Subject: Es wird mal wieder Zeit! From: "Bernd Strangfeld" Date: Sun, 29 Jan 2017 13:32:35 +0100 To: Ernstmeyer Lieber Jochen, schon wieder ist so viel Zeit vergangen, und wahrlich ziemlich gruselige Zeiten mit den unglaublichste Ereignissen. Was ist bloß mt den Amerikanern los? Man kommt sich vor wie in einem Alptraum, und wenn man meint, jetzt müsse man doch allmählich aufwachen, befindet man sich im Dauergruselfilm. "Land of the Free" oder "God's own Country" - man fasst es nicht. Du machst Dir sicher auch ziemlich unfrohe Gedanken. Wie ist der Winter bei Euch? Hast Du Dich wieder in sämtliche Eisbärfelle gehüllt? Und was macht die leidige Nantucket-Sage? Der guten Jeane hast Du ja einen riesigen Gefallen getan, was für ein Erfolg! Und ansonsten: Neues von Nathaniel? Das finde ich immer spannend. Wir waren mal wieder verreist, nach den 2 Wochen Lübeck und einer Pause zu Hause eine Woche München, wo wir bei Freunden gewohnt haben. Richard ist ein ehemaliger Schüler aus unseren Schwandorfer Zeiten, und mit seiner Frau verstehen wir uns auch sehr gut. Wir hatten sie zu einer Oper eingeladen, eigentlich an eine klassisch schöne Belcanto-Oper gedacht, aber vor einem Jahr hat in München in der Bayerischen Staatsoper "South Pole", Libretto vn Tom Holloway, Musik von Miroslav Srnka, Premiere gehabt, wurde überall hoch gepriesen, ud da gelang es uns, für eine Aufführung ein Jahr später Karten zu bekommen, auch für unsere Freunde. Es war ein grandioses, sehr bewegendes Erlebnis. Es geht um die rivalisierenden Expositionen von Scott und Amundsen zum Südpol. Spannend und erschütternd. Unser Freund Richard hatte sich eine Woche Urlaub genommen und zeigt uns viel von München, Bei ziemlich bitterer Kälte und strahlendem SOnnenschein. Die imposante, interessante Technische Universität (er arbeitet da), das wunderbare Lenbach-Haus mit den Bildern des Blauen Reiter, die wir mächtig lieben: Gabriele Münter, Kandinsky, Jewlensky...Wir begrüßten viele alte geliebte Bekannte in all diesen Prächtigen, unerhörten Farben. - Den Olympiapark mit seiner hübsch gestalteten, hügeligen Landschaft, die aus den Trümmern des 2.Weltkrieges errichtet wurde. Den Nymphenburger Park, wo sich an einem Sonntag halb München ergötzte. 5 Kirchen, gotisch, und barock ausgestaltet bzw.überfrachtet. Wusstest Du, dass die Frauenkirche "Marienkirche" oder, noch richtiger, "Mariendom" heißt? Und dass die von Jesuiten erbaute (bzw in Auftrag gegebene) Michaelskirche das zweitgrößte Tonnengewölbe nördlich der Alpen hat? Alle Kirchen waren weiß gestrichen innen und wirkten feierlich. Auch an der neuen Synagoge sind wir vorbei gegangen. Daneben ist eine jüdische Schule, der Schulhof befindet sich auf dem Dach, aus Sicherheitsgründen. Unsere Freunde sind in der bayerischen Volksmusik engagiert, spielen Akkordeon bzw. Trompete und Saxophon, und so führten sie uns zu einem Abend, an dem 7 junge Leute, davon 4 einer Familie zugehörig, auf sehr moderne, zum Teil verfremdende Art solche Musik vortrugen. Eine Drehleier war dabei, ein erstaunliches Instrument! Viel gefroren haben wir draußen, denn es war bitterkalt. Wohl nicht im Vergleich zu Euren Wintern, aber uns hats gereicht. Auf der Rückfahrt machten wir bei Würzburg Rast und stellten fest, dass der Main zugefroren ist, auch Eisbrecher können nchts mehr ausrichten. Stell Dir vor! Wir waren beeindruckt. Ich möchte Dir ein Buch zur Lektüre empfehlen, das ich gerade ausgelesen habe und hochgradig interessant finde: Wolf Biermann, "Warte nicht auf bessre Zeiten" Eine Autobiografie. Du kannst Dich sicher im Internet kundig machen. Biermann ist 1936 in Hamburg geboren, Eltern Kommunisten, Vater Jude, in Auschwitz ermordet. Mit 16 ging Biermann in die DDR, weil ihm das der bessere Staat schien, wurde Liedermacher, sehr politisch, sehr unerschrocken. !965 Auftrittsverbot, 1977 Ausbürgerung in die BRD. Und so weiter. Wir hatten ihn kennengelrnt (nicht persönlich) durch unsere Freunde in Jena, die Feuer und Flamme für ihn waren. Das hat uns sofort angesteckt. Nun ist er 80 geworden. Möge er noch lange leben! So, jetzt wollen wir ein bisschen spazieren gehen. Es beginnt vorsichtig zu tauen, aber der Boden ist noch tief gefroren. Wir hatten einen richtigen Wintermonat. Dir geht es hoffentlich gut, von all den Plagen abgesehen, mit denen Du Dich schon herumschlägst. Friere nicht! Herzlich grüßen Dich Deine Gertraud und Bernd.