Subject: am 13. Februar 2017 From: Ernst Meyer Date: Mon, 13 Feb 2017 20:51:27 -0500 To: Bernd Strangfeld Liebe Gertraud, lieber Bernd, Über Gertrauds Brief vom 2.8. hab ich mich sehr gefreut. Vielen Dank. Beantworte ihn fast umgehend der Wirtschaflichkeit halber, weil das alte Gedächtnis so löchrig ist; was es heute beschäftigt ist morgen verschwunden. Die Hüftenoperationen die Gertraud erwähnte, hab ich natürlich in Erwägung gezogen, mit dem Beschluss diese Unterbrechung meines täglichen Lebens vorläufig hinauszuschieben, weil die Gelenkbeschwerden mein Denken, mein Erleben, mein Schreiben in keiner Weise beeinträchtigen; indessen zwei keineswegs geringfügige chirurgische Ein- oder Angriffe eine unvermeidliche und vielleicht unumkehrbare Unterbrechung meiner Tätigkeiten verursachen würden. Etwas anderes, wenn ich mich langweilte und mein Leben der dramatischen medizinischen Technik bedürfte um es sinnvoll zu machen. Da halte ich es mit dem englischen Sprichwort: He who fights and runs away, will live to fight another day. Dass ich seit Margarets Tod meine Tage, Wochen, Monate in beträchtlicher Einsamkeit verbringe, soll keineswegs beklagt sein; schon als junger Mensch hatte ich mir ein einsames Leben vorgestellt, das mir mit der märchenhaften Ehe für dreiundsechzig Jahre erlassen wurde, dreiundsechzig Jahre die mir zu umso besserer Vorbereitung dafür dienten. Jetzt verbringe ich meine Tage mit dem Aufschreiben von was ich erlebt habe, mit der Beschreibung der Welt - und meiner selbst - wie ich sie kennen gelernt habe; schreibe nicht um das Urteil einer Leserschaft für mich zu gewinnen, schreibe in mich hinein um mich zu ergründen. Das hört sich verrückt an; das ist verrückt. Aber wenn einer sein Glück im Verrücktsein findet, warum nicht? In der Nantucket Angelegenheit erlaube ich mir den Spaß eines letzten, abschließenden Abenteuers: An application for further judicial review. Das ist ein Antrag an das höchste Staatsgericht, the Supreme Judicial Court, das im Staat Massachusetts eine Rolle spielt vergleichbar mit der U.S. Supreme Court im Bund. Ich weiß nicht ob ich mir Genehmigung oder Ablehnung wünschen sollte. Genehmigung würde das Schauspiel mit einem weiteren Akt verlängern, würde mich aber zur Herstellung von 21 Kopien der einschlägigen Dokumente verpflichten. Das betrügen (welch passender Ausdruck) etwa 21.000 Seiten in 105 Bände eingebunden, selbstverständlich selbstmacherisch, fast kostenlos von mir selbst verfertigt. Ich schätze drei Wochen Arbeit. Abgelehnt machte der Spaß mir überhaupt keine Mühe, und würde mir den gleichen schlüssigen Beweis für das Rechtswesen erstellen, um den es mir geht. Inzwischen mache ich mir Notizen für einen achten Band in meiner Romanserie, mit mehreren Kapiteln der dialektischen Darstellung der Nantucket Verfahren. Der chirurgische Einbau künstlicher Hüften muss warten. Vorerst aber erlaubt mir Euch für Eure Nachsicht mit dem Unsinn den mein Gemüt entwirft zu danken; und mich zu entschuldigen dafür dass ich Euch mit diesem Unsinn belästige. Herzliche Grüße an Euch beide. Jochen