Subject: Fortsetzung From: Ernst Meyer Date: Thu, 06 Apr 2017 19:00:13 -0400 To: Bernd Strangfeld Liebe Gertraud, Du magst erinnern, wie ich, aufgrund der Sprachlosigkeit die mich befiel in Angesicht der Ratlosigkeit, im Seelischen die Religion und im Geistigen die Philosophie zu entbehren, meinen letzten Brief mit einer Flucht zu Hölderlin beschließen musste. Gestern machte ich, in Gesellschaft von Klemens, einen Ausflug auf die berüchtigte Insel. Während Hin und Rückfahrt auf der Schnellfähre Iyanough, - der Name - zynisch ironisch - ein Denkmal für einen der vielen ausgerotteten Indianerhäuptlinge - amüsierte ich mich ironisch mit dem Lesen der Beschreibung einer solchen Überfahrt im vierten Band meiner Romanserie "Vier Freunde", und bei dieser Lektüre ging mir ein Licht auf, was Literatur den eigentlich sein müsste: Vergnügung, Unterhaltung, Zeitvertreib. Und womit vermöchte ich Dich besser zu unterhalten als mit der Beschreibung ausgerechnet dieser Reise. Wohlbemerkt, Reisen besagt keine Notwendigkeit mit wagnerischer Besessenheit Tannhäuser oder gar Parsifal zu spielen. Außerdem möchte es möglich sein mit einer Reisebeschreibung, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: 1) meine Obliegenheit Dir einen bereinigten, von Philosophie und Religion unbeschwerten Brief zu schreiben, 2) mein Bedürfnis bei zunehmendem Erinnerungsschwund, für ein schriftliches Ersatzgedächtnis. Also los! Am Tag zuvor, am 4.4.2017, bereitete ich den Proviant: 1 Rolle Klosettpapier, 1 Rolle Papierhandtuch, 1 Liter heißen Tee, 1 Liter heißen Kaffee, 2 Liter Trinkwasser, 8 Liter Waschwasser, 2 Unterhosen, 8 doppelte mit Schinken und Käse belegte Brotscheiben, 4 doppelte mit Butter und Erdbeermus bestrichene Brotscheiben, acht Mandarinen. Verstaute alles im Auto am Abend zuvor. Reservationen waren gemacht für die Schnellfähre die um 8:15 Uhr von Hyannis ausläuft. Klemens hatte die Belmont Abfahrszeit auf 5:15 Uhr bestimmt, entschied sie dann, wegen der Wetteransage von dichtem Nebel, auf 4:30 Uhr vorzuschieben. Ich saß um 4:25 Uhr im Auto; auch Klemens erschien 5 Minuten verfrüht. Die Autofahrt von Belmont nach Hyannis (113 Km) war ereignislos; von Nebel keine Spur. Klemens am Steuer. Um 5:55 Uhr stellte er den Wagen auf dem bevorzugten Parkplatz unmittelbar am Kai ab. Wir blieben beide im Auto und holten anderthalb Stunden versäumten Schlaf nach. Mussten dann Schlange stehen um auf die Fähre zu gelangen; ihrer Bequemlichkeit halber ließen die Reedereibürokraten uns und andere Fahrgäste eine halbe Stunde in 9 Grad Celsius Kälte frösteln, eh sie uns Einlass zur Fähre gewährten. Drinnen war es gemütlich warm. Hatte einen Sitzplatz am Fenster und las in meinem Roman, wärend der Katamaran im 50 Kmtempo über Nantucket Sound flitzte. Auf der Insel angelangt, humpelte ich am Stock von der Fähre an land, während unzählige junge gesunde Menschen, deren Eile ich im Wege war, rechts und links an mir vorbeiströmten. Mit ihnen, Klemens um eine Taxe zu belegen. Ein freundlicher dunkler Fremdling von irgendwo in der Karibik fuhr uns an unser verwunschenes Haus auf der öden Heide. Es schien unversehrt. Klemens benachrichtigte Herrn Klempnermeister Whelan von unsrer Ankunft. Der erschien unverzüglich. Inspizierte meine Anlage. Im Keller, sagte er müsste manches abgeändert werden. In den beiden oberen Stockwerken schien die Anlage ziemlich in Ordnung. Von "alles abreißen" kein Wort. Fand bemerkenswert, dass ich sie überhaupt hätte einbauen können. Würde mit dem Inspektor über das Ausmaß der erforderten Änderungen verhandeln. Klemens gab ihm einen Schlüssel zur Vordertür, und Herr Whelan verabschiedete sich. Als er fort war, fragten Klemens und ich einander ob die achtjährige Unterbrechung des Baus vielleicht nun wirklich zu Ende sein möchte, und mahnten uns gegenseitig, dass man den Tag nicht vor dem Abend loben soll. Im Laufe seiner Untersuchung hatte Mr. Whelan zwei zerbrochene Zuflussrohre bemerkt. Er mutmaßte, infolge des Einfrierens. Klemens untersagte mir Mr. Whelans Erklärung zu bestreiten, stimmte mit mir aber überein, dass es sich um absichtliche Beschädigung handelte, vermutlich bei einem Einbruch vor etwa drei Monaten, Beschädigung von uns bis jetzt übersehen. Weiß nicht ob ich Dir berichtete, dass damals ein Einbrecher durch ein unverschlossenes Fenster gestiegen war und sämtliche Videokameras verdreht hatte. Dass er (oder sie - ich will dem anderen Geschlecht alle Ehre erweisen) auch die Klempneranlage angegriffen, hatten wir bis jetzt übersehen. Bemerkenswert, dass der zuständige Polizeibeamte meinte, die Kameraverdrehung wäre wahrscheinlich das Tun von Handwerkern, - deren es keine gab - die nicht bei der Arbeit beobachtet werden wollten, oder von obdachlosen Hausbesetzern - von denen keine Spur, - und sich weigerte zu versuchen mittels von Fingerabdrücken die Identität des Einbrechers festzustellen. So geht's im Leben. Aber die Last, wenn sie bestünde, sollte nicht den armseligen Inselbehörden aufgehalst werden, jedenfalls nicht nur, denn aus den Revisionsgerichtsentscheidungen lässt sich entnehmen, dass für die Urteile dieser Gerichte politische Erwägungen entscheidend sind, Wahrheitskriterien aber entbehrlicher Schmuck. Ich beklage mich nicht, bin dankbar für die Aufklärung und ein wenig verwundert dass ich 87 Jahre bedurfte sie zu erfahren. Hoffe, dass Du alldies eben so interessant und amüsant findest wie ich. Herzliche Grüße, auch an Bernd. Jochen