Subject: am 4. April 2017 From: Ernst Meyer Date: Tue, 04 Apr 2017 20:19:12 -0400 To: Bernd Strangfeld Liebe Gertraud, Dank für Deinen Brief vom 30. März. Weiß nicht wie ich ihn beantworten soll, es sei denn mit der Bitte um Entschuldigung Dich mit unliebsamen Gedanken und Gefühlen belästigt zu haben, aber ich weiß nicht was sonst. Meine Fehlerhaftigkeit ist Ergebnis, so scheint es mir, nicht aus meinen Handlungen, nicht einmal aus meinen Worten, sondern ganz einfach aus meinem Wesen, aus dem der ich bin, aus einem Wesen das ich nicht zu ändern vermag. Und da es mir unmöglich ist mich zu ändern, ist's überflüssig zu erwägen ob ich mich ändern wollte, wenn ich es könnte. War im Begriff zu schreiben: Dass Margaret mich 63 Jahre lang ertragen hat, dünkt mich ein Wunder. Da fällt mir auf dass das Wunder ein religiöser Begriff ist, den ich in einem Brief an Dich nicht erwähnen darf. Nun weiß ich weder aus noch ein, und muss bei Hölderlin Obdach suchen: Abendphantasie Vor seiner Hütte ruhig im Schatten sitzt Der Pflüger, dem Genügsamen raucht sein Herd. Gastfreundlich tönt dem Wanderer im Friedlichen Dorfe die Abendglocke. Wohl kehren itzt die Schiffer zum Hafen auch, In fernen Städten, fröhlich verrauscht des Markts Geschäft'ger Lärm; in stiller Laube Glänzt das gesellige Mahl den Freunden. Wohin denn ich? Es leben die Sterblichen Von Lohn und Arbeit; wechselnd in Müh' und Ruh' Ist alles freudig; warum schläft denn Nimmer nur mir in der Brust der Stachel? Am Abendhimmel blühet ein Frühling auf; Unzählig blühn die Rosen und ruhig scheint Die goldne Welt; o dorthin nimmt mich Purpurne Wolken! und möge droben In Licht und Luft zerrinnen mir Lieb' und Leid! – Doch, wie verscheucht von töriger Bitte, flieht Der Zauber; dunkel wirds und einsam Unter dem Himmel, wie immer, bin ich – Komm du nun, sanfter Schlummer! zu viel begehrt Das Herz; doch endlich, Jugend! verglühst du ja, Du ruhelose, träumerische! Friedlich und heiter ist dann das Alter. Hölderlin Herzliche Grüße an Bernd und an Dich. Jochen