Subject: am 19. Oktober 2015 From: Ernst Meyer Date: Mon, 19 Oct 2015 22:58:06 -0400 To: Bernd Strangfeld Liebe Gertraud, lieber Bernd, Es gebührt mir mich zu entschuldigen, dass ich während Margaret im Sterben lag, statt persönlich zu schreiben, Euch lediglich Abschriften meiner Korrespondenz mit meinen angeheirateten Geschwistern habe zukommen lassen. Jedoch ermöglichten die brieflichen Umwege, Mitteilung der Dramatik des Geschehens wie sie anderweitig kaum zum Ausdruck gekommen wäre. Nun befinde ich mich ein weiteres, und wohl ein letztes Mal in der Einsamkeit meiner Jugend aus welcher Margaret mich in ein zauberhaft schönes Leben geführt hat; jetzt überwiegt die Dankbarkeit jegliche Trauer, und die mir noch bleibenden Jahre oder Monate werde ich wie im Mondlicht der untergegangenen Sonne überleben. Am Mittwoch, in zwei Tagen also, wird Nathaniel mich nach Nantucket begleiten, wo eine reparaturbedürftige Fernseh- überwachungsanlage auf mich wartet. Wir kommen am selben Tage zurück. Dann, am 31 Oktober, fahren Klemens und ich nach Konnarock. Klemens fliegt weiter nach San Diego, und wenn er nach einer Woche zurückkommt, fahren wir zusammen zurück nach Belmont. Und dann kommt der Winter, von welchem Rilke erzählt dass er endlos ist: XIII Sei allem Abschied voran, als wäre er hinter dir, wie der Winter, der eben geht. Denn unter Wintern ist einer so endlos Winter, daß, überwinternd, dein Herz überhaupt übersteht. Sei immer tot in Eurydike -, singender steige, preisender steige zurück in den reinen Bezug. Hier, unter Schwindenden, sei, im Reiche der Neige, sei ein klingendes Glas, das sich im Klang schon zerschlug. Sei - und wisse zugleich des Nicht-Seins Bedingung, den unendlichen Grund deiner innigen Schwingung, daß du sie völlig vollziehst dieses einzige Mal. Zu dem gebrauchten sowohl, wie zum dumpfen und stummen Vorrat der vollen Natur, den unsäglichen Summen, zähle dich jubelnd hinzu und vernichte die Zahl. Das ist ein geheimnisdräuendes Gedicht, von dem ich hoffe dass mein Zitieren Euch nicht ärgert. Ich verstehe auch nicht, was damit gemeint sein soll; aber vielleicht ist eben dies der Sinn, dass es so unverständlich ist wie das Leben selbst. So bin ich zu einem Punkt gekommen, wo der Gedankenfaden reißt, und nichts übrig bleibt als Auf Wiedersehen und Gute Nacht zu schreiben. Nächstens mehr, das vielleicht sinnvoller ist. Euer Jochen