen, 5 Und Gewinn und Verlust wäget ein sinniges Haupt 6 Wohlzufrieden zu Haus; leer steht von Trauben und Blumen, 5 Und von Werken der Hand ruht der geschäftige Markt. 5 Aber das Saitenspiel tönt fern aus Gärten; vielleicht, daß 6 Dort ein Liebendes spielt oder ein einsamer Mann 6 Ferner Freunde gedenkt und der Jugendzeit; und die Brunnen, 5 Immerquillend und frisch rauschen an duftendem Beet. 6 Still in dämmriger Luft ertönen geläutete Glocken, 5 Und der Stunden gedenk rufet ein Wächter die Zahl. 6 Jetzt auch kommet ein Wehn und regt die Gipfel des Hains auf, 5 Sieh! und das Schattenbild unserer Erde, der Mond 6 Kommet geheim nun auch; die Schwärmerische, die Nacht kommt, 5 Voll mit Sternen und wohl wenig bekümmert um uns, 6 Glänzt die Erstaunende dort, die Fremdlingin unter den Menschen 5 Über Gebirgeshöhn traurig und prächtig herauf. 2 6 Wunderbar ist die Gunst der Hocherhabnen und niemand 5 Weiß von wannen und was einem geschiehet von ihr. 6 So bewegt sie die Welt und die hoffende Seele der Menschen, 5 Selbst kein Weiser versteht, was sie bereitet, denn so Will es der oberste Gott, der sehr dich liebet, und darum Ist noch lieber, wie sie, dir der besonnene Tag. Aber zuweilen liebt auch klares Auge den Schatten Und versuchet zu Lust, eh' es die Not ist, den Schlaf, Oder es blickt auch gern ein treuer Mann in die Nacht hin, Ja, es ziemet sich ihr Kränze zu weihn und Gesang, Weil den Irrenden sie geheiliget ist und den Toten, Selber aber besteht, ewig, in freiestem Geist. Aber sie muß uns auch, daß in der zaudernden Weile, Daß im Finstern für uns einiges Haltbare sei, Uns die Vergessenheit und das Heiligtrunkene gönnen, Gönnen das strömende Wort, das, wie die Liebenden, sei, Schlummerlos und vollern Pokal und kühneres Leben, Heilig Gedächtnis auch, wachend zu bleiben bei Nacht. 3 Auch verbergen umsonst das Herz im Busen, umsonst nur Halten den Mut noch wir, Meister und Knaben, denn wer Möcht' es hindern und wer möcht' uns die Freude verbieten? Göttliches Feuer auch treibet, bei Tag und bei Nacht, Aufzubrechen. So komm! daß wir das Offene schauen, Daß ein Eigenes wir suchen, so weit es auch ist. Fest bleibt Eins; es sei um Mittag oder es gehe Bis in die Mitternacht, immer bestehet ein Maß, Allen gemein, doch jeglichem auch ist eignes beschieden, Dahin gehet und kommt jeder, wohin er es kann. Drum! und spotten des Spotts mag gern frohlockender Wahnsinn Wenn er in heiliger Nacht plötzlich die Sänger ergreift. Drum an den Isthmos komm! dorthin, wo das offene Meer rauscht Am Parnaß und der Schnee delphische Felsen umglänzt, Dort ins Land des Olymps, dort auf die Höhe Kithärons, Unter die Fichten dort, unter die Trauben, von wo Thebe drunten und Ismenos rauscht, im Lande des Kadmos, Dorther kommt und zurück deutet der kommende Gott. 4 Seliges Griechenland! du Haus der Himmlischen alle, Also ist wahr, was einst wir in der Jugend gehört? Festlicher Saal! der Boden ist Meer! und Tische die Berge Wahrlich zu einzigem Brauche vor Alters gebaut! Aber die Thronen, wo? die Tempel, und wo die Gefäße, Wo mit Nektar gefüllt, Göttern zu Lust der Gesang? Wo, wo leuchten sie denn, die fernhintreffenden Sprüche? Delphi schlummert und wo tönet das große Geschick? Wo ist das schnelle? wo brichts, allgegenwärtigen Glücks voll Donnernd aus heiterer Luft über die Augen herein? Vater Äther! so riefs und flog von Zunge zu Zunge Tausendfach, es ertrug keiner das Leben allein; Ausgeteilet erfreut solch Gut und getauschet, mit Fremden, Wirds ein Jubel, es wächst schlafend des Wortes Gewalt Vater! heiter! und hallt, so weit es gehet, das uralt Zeichen, von Eltern geerbt, treffend und schaffend hinab. Denn so kehren die Himmlischen ein, tiefschütternd gelangt so Aus den Schatten herab unter die Menschen ihr Tag. 5 Unempfunden kommen sie erst, es streben entgegen Ihnen die Kinder, zu hell kommet, zu blendend das Glück, Und es scheut sie der Mensch, kaum weiß zu sagen ein Halbgott Wer mit Namen sie sind, die mit den Gaben ihm nahn. Aber der Mut von ihnen ist groß, es füllen das Herz ihm Ihre Freuden und kaum weiß er zu brauchen das Gut, Schafft, verschwendet und fast ward ihm Unheiliges heilig, Das er mit segnender Hand törig und gütig berührt. Möglichst dulden die Himmlischen dies; dann aber in Wahrheit Kommen sie selbst und gewohnt werden die Menschen des Glücks Und des Tags und zu schaun die Offenbaren, das Antlitz Derer, welche schon längst Eines und Alles genannt Tief die verschwiegene Brust mit freier Genüge gefüllet, Und zuerst und allein alles Verlangen beglückt; So ist der Mensch; wenn da ist das Gut, und es sorget mit Gaben Selber ein Gott für ihn, kennet und sieht er es nicht Tragen muß er, zuvor; nun aber nennt er sein Liebstes, Nun, nun müssen dafür Worte, wie Blumen, entstehn. 6 Und nun denkt er zu ehren in Ernst die seligen Götter, Wirklich und wahrhaft muß alles verkünden ihr Lob. Nichts darf schauen das Licht, was nicht den Hohen gefället, Vor den Äther gebührt Müßigversuchendes nicht. Drum in der Gegenwart der Himmlischen würdig zu stehen, Richten in herrlichen Ordnungen Völker sich auf Untereinander und baun die schönen Tempel und Städte Fest und edel, sie gehn über Gestaden empor – Aber wo sind sie? wo blühn die Bekannten, die Kronen des Festes? Thebe welkt und Athen; rauschen die Waffen nicht mehr In Olympia, nicht die goldnen Wagen des Kampfspiels, Und bekränzen sich denn nimmer die Schiffe Korinths? Warum schweigen auch sie, die alten heilgen Theater? Warum freuet sich denn nicht der geweihete Tanz? Warum zeichnet, wie sonst, die Stirne des Mannes ein Gott nicht, Drückt den Stempel, wie sonst, nicht dem Getroffenen auf? Oder er kam auch selbst und nahm des Menschen Gestalt an Und vollendet und schloß tröstend das himmlische Fest. 7 Aber Freund! wir kommen zu spät. Zwar leben die Götter Aber über dem Haupt droben in anderer Welt. Endlos wirken sie da und scheinens wenig zu achten, Ob wir leben, so sehr schonen die Himmlischen uns. Denn nicht immer vermag ein schwaches Gefäß sie zu fassen, Nur zu Zeiten erträgt göttliche Fülle der Mensch, Traum von ihnen ist drauf das Leben. Aber das Irrsal Hilft, wie Schlummer und stark machet die Not und die Nacht, Bis daß Helden genug in der ehernen Wiege gewachsen, Herzen an Kraft, wie sonst, ähnlich den Himmlischen sind. Donnernd kommen sie drauf. Indessen dünket mir öfters Besser zu schlafen, wie so ohne Genossen zu sein, So zu harren und was zu tun indes und zu sagen, Weiß ich nicht und wozu Dichter in dürftiger Zeit? Aber sie sind, sagst du, wie des Weingotts heilige Priester, Welche von Lande zu Land zogen in heiliger Nacht. 8 Nämlich, als vor einiger Zeit, uns dünket sie lange, Aufwärts stiegen sie all, welche das Leben beglückt, Als der Vater gewandt sein Angesicht von den Menschen, Und das Trauern mit Recht über der Erde begann, Als erschienen zuletzt ein stiller Genius, himmlisch Tröstend, welcher des Tags Ende verkündet' und schwand, Ließ zum Zeichen, daß einst er da gewesen und wieder Käme, der himmlische Chor einige Gaben zurück, Derer menschlich, wie sonst, wir uns zu freuen vermöchten, Denn zur Freude mit Geist, wurde das Größre zu groß Unter den Menschen und noch, noch fehlen die Starken zu höchsten Freuden, aber es lebt stille noch einiger Dank. Brot ist der Erde Frucht, doch ists vom Lichte gesegnet, Und vom donnernden Gott kommet die Freude des Weins. Darum denken wir auch dabei der Himmlischen, die sonst Da gewesen und die kehren in richtiger Zeit, Darum singen sie auch mit Ernst die Sänger den Weingott Und nicht eitel erdacht tönet dem Alten das Lob. 9 Ja! sie sagen mit Recht, er söhne den Tag mit der Nacht aus Führe des Himmels Gestirn ewig hinunter, hinauf, Allzeit froh, wie das Laub der immergrünenden Fichte, Das er liebt und der Kranz, den er von Efeu gewählt, Weil er bleibet indes die erkrankte Erde der Gott hält Langsamdonnernd und Lust unter das Finstere bringt. Was der Alten Gesang von Kindern Gottes geweissagt, Siehe! wir sind es, wir; Frucht von Hesperien ists! Wunderbar und genau ists als an Menschen erfüllet, Glaube, wer es geprüft! aber so vieles geschieht Keines wirket, denn wir sind herzlos, Schatten, bis unser Vater Äther erkannt jeden und allen gehört. Mit allen Himmlischen kommt als Fackelschwinger des Höchsten Sohn, der Syrier, unter die Schatten herab. Selige Weise sehns; ein Lächeln aus der gefangnen Seele leuchtet, dem Licht tauet ihr Auge noch auf. Sanfter träumet und schläft in Armen der Erde der Titan, Selbst der neidische, selbst Cerberus trinket und schläft. DIE ERSTE ELEGIE 5 WER, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel 3 Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme 5 einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem 4 stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts 5 als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen, 4 und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, 5 uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich. 5 Und so verhalt ich mich denn und verschlucke den Lockruf 4 dunkelen Schluchzens. Ach, wen vermögen 4 wir denn zu brauchen? Engel nicht, Menschen nicht, 4 und die findigen Tiere merken es schon, 4 daß wir nicht sehr verläßlich zu Haus sind 4 in der gedeuteten Welt. Es bleibt uns vielleicht 5 irgend ein Baum an dem Abhang, daß wir ihn täglich 4 wiedersähen; es bleibt uns die Straße von gestern 4 und das verzogene Treusein einer Gewohnheit, 5 der es bei uns gefiel, und so blieb sie und ging nicht. 5 O und die Nacht, die Nacht, wenn der Wind voller Weltraum 5 uns am Angesicht zehrt –, wem bliebe sie nicht, die ersehnte, 5 sanft enttäuschende, welche dem einzelnen Herzen 5 mühsam bevorsteht. Ist sie den Liebenden leichter? 5 Ach, sie verdecken sich nur mit einander ihr Los. 5 Weißt du's noch nicht? Wirf aus den Armen die Leere 5 zu den Räumen hinzu, die wir atmen; vielleicht daß die Vögel 5 die erweiterte Luft fühlen mit innigerm Flug. Ja, die Frühlinge brauchten dich wohl. Es muteten manche Sterne dir zu, daß du sie spürtest. Es hob sich eine Woge heran im Vergangenen, oder da du vorüberkamst am geöffneten Fenster, gab eine Geige sich hin. Das alles war Auftrag. Aber bewältigtest du's? Warst du nicht immer noch von Erwartung zerstreut, als kündigte alles eine Geliebte dir an? (Wo willst du sie bergen, da doch die großen fremden Gedanken bei dir aus und ein gehn und öfters bleiben bei Nacht.) Sehnt es dich aber, so singe die Liebenden; lange noch nicht unsterblich genug ist ihr berühmtes Gefühl. Jene, du neidest sie fast, Verlassenen, die du so viel liebender fandst als die Gestillten. Beginn immer von neuem die nie zu erreichende Preisung; denk: es erhält sich der Held, selbst der Untergang war ihm nur ein Vorwand, zu sein: seine letzte Geburt. Aber die Liebenden nimmt die erschöpfte Natur in sich zurück, als wären nicht zweimal die Kräfte, dieses zu leisten. Hast du der Gaspara Stampa denn genügend gedacht, daß irgend ein Mädchen, dem der Geliebte entging, am gesteigerten Beispiel dieser Liebenden fühlt: daß ich würde wie sie? Sollen nicht endlich uns diese ältesten Schmerzen fruchtbarer werden? Ist es nicht Zeit, daß wir liebend uns vom Geliebten befrein und es bebend bestehn: wie der Pfeil die Sehne besteht, um gesammelt im Absprung mehr zu sein als er selbst. Denn Bleiben ist nirgends. Stimmen, Stimmen. Höre, mein Herz, wie sonst nur Heilige hörten: daß die der riesige Ruf aufhob vom Boden; sie aber knieten, Unmögliche, weiter und achtetens nicht: So waren sie hörend. Nicht, daß du Gottes ertrügest die Stimme, bei weitem. Aber das Wehende höre, die ununterbrochene Nachricht, die aus Stille sich bildet. Es rauscht jetzt von jenen jungen Toten zu dir. Wo immer du eintratest, redete nicht in Kirchen zu Rom und Neapel ruhig ihr Schicksal dich an? Oder es trug eine Inschrift sich erhaben dir auf, wie neulich die Tafel in Santa Maria Formosa. Was sie mir wollen? leise soll ich des Unrechts Anschein abtun, der ihrer Geister reine Bewegung manchmal ein wenig behindert. Freilich ist es seltsam, die Erde nicht mehr zu bewohnen, kaum erlernte Gebräuche nicht mehr zu üben, Rosen, und andern eigens versprechenden Dingen nicht die Bedeutung menschlicher Zukunft zu geben; das, was man war in unendlich ängstlichen Händen, nicht mehr zu sein, und selbst den eigenen Namen wegzulassen wie ein zerbrochenes Spielzeug. Seltsam, die Wünsche nicht weiterzuwünschen. Seltsam, alles, was sich bezog, so lose im Raume flattern zu sehen. Und das Totsein ist mühsam und voller Nachholn, daß man allmählich ein wenig Ewigkeit spürt. – Aber Lebendige machen alle den Fehler, daß sie zu stark unterscheiden. Engel (sagt man) wüßten oft nicht, ob sie unter Lebenden gehn oder Toten. Die ewige Strömung reißt durch beide Bereiche alle Alter immer mit sich und übertönt sie in beiden. Schließlich brauchen sie uns nicht mehr, die Früheentrückten, man entwöhnt sich des Irdischen sanft, wie man den Brüsten milde der Mutter entwächst. Aber wir, die so große Geheimnisse brauchen, denen aus Trauer so oft seliger Fortschritt entspringt –: könnten wir sein ohne sie? Ist die Sage umsonst, daß einst in der Klage um Linos wagende erste Musik dürre Erstarrung durchdrang; daß erst im erschrockenen Raum, dem ein beinah göttlicher Jüngling plötzlich für immer enttrat, die Leere in jene Schwingung geriet, die uns jetzt hinreißt und tröstet und hilft. ================== Elegie 1) Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, Gab mir ein Gott zu sagen, was ich leide. Was soll ich nun vom Wiedersehen hoffen, Von dieses Tages noch geschlossner Blüte? Das Paradies, die Hölle steht dir offen; Wie wankelsinnig regt sich's im Gemüte! — Kein Zweifeln mehr! Sie tritt ans Himmelstor, Zu ihren Armen hebt sie dich empor. So warst du denn im Paradies empfangen, Als wärst du wert des ewig schönen Lebens; Dir blieb kein Wunsch, kein Hoffen, kein Verlangen, Hier war das Ziel des innigsten Bestrebens, Und in dem Anschaun dieses einzig Schönen Versiegte gleich der Quell sehnsüchtiger Tränen. Wie regte nicht der Tag die raschen Flügel, Schien die Minuten vor sich her zu treiben! Der Abendkuss, ein treu verbindlich Siegel: So wird es auch der nächsten Sonne bleiben. Die Stunden glichen sich in zartem Wandern Wie Schwestern zwar, doch keine ganz den andern. Der Kuss, der letzte, grausam süß, zerschneidend Ein herrliches Geflecht verschlungner Minnen — Nun eilt, nun stockt der Fuß, die Schwelle meidend, Als trieb' ein Cherub flammend ihn von hinnen; Das Auge starrt auf düstrem Pfad verdrossen, Es blickt zurück, die Pforte steht verschlossen. Und nun verschlossen in sich selbst, als hätte Dies Herz sich nie geöffnet, selige Stunden Mit jedem Stern des Himmels um die Wette An ihrer Seite leuchtend nicht empfunden; Und Missmut, Reue, Vorwurf, Sorgenschwere Belasten's nun in schwüler Atmosphäre. Ist denn die Welt nicht übrig? Felsenwände, Sind sie nicht mehr gekrönt von heiligen Schatten? Die Ernte, reift sie nicht? Ein grün Gelände, Zieht sich's nicht hin am Fluss durch Busch und Matten? Und wölbt sich nicht das überweltlich Große, Gestaltenreiche, bald Gestaltenlose? Wie leicht und zierlich, klar und zart gewoben Schwebt seraphgleich aus ernster Wolken Chor, Als glich' es ihr, am blauen Äther droben Ein schlank Gebild aus lichtem Duft empor; So sahst du sie in frohem Tanze walten, Die lieblichste der lieblichsten Gestalten. Doch nur Momente darfst dich unterwinden, Ein Luftgebild statt ihrer festzuhalten; Ins Herz zurück! dort wirst du's besser finden, Dort regt sie sich in wechselnden Gestalten; Zu vielen bildet eine sich hinüber, So tausendfach, und immer, immer lieber. Wie zum Empfang sie an den Pforten weilte Und mich von dannauf stufenweis beglückte, Selbst nach dem letzten Kuss mich noch ereilte, Den letztesten mir auf die Lippen drückte: So klar beweglich bleibt das Bild der Lieben Mit Flammenschrift ins treue Herz geschrieben. Ins Herz, das fest wie zinnenhohe Mauer Sich ihr bewahrt und sie in sich bewahret, Für sie sich freut an seiner eignen Dauer, Nur weiß von sich, wenn sie sich offenbaret, Sich freier fühlt in so geliebten Schranken Und nur noch schlägt, für alles ihr zu danken. War Fähigkeit zu lieben, war Bedürfen Von Gegenliebe weggelöscht, verschwunden, Ist Hoffnungslust zu freudigen Entwürfen, Entschlüssen, rascher Tat sogleich gefunden! Wenn Liebe je den Liebenden begeistet, Ward es an mir aufs lieblichste geleistet; Und zwar durch sie! — Wie lag ein innres Bangen Auf Geist und Körper, unwillkommner Schwere: Von Schauerbildern rings der Blick umfangen Im wüsten Raum beklommner Herzensleere; Nun dämmert Hoffnung von bekannter Schwelle, Sie selbst erscheint in milder Sonnenhelle. Dem Frieden Gottes, welcher euch hienieden Mehr als Vernunft beseliget — wir lesen's —, Vergleich ich wohl der Liebe heitern Frieden In Gegenwart des allgeliebten Wesens; Da ruht das Herz, und nichts vermag zu stören Den tiefsten Sinn, den Sinn, ihr zu gehören. In unsers Busens Reine wogt ein Streben, Sich einem Höhern, Reinern, Unbekannten Aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben, Enträtselnd sich den ewig Ungenannten; Wir heißen's: fromm sein! — Solcher seligen Höhe Fühl ich mich teilhaft, wenn ich vor ihr stehe. Vor ihrem Blick, wie vor der Sonne Walten, Vor ihrem Atem, wie vor Frühlingslüften, Zerschmilzt, so längst sich eisig starr gehalten, Der Selbstsinn tief in winterlichen Grüften; Kein Eigennutz, kein Eigenwille dauert, Vor ihrem Kommen sind sie weggeschauert. Es ist, als wenn sie sagte: "Stund um Stunde Wird uns das Leben freundlich dargeboten, Das Gestrige ließ uns geringe Kunde, Das Morgende, zu wissen ist's verboten; Und wenn ich je mich vor dem Abend scheute, Die Sonne sank und sah noch, was mich freute. Drum tu wie ich und schaue, froh verständig, Dem Augenblick ins Auge! Kein Verschieben! Begegn' ihm schnell, wohlwollend wie lebendig, Im Handeln sei's, zur Freude, sei's dem Lieben! Nur wo du bist, sei alles, immer kindlich, So bist du alles, bist unüberwindlich." Du hast gut reden, dacht ich: zum Geleite Gab dir ein Gott die Gunst des Augenblickes, Und jeder fühlt an deiner holden Seite Sich augenblicks den Günstling des Geschickes; Mich schreckt der Wink, von dir mich zu entfernen — Was hilft es mir, so hohe Weisheit lernen! Nun bin ich fern! Der jetzigen Minute, Was ziemt denn der? Ich wüsst es nicht zu sagen; Sie bietet mir zum Schönen manches Gute, Das lastet nur, ich muss mich ihm entschlagen. Mich treibt umher ein unbezwinglich Sehnen, Da bleibt kein Rat als grenzenlose Tränen. So quellt denn fort und fließet unaufhaltsam, Doch nie geläng's, die inn're Glut zu dämpfen! Schon rast's und reißt in meiner Brust gewaltsam, Wo Tod und Leben grausend sich bekämpfen. Wohl Kräuter gäb's, des Körpers Qual zu stillen; Allein dem Geist fehlt's am Entschluss und Willen, Fehlt's am Begriff: wie sollt' er sie vermissen? Er wiederholt ihr Bild zu tausend Malen. Das zaudert bald, bald wird es weggerissen, Undeutlich jetzt und jetzt im reinsten Strahlen; Wie könnte dies geringstem Troste frommen, Die Ebb' und Flut, das Gehen wie das Kommen? Verlasst mich hier, getreue Weggenossen! Lasst mich allein am Fels, in Moor und Moos; Nur immer zu! euch ist die Welt erschlossen, Die Erde weit, der Himmel hehr und groß; Betrachtet, forscht, die Einzelheiten sammelt, Naturgeheimnis werde nachgestammelt. Mir ist das All, ich bin mir selbst verloren, Der ich noch erst den Göttern Liebling war; Sie prüften mich, verliehen mir Pandoren, So reich an Gütern, reicher an Gefahr; Sie drängten mich zum gabeseligen Munde, Sie trennen mich — und richten mich zugrunde. Johann Wolfgang von Goethe (September 1823) Johann Wolfgang Goethe Römische Elegien Wie wir einst so glücklich waren, Müssens jetzt durch euch erfahren. 1. Saget, Steine, mir an, o sprecht, ihr hohen Paläste! Straßen, redet ein Wort! Genius, regst du dich nicht? Ja, es ist alles beseelt in deinen heiligen Mauern, Ewige Roma; nur mir schweiget noch alles so still. O wer flüstert mir zu, an welchem Fenster erblick ich Einst das holde Geschöpf, das mich versengend erquickt? Ahn ich die Wege noch nicht, durch die ich immer und immer Zu ihr und von ihr zu gehn, opfre die köstliche Zeit? Noch betracht ich Kirch und Palast, Ruinen und Säulen, Wie ein bedächtiger Mann schicklich die Reise benutzt. Doch bald ist es vorbei: dann wird ein einziger Tempel Amors Tempel nur sein, der den Geweihten empfängt. Eine Welt zwar bist du, o Rom; doch ohne die Liebe Wäre die Welt nicht die Welt, wäre denn Rom auch nicht Rom. 2. Ehret, wen ihr auch wollt! Nun bin ich endlich geborgen! Schöne Damen und ihr, Herren der feineren Welt, Fraget nach Oheim und Vetter und alten Muhmen und Tanten, Und dem gebundnen Gespräch folge das traurige Spiel. Auch ihr übrigen fahret mir wohl, in großen und kleinen Zirkeln, die ihr mich oft nah der Verzweiflung gebracht, Wiederholet, politisch und zwecklos, jegliche Meinung, Die den Wandrer mit Wut über Europa verfolgt. So verfolgte das Liedchen »Malbrough« den reisenden Briten Einst von Paris nach Livorn, dann von Livorno nach Rom, Weiter nach Napel hinunter, und wär er nach Smyrna gesegelt, Malbrough! empfing ihn auch dort, Malbrough! im Hafen das Lied. Und so mußt ich bis jetzt auf allen Tritten und Schritten Schelten hören das Volk, schelten der Könige Rat. Nun entdeckt ihr mich nicht sobald in meinem Asyle, Das mir Amor der Fürst, königlich schützend, verlieh. Hier bedecket er mich mit seinem Fittich; die Liebste Fürchtet, römisch gesinnt, wütende Gallier nicht: Sie erkundigt sich nie nach neuer Märe, sie spähet Sorglich den Wünschen des Manns, dem sie sich eignete, nach. Sie ergötzt sich an ihm, dem freien, rüstigen Fremden, Der von Bergen und Schnee, hölzernen Häusern erzählt; Teilt die Flammen, die sie in seinem Busen entzündet, Freut sich, daß er das Gold nicht wie der Römer bedenkt. Besser ist ihr Tisch nun bestellt; es fehlet an Kleidern, Fehlet am Wagen ihr nicht, der nach der Oper sie bringt. Mutter und Tochter erfreun sich ihres nordischen Gastes, Und der Barbare beherrscht römischen Busen und Leib. 3. Laß dich, Geliebte, nicht reun, daß du mir so schnell dich ergeben! Glaub es, ich denke nicht frech, denke nicht niedrig von dir. Vielfach wirken die Pfeile des Amors: einige ritzen, Und vom schleichenden Gift kranket auf Jahre das Herz. Aber mächtig befiedert, mit frisch geschliffener Schärfe Dringen die andern ins Mark, zünden behende das Blut. In der heroischen Zeit, da Götter und Göttinnen liebten, Folgte Begierde dem Blick, folgte Genuß der Begier. Glaubst du, es habe sich lang die Göttin der Liebe besonnen, Als im Idäischen Hain einst ihr Anchises gefiel? Hätte Luna gesäumt, den schönen Schläfer zu küssen, O, so hätt ihn geschwind, neidend, Aurora geweckt. Hero erblickte Leandern am lauten Fest, und behende Stürzte der Liebende sich heiß in die nächtliche Flut. Rhea Silvia wandert, die fürstliche Jungfrau, den Tiber, Wasser zu schöpfen, hinab, und sie ergreifet der Gott. So erzeugte die Söhne sich Mars! -- Die Zwillinge tränket Eine Wölfin, und Rom nennt sich die Fürstin der Welt. 4. Fromm sind wir Liebende, still verehren wir alle Dämonen, Wünschen uns jeglichen Gott, jegliche Göttin geneigt. Und so gleichen wir euch, o römische Sieger! Den Göttern Aller Völker der Welt bietet ihr Wohnungen an, Habe sie schwarz und streng aus altem Basalt der Ägypter, Oder ein Grieche sie weiß, reizend, aus Marmor geformt. Doch verdrießet es nicht die Ewigen, wenn wir besonders Weihrauch köstlicher Art einer der Göttlichen streun. Ja, wir bekennen euch gern: es bleiben unsre Gebete, Unser täglicher Dienst Einer besonders geweiht. Schalkhaft, munter und ernst begehen wir heimliche Feste, Und das Schweigen geziemt allen Geweihten genau. Eh' an die Ferse lockten wir selbst durch gräßliche Taten Uns die Erinnyen her, wagten es eher, des Zeus Hartes Gericht am rollenden Rad und Felsen zu dulden, Als dem reizenden Dienst unser Gemüt zu entziehn. Diese Göttin, sie heißt _Gelegenheit,_ lernet sie kennen! Sie erscheinet euch oft, immer in andrer Gestalt. Tochter des Proteus möchte sie sein, mit Thetis gezeuget, Deren verwandelte List manchen Heroen betrog. So betrügt nun die Tochter den Unerfahrnen, den Blöden: Schlummernde necket sie stets, Wachende fliegt sie vorbei; Gern ergibt sie sich nur dem raschen, tätigen Manne, Dieser findet sie zahm, spielend und zärtlich und hold. Einst erschien sie auch mir, ein bräunliches Mädchen, die Haare Fielen ihr dunkel und reich über die Stirne herab, Kurze Locken ringelten sich ums zierliche Hälschen, Ungeflochtenes Haar krauste vom Scheitel sich auf. Und ich verkannte sie nicht, ergriff die Eilende: lieblich Gab sie Umarmung und Kuß bald mir gelehrig zurück. O wie war ich beglückt! -- Doch stille, die Zeit ist vorüber, Und umwunden bin ich, römische Flechten, von euch. 5. Froh empfind ich mich nun auf klassischem Boden begeistert, Vor- und Mitwelt spricht lauter und reizender mir. Hier befolg ich den Rat, durchblättre die Werke der Alten Mit geschäftiger Hand, täglich mit neuem Genuß. Aber die Nächte hindurch hält Amor mich anders beschäftigt; Werd ich auch halb nur gelehrt, bin ich doch doppelt beglückt. Und belehr ich mich nicht, indem ich des lieblichen Busens Formen spähe, die Hand leite die Hüften hinab? Dann versteh ich den Marmor erst recht: ich denk und vergleiche, Sehe mit fühlendem Aug, fühle mit sehender Hand. Raubt die Liebste denn gleich mir einige Stunden des Tages, Gibt sie Stunden der Nacht mir zur Entschädigung hin. Wird doch nicht immer geküßt, es wird vernünftig gesprochen, Überfällt sie der Schlaf, lieg ich und denke mir viel. Oftmals hab ich auch schon in ihren Armen gedichtet Und des Hexameters Maß leise mit fingernder Hand Ihr auf den Rücken gezählt. Sie atmet in lieblichem Schlummer, Und es durchglühet ihr Hauch mir bis ins Tiefste die Brust. Amor schüret die Lamp' indes und gedenket der Zeiten, Da er den nämlichen Dienst seinen Triumvirn getan. 6. »Kannst du, o Grausamer, mich mit solchen Worten betrüben? Reden so bitter und hart liebende Männer bei euch? Wenn das Volk mich verklagt, ich muß es dulden! und bin ich Etwa nicht schuldig? Doch ach! Schuldig nur bin ich mit dir! Diese Kleider, sie sind der neidischen Nachbarin Zeugen, Daß die Witwe nicht mehr einsam den Gatten beweint. Bist du ohne Bedacht nicht oft bei Mondschein gekommen, Grau, im dunklen Surtout, hinten gerundet das Haar? Hast du dir scherzend nicht selbst die geistliche Maske gewählet? Soll's ein Prälate denn sein -- gut, der Prälate bist du! In dem geistlichen Rom, kaum scheint es zu Glaubens, doch schwör ich: Nie hat ein Geistlicher sich meiner Umarmung gefreut. Arm bin ich, leider! und jung, und wohlbekannt den Verführern: Falconieri hat mir oft in die Augen gegafft, Und ein Kuppler Albanis mich mit gewichtigen Zetteln Bald nach Ostia, bald nach den vier Brunnen gelockt. Aber wer nicht kam, war das Mädchen. So hab ich von Herzen Rotstrumpf immer gehaßt und Violettstrumpf dazu. Denn >ihr Mädchen bleibt am Ende doch die Betrognen< Sagte der Vater, wenn auch leichter die Mutter es nahm. Und so bin ich denn auch am Ende betrogen! Du zürnest Nur zum Scheine mit mir, weil du zu fliehen gedenkst. Geh! Ihr seid der Frauen nicht wert! Wir tragen die Kinder Unter dem Herzen, und so tragen die Treue wir auch; Aber ihr Männer, ihr schüttet mit eurer Kraft und Begierde Auch die Liebe zugleich in den Umarmungen aus!« Also sprach die Geliebte und nahm den Kleinen vom Stuhle, Drückt ihn küssend ans Herz, Tränen entquollen dem Blick. Und wie saß ich beschämt, daß Reden feindlicher Menschen Dieses liebliche Bild mir zu beflecken vermocht! Dunkel brennt das Feuer nur augenblicklich und dampfet, Wenn das Wasser die Glut stürzend und jählings verhüllt; Aber sie reinigt sich schnell, verjagt die trübenden Dämpfe, Neuer und mächtiger dringt leuchtende Flamme hinauf. 7. O wie fühl ich in Rom mich so froh, gedenk ich der Zeiten, Da mich ein graulicher Tag hinten im Norden umfing, Trübe der Himmel und schwer auf meine Scheitel sich senkte, Farb- und gestaltlos die Welt um den Ermatteten lag, Und ich über mein Ich, des unbefriedigten Geistes Düstre Wege zu spähn, still in Betrachtung versank. Nun umleuchtet der Glanz des helleren Äthers die Stirne. Phöbus rufet, der Gott, Formen und Farben hervor. Sternhell glänzet die Nacht, sie klingt von weichen Gesängen, Und mir leuchtet der Mond heller als nordischer Tag. Welche Seligkeit ward mir Sterblichem! Träum ich? Empfänget Dein ambrosisches Haus, Jupiter Vater, den Gast? Ach, hier lieg ich und strecke nach deinen Knieen die Hände Flehend aus. O vernimm, Jupiter Xenius, mich! Wie ich hereingekommen, ich kanns nicht sagen: es faßte Hebe den Wandrer und zog mich in die Hallen heran. Hast du ihr einen Heroen herauf zu führen geboten? Irrte die Schöne? Vergib! Laß mir des Irrtums Gewinn! Deine Tochter Fortuna, sie auch! die herrlichsten Gaben Teilt als ein Mädchen sie aus, wie es die Laune gebeut. Bist du der wirtliche Gott? O dann so verstoße den Gastfreund Nicht von deinem Olymp wieder zur Erde hinab! »Dichter! Wohin versteigest du dich?« -- Vergib mir: der hohe Kapitolinische Berg ist dir ein zweiter Olymp. Dulde mich, Jupiter, hier, und Hermes führe mich später Cestius Mal vorbei, leise zum Orkus hinab. 8. Wenn du mir sagst, du habest als Kind, Geliebte, den Menschen Nicht gefallen, und dich habe die Mutter verschmäht, Bis du größer geworden und still dich entwickelt -- ich glaub es: Gerne denk ich mir dich als ein besonderes Kind. Fehlet Bildung und Farbe doch auch der Blüte des Weinstocks, Wenn die Beere, gereift, Menschen und Götter entzückt. 9. Herbstlich leuchtet die Flamme vom ländlich geselligen Herde, Knistert und glänzet, wie rasch! sausend vom Reisig empor. Diesen Abend erfreut sie mich mehr: denn eh noch zur Kohle Sich das Bündel verzehrt, unter die Asche sich neigt, Kommt mein liebliches Mädchen. Dann flammen Reisig und Scheite, Und die erwärmte Nacht wird uns ein glänzendes Fest. Morgen frühe geschäftig verläßt sie das Lager der Liebe, Weckt aus der Asche behend Flammen aufs neue hervor. Denn vor andern verlieh der Schmeichlerin Amor die Gabe, Freude zu wecken, die kaum still wie zu Asche versank. 10. Alexander und Cäsar und Heinrich und Friedrich, die Großen, Gäben die Hälfte mir gern ihres erworbenen Ruhms, Könnt ich auf _eine_ Nacht dies Lager jedem vergönnen; Aber die Armen, sie hält strenge des Orkus Gewalt. Freue dich also, Lebendger, der lieberwärmeten Stätte, Ehe den fliehenden Fuß schauerlich Lethe dir netzt. 11. Euch, o Grazien, legt die wenigen Blätter ein Dichter Auf den reinen Altar, Knospen der Rose dazu, Und er tut es getrost. Der Künstler freuet sich seiner Werkstatt, wenn sie um ihn immer ein Pantheon scheint. Jupiter senket die göttliche Stirn, und Juno erhebt sie; Phöbus schreitet hervor, schüttelt das lockige Haupt; Trocken schaut Minerva herab und Hermes, der leichte, Wendet zur Seite den Blick, schalkisch und zärtlich zugleich. Aber nach Bacchus, dem weichen, dem träumenden, hebet Cythere Blicke der süßen Begier, selbst in dem Marmor noch feucht. Seiner Umarmung gedenket sie gern und scheinet zu fragen: Sollte der herrliche Sohn uns an der Seite nicht stehn? 12. Hörest du, Liebchen, das muntre Geschrei den Flaminischen Weg her? Schnitter sind es; sie ziehn wieder nach Hause zurück, Weit hinweg. Sie haben des Römers Ernte vollendet, Der für Ceres den Kranz selber zu flechten verschmäht. Keine Feste sind mehr der großen Göttin gewidmet, Die, statt Eicheln, zur Kost goldenen Weizen verlieh. Laß uns beide das Fest im stillen freudig begehen! Sind zwei Liebende doch sich ein versammeltes Volk. Hast du wohl je gehört von jener mystischen Feier, Die von Eleusis hieher frühe dem Sieger gefolgt? Griechen stifteten sie, und immer riefen nur Griechen, Selbst in den Mauern Roms: »Kommt zur geheiligten Nacht!« Fern entwich der Profane; da bebte der wartende Neuling, Den ein weißes Gewand, Zeichen der Reinheit, umgab. Wunderlich irrte darauf der Eingeführte durch Kreise Seltner Gestalten; im Traum schien er zu wallen: denn hier Wanden sich Schlangen am Boden umher, verschlossene Kästchen, Reich mit Ähren umkränzt, trugen hier Mädchen vorbei, Vielbedeutend gebärdeten sich die Priester und summten; Ungeduldig und bang harrte der Lehrling auf Licht. Erst nach mancherlei Proben und Prüfungen ward ihm enthüllet, Was der geheiligte Kreis seltsam in Bildern verbarg. Und was war das Geheimnis? als daß Demeter, die große, Sich gefällig einmal auch einem Helden bequemt, Als sie Jasion einst, dem rüstigen König der Kreter, Ihres unsterblichen Leibs holdes Verborgne gegönnt. Das war Kreta beglückt! das Hochzeitsbette der Göttin Schwoll von Ähren, und reich drückte den Acker die Saat. Aber die übrige Welt verschmachtete; denn es versäumte Über der Liebe Genuß Ceres den schönen Beruf. Voll Erstaunen vernahm der Eingeweihte das Märchen, Winkte der Liebsten -- Verstehst du nun, Geliebte, den Wink? Jene buschige Myrte beschattet ein heiliges Plätzchen! Unsre Zufriedenheit bringt keine Gefährde der Welt. 13. Amor bleibet ein Schalk, und wer ihm vertraut, ist betrogen! Heuchelnd kam er zu mir: »Diesmal nur traue mir noch. Redlich mein ichs mit dir: du hast dein Leben und Dichten, Dankbar erkenn ich es wohl, meiner Verehrung geweiht. Siehe, dir bin ich nun gar nach Rom gefolget! Ich möchte Dir im fremden Gebiet gern was Gefälliges tun. Jeder Reisende klagt, er finde schlechte Bewirtung; Welchen Amor empfiehlt, köstlich bewirtet ist er. Du betrachtest mit Staunen die Trümmer alter Gebäude Und durchwandelst mit Sinn diesen geheiligten Raum. Du verehrest noch mehr die werten Reste des Bildens Einziger Künstler, die stets ich in der Werkstatt besucht. Diese Gestalten, ich formte sie selbst! Verzeih mir, ich prahle Diesmal nicht; du gestehst, was ich dir sage, sei wahr. Nun du mir lässiger dienst, wo sind die schönen Gestalten, Wo die Farben, der Glanz deiner Erfindungen hin? Denkst du nun wieder zu bilden, Freund? Die Schule der Griechen Blieb noch offen, das Tor schlossen die Jahre nicht zu. Ich, der Lehrer, bin ewig jung und liebe die Jungen. Altklug lieb ich dich nicht! Munter! Begreife mich wohl! War das Antike doch neu, da jene Glücklichen lebten! Lebe glücklich, und so lebe die Vorzeit in dir! Stoff zum Liede, wo nimmst du ihn her? Ich muß ihn dir geben, Und den höheren Stil lehret die Liebe dich nur.« Also sprach der Sophist. Wer widerspricht ihm? und leider Bin ich zu folgen gewöhnt, wenn der Gebieter befiehlt. -- Nun, verräterisch hält er sein Wort, gibt Stoff zu Gesängen, Ach, und raubt mir die Zeit, Kraft und Besinnung zugleich; Blick und Händedruck, und Küsse, gemütliche Worte, Silben köstlichen Sinns wechselt ein liebendes Paar. Da wird Lispeln Geschwätz, wird Stottern liebliche Rede: Solch ein Hymnus verhallt ohne prosodisches Maß. Dich, Aurora, wie kannt ich dich sonst als Freundin der Musen! Hat, Aurora, dich auch Amor, der lose, verführt? Du erscheinest mir nun als seine Freundin und weckest Mich an seinem Altar wieder zum festlichen Tag. Find ich die Fülle der Locken an meinem Busen! das Köpfchen Ruhet und drücket den Arm, der sich dem Halse bequemt. Welch ein freudig Erwachen, erhieltet ihr, ruhige Stunden, Mir das Denkmal der Lust, die in den Schlaf uns gewiegt! -- Sie bewegt sich im Schlummer und sinkt auf die Breite des Lagers, Weggewendet; und doch läßt sie mir Hand noch in Hand. Herzliche Liebe verbindet uns stets und treues Verlangen, Und den Wechsel behielt nur die Begierde sich vor. Einen Druck der Hand, ich sehe die himmlischen Augen Wieder offen. -- O nein! Laßt auf der Bildung mich ruhn! Bleibt geschlossen! Ihr macht mich verwirrt und trunken, ihr raubet Mir den stillen Genuß reiner Betrachtung zu früh. Diese Formen, wie groß! Wie edel gewendet die Glieder! Schlief Ariadne so schön: Theseus, du konntest entfliehn? Diesen Lippen ein einziger Kuß! O Theseus, nun scheide! Blick ihr ins Auge! Sie wacht! -- Ewig nun hält sie dich fest. 14. Zünde mir Licht an, Knabe! -- »Noch ist es hell. Ihr verzehret Öl und Docht nur umsonst. Schließet die Läden doch nicht! Hinter die Häuser entwich, nicht hinter den Berg, uns die Sonne! Ein halb Stündchen noch währts bis zum Geläute der Nacht!« -- Unglückseliger! Geh und gehorch! Mein Mädchen erwart ich. Tröste mich, Lämpchen, indes, lieblicher Bote der Nacht! 15. Cäsarn wär ich wohl nie zum fernen Britannien gefolget, Florus hätte mich leicht in die Popine geschleppt! Denn mir bleiben weit mehr die Nebel des traurigen Nordens Als ein geschäftiges Volk südlicher Flöhe verhaßt. Und noch schöner von heut an seid mir gegrüßet, ihr Schenken, Osterien, wie euch schicklich der Römer benennt; Denn ihr zeiget mir heute die Liebste, begleitet vom Oheim, Den die Gute so oft, mich zu besitzen, betrügt. Hier stand unser Tisch, den Deutsche vertraulich umgaben; Drüben suchte das Kind neben der Mutter den Platz, Rückte vielmals die Bank und wußt es artig zu machen, Daß ich halb ihr Gesicht, völlig den Nacken gewann. Lauter sprach sie, als hier die Römerin pfleget, kredenzte, Blickte gewendet nach mir, goß und verfehlte das Glas. Wein floß über den Tisch, und sie, mit zierlichem Finger, Zog auf dem hölzernen Blatt Kreise der Feuchtigkeit hin. Meinen Namen verschlang sie dem ihrigen; immer begierig Schaut ich dem Fingerchen nach, und sie bemerkte mich wohl. Endlich zog sie behende das Zeichen der römischen Fünfe Und ein Strichlein davor. Schnell, und sobald ichs gesehn, Schlang sie Kreise durch Kreise, die Lettern und Ziffern zu löschen; Aber die köstliche Vier blieb mir ins Auge geprägt. Stumm war ich sitzen geblieben und biß die glühende Lippe, Halb aus Schalkheit und Lust, halb aus Begierde, mir wund. Erst noch so lange bis Nacht! Dann noch vier Stunden zu warten! Hohe Sonne, du weilst, und du beschauest dein Rom! Größeres sahest du nichts und wirst nichts Größeres sehen, Wie es dein Priester Horaz in der Entzückung versprach. Aber heute verweile mir nicht und wende die Blicke Von dem Siebengebirg früher und williger ab! Einem Dichter zuliebe verkürze die herrlichen Stunden, Die mit begierigem Blick selig der Maler genießt; Glühend blicke noch schnell zu diesen hohen Fassaden, Kuppeln und Säulen zuletzt und Obelisken herauf; Stürze dich eilig ins Meer, um morgen früher zu sehen, Was Jahrhunderte schon göttliche Lust dir gewährt: Diese feuchten, mit Rohr so lange bewachsnen Gestade, Diese mit Bäumen und Busch düster beschatteten Höhn. Wenig Hütten zeigten sie erst; dann sahst du auf einmal Sie vom wimmelnden Volk glücklicher Räuber belebt. Alles schleppten sie drauf an diese Stätte zusammen: Kaum war das übrige Rund deiner Betrachtung noch wert. Sahst eine Welt hier entstehn, sahst dann eine Welt hier in Trümmern, Aus den Trümmern aufs neu fast eine größere Welt! Daß ich diese noch lange von dir beleuchtet erblicke, Spinne die Parze mir klug langsam den Faden herab, Aber sie eile herbei, die schön bezeichnete Stunde! -- Glücklich! hör ich sie schon? Nein, doch ich höre schon Drei. So, ihr lieben Musen, betrogt ihr wieder die Länge Dieser Weile, die mich von der Geliebten getrennt. Lebet wohl! Nun eil ich und fürcht euch nicht zu beleidgen: Denn ihr Stolzen, ihr gebt Amorn doch immer den Rang. 16. »Warum bist du, Geliebter, nicht heute zur Vigne gekommen? Einsam, wie ich versprach, wartet ich oben auf dich.« -- Beste, schon war ich hinein; da sah ich zum Glücke den Oheim Neben den Stöcken, bemüht, hin sich und her sich zu drehn. Schleichend eilt ich hinaus! -- »O welch ein Irrtum ergriff dich! Eine Scheuche nur wars, was dich vertrieb! Die Gestalt Flickten wir emsig zusammen aus alten Kleidern und Rohren, Emsig half ich daran, selbst mir zu schaden bemüht.« -- Nun, des Alten Wunsch ist erfüllt: den losesten Vogel Scheucht' er heute, der ihm Gärtchen und Nichte bestiehlt. 17. Manche Töne sind mir Verdruß, doch bleibet am meisten Hundegebell mir verhaßt: kläffend zerreißt es mein Ohr. Einen Hund nur hör ich sehr oft mit frohem Behagen Bellend kläffen, den Hund, den sich der Nachbar erzog. Denn er bellte mir einst mein Mädchen an, da sie sich heimlich Zu mir stahl, und verriet unser Geheimnis beinah. Jetzo, hör ich ihn bellen, so denk ich mir immer: sie kommt wohl! Oder ich denke der Zeit, da die Erwartete kam. 18. Eines ist mir verdrießlich vor allen Dingen, ein andres Bleibt mir abscheulich, empört jegliche Faser in mir, Nur der bloße Gedanke. Ich will es euch, Freunde, gestehen: Gar verdrießlich ist mir einsam das Lager zu Nacht. Aber ganz abscheulich ists, auf dem Wege der Liebe Schlangen zu fürchten, und Gift unter den Rosen der Lust, Wenn im schönsten Moment der hin sich gebenden Freude Deinem sinkenden Haupt lispelnde Sorge sich naht. Darum macht Faustine mein Glück: sie teilet das Lager Gern mit mir, und bewahrt Treue dem Treuen genau. Reizendes Hindernis will die rasche Jugend; ich liebe, Mich des versicherten Guts lange bequem zu erfreun. Welche Seligkeit ists! wir wechseln sichere Küsse, Atem und Leben getrost saugen und flößen wir ein. So erfreuen wir uns der langen Nächte, wir lauschen, Busen an Busen gedrängt, Stürmen und Regen und Guß. Und so dämmert der Morgen heran; es bringen die Stunden Neue Blumen herbei, schmücken uns festlich den Tag. Gönnet mir, o Quiriten! das Glück, und jedem gewähre Aller Güter der Welt erstes und letztes der Gott! 19. Schwer erhalten wir uns den guten Namen, denn Fama Steht mit Amorn, ich weiß, meinem Gebieter, in Streit. Wißt ihr auch, woher es entsprang, daß beide sich hassen? Alte Geschichten sind das, und ich erzähle sie wohl. Immer die mächtige Göttin, doch war sie für die Gesellschaft Unerträglich, denn gern führt sie das herrschende Wort; Und so war sie von je, bei allen Göttergelagen, Mit der Stimme von Erz, Großen und Kleinen verhaßt. So berühmte sie einst sich übermütig, sie habe Jovis herrlichen Sohn ganz sich zum Sklaven gemacht. »Meinen Herkules führ ich dereinst, o Vater der Götter«, Rief triumphierend sie aus, »wiedergeboren dir zu. Herkules ist es nicht mehr, den dir Alkmene geboren: Seine Verehrung für mich macht ihn auf Erden zum Gott. Schaut er nach dem Olymp, so glaubst du, er schaue nach deinen Mächtigen Knieen -- vergib! nur in den Äther nach mir Blickt der würdigste Mann, nur mich zu verdienen, durchschreitet Leicht sein mächtiger Fuß Bahnen, die keiner betrat; Aber auch ich begegn ihm auf seinen Wegen und preise Seinen Namen voraus, eh er die Tat noch beginnt. Mich vermählst du ihm einst: der Amazonen Besieger Werd auch meiner, und ihn nenn ich mit Freuden Gemahl!« Alles schwieg; sie mochten nicht gern die Prahlerin reizen: Denn sie denkt sich, erzürnt, leicht was Gehässiges aus. Amorn bemerkte sie nicht: er schlich beiseite; den Helden Bracht er mit weniger Kunst unter der Schönsten Gewalt. Nun vermummt er sein Paar: ihr hängt er die Bürde des Löwen Über die Schultern und lehnt mühsam die Keule dazu, Drauf bespickt er mit Blumen des Helden sträubende Haare, Reichet den Rocken der Faust, die sich dem Scherze bequemt. So vollendet er bald die neckische Gruppe; dann läuft er, Ruft durch den ganzen Olymp: »Herrliche Taten geschehn! Nie hat Erd und Himmel, die unermüdete Sonne Hat auf der ewigen Bahn keines der Wunder erblickt.« Alles eilte: sie glaubten dem losen Knaben, denn ernstlich Hatt er gesprochen; und auch Fama, sie blieb nicht zurück. Wer sich freute, den Mann so tief erniedrigt zu sehen, Denkt ihr? Juno. Es galt Amorn ein freundlich Gesicht. Fama daneben, wie stand sie beschämt, verlegen, verzweifelnd! Anfangs lachte sie nur: »Masken, ihr Götter, sind das! Meinen Helden, ich kenn ihn zu gut! Es haben Tragöden Uns zum besten!« Doch bald sah sie mit Schmerzen: er wars! -- Nicht den tausendsten Teil verdroß es Vulkanen, sein Weibchen Mit dem rüstigen Freund unter den Maschen zu sehn, Als das verständige Netz im rechten Moment sie umfaßte, Rasch die Verschlungnen umschlang, fest die Genießenden hielt. Wie sich die Jünglinge freuten, Merkur und Bacchus! sie beide Mußten gestehn: es sei, über dem Busen zu ruhn Dieses herrlichen Weibes, ein schöner Gedanke. Sie baten: Löse, Vulkan, sie noch nicht! Laß sie noch einmal besehn! Und der Alte war so Hahnrei, und hielt sie nur fester. -- Aber Fama, sie floh rasch und voll Grimmes davon. Seit der Zeit ist zwischen den Zweien der Fehde nicht Stillstand: Wie sie sich Helden erwählt, gleich ist der Knabe danach. Wer sie am höchsten verehrt, den weiß er am besten zu fassen, Und den Sittlichsten greift er am gefährlichsten an. Will ihm einer entgehn, den bringt er vom Schlimmen ins Schlimmste. Mädchen bietet er an: wer sie ihm töricht verschmäht, Muß erst grimmige Pfeile von seinem Bogen erdulden; Mann erhitzt er auf Mann, treibt die Begierden aufs Tier, Wer sich seiner schämt, der muß erst leiden; dem Heuchler Streut er bittern Genuß unter Verbrechen und Not. Aber auch sie, die Göttin, verfolgt ihn mit Augen und Ohren: Sieht sie ihn einmal bei dir, gleich ist sie feindlich gesinnt, Schreckt dich mit ernstem Blick, verachtenden Mienen, und heftig Strenge verruft sie das Haus, das er gewöhnlich besucht. Und so geht es auch mir: schon leid ich ein wenig; die Göttin, Eifersüchtig, sie forscht meinem Geheimnisse nach. Doch es ist ein altes Gesetz: ich schweig und verehre: Denn der Könige Zwist büßten die Griechen wie ich. 20. Zieret Stärke den Mann und freies mutiges Wesen, O! so ziemet ihm fast tiefes Geheimnis noch mehr. Städtebezwingerin du, Verschwiegenheit! Fürstin der Völker! Teure Göttin, die mich sicher durchs Leben geführt, Welches Schicksal erfahr ich! Es löset scherzend die Muse, Amor löset, der Schalk, mir den verschlossenen Mund. Ach, schon wird es so schwer, der Könige Schande verbergen! Weder die Krone bedeckt, weder ein phrygischer Bund Midas verlängertes Ohr: der nächste Diener entdeckt es, Und ihm ängstet und drückt gleich das Geheimnis die Brust, In die Erde vergrüb er es gern, um sich zu erleichtern; Doch die Erde verwahrt solche Geheimnisse nicht, Rohre sprießen hervor und rauschen und lispeln im Winde: Midas! Midas, der Fürst trägt ein verlängertes Ohr! Schwerer wird es nun mir, ein schönes Geheimnis zu wahren, Ach, den Lippen entquillt Fülle des Herzens so leicht! Keiner Freundin darfs ich vertraun: sie möchte mich schelten; Keinem Freunde: vielleicht brächte der Freund mir Gefahr. Mein Entzücken dem Hain, den schallenden Felsen zu sagen, Bin ich endlich nicht jung, bin ich nicht einsam genug. Dir, Hexameter, dir, Pentameter, sei es vertrauet, Wie sie des Tags mich erfreut, wie sie des Nachts mich beglückt. Sie, von vielen Männern gesucht, vermeidet die Schlingen, Die ihr der Kühnere frech, heimlich der Listige legt; Klug und zierlich schlüpft sie vorbei und kennet die Wege, Wo sie der Liebste gewiß lauschend begierig empfängt. Zaudre, Luna, sie kommt! damit sie der Nachbar nicht sehe; Rausche, Lüftchen, im Laub! niemand vernehme den Tritt. Und ihr, wachset und blüht, geliebte Lieder, und wieget Euch im leisesten Hauch lauer und liebender Luft, Und entdeckt den Quiriten, wie jene Rohre geschwätzig, Eines glücklichen Paars schönes Geheimnis zuletzt. Die Insel - Elegie Ein Fleck auf einer Karte, Punkt im weiten Meer jenseits der Erdenrundung des Horizonts infinitesimaler Strich der sich erweitert ein Streifen Land taucht auf aus grünen Wellen Es giert und stampft, es rollt im niedrigen Gewelle Entwurf von Castorp der von Clawdia träumt Land kommt in Sicht, und wächst und schwillt Die Insel kommt in Sicht, entsteigt der grünen Fläche bis es das Schiff im Hafen jetzt umschließt an allen Seiten Steiniger Wellenbrecherdamm an beiden Seiten Läuft in den Hafen ein und findet endlich Ruh Jenseits vom steingen Wellenbrecherdamm Jetzt schmiegt's sich an den Kai wie an ein Ruhekissen Es findet Rast, wird zahm, mit Tauen fest gebunden Ein Riesentier, wird zahm, mit Tauen fest gebunden Motoren Donnern nun von Schweigen abgelöst Erschöpft und müde von der weiten Reise alsbald am Horizont ein Strich der sich erbreitet am Horizont ein Strich der langsam wächst Lahnung Mole Hafendamm die Insel wächst am Horizont am Horizont jenseits der Erdenrundung ein Streifen Land enttaucht den grünen Wellen