Subject: Diesmal hoffentlich vollständig! From: "Bernd Strangfeld" Date: Wed, 30 Aug 2017 12:34:15 +0200 To: Ernstmeyer Lieber Jochen, herzlichen Dank, dass Du auf mein letztes Fragment, das auf mein technisches Unvermögen und die Boshaftigkeit unseres Computers zurückzuführen ist, so großzügig geantwortet hast. Plötzlich war alles weg, und bevor irgendwelche Reparaturversuche das Vorhandene völlig zerstörten, habe ich einfach auf "Senden" gedrückt, damit wenigstens etwas Dich erreichte. Danach war ich erst einmal frustriert. Dir kann dergleich ja sicher nicht passieren. Es gibt so viele Anknüpfungspunkte - wo beginnen? Vielleicht chronologisch Deinem Brief entlang. Freunde - ein etwas schwieriges Thema, denn viele unserer engen Anfangsfreundschaften in Kierspe gibt es nicht mehr (Scheidungen, Trennungen, Wegzug, Kinder und damit ganz andere Verknüpfungen), und viele unserer ältesten Freundschaften wohnen weit entfernt, in Berlin, Konstanz, Weimar ( da ist ja ein richtiges Nest), England, und Julie in Minnesota. Dann waren wir ja etliche Jahre weg, in Frankreich, sind auch gar noch weggezogen, was eine Absichtserklärung war, so dass wir seit nunmehr 9 Jahren, seit unserem RÜckzug, daran arbeiten, alte Bekannte und Freunde wiederzugewinnen, was ein manchmal mühseliges Geschäft ist. Aber dieses Jahr gibt es viele hoffnungsvolle Zeichen. In Frankreich tauchen wir ja immer nur etwas partiell auf, ohne Vergangenheit, das macht vieles einfacher, und da wir uns selten sehen, ist die Freude groß. Adams Sekretärin? Ach nein. Adam handelte ja im AUftrag, während wir ganz freiwillig uns all den kleinen Tierchen und ihrer ihrer riesig großen, fast unendlichen Welt zuwenden, in der Tat mit großer Begeisterung und Entdeckungsfreude,oft mit existentiellem Jubel. Namen sind enorm wichtig, um ein wenig Ordnung zu schaffen und den Horizont zu erweitern. Aber das kannst Du Dir sicher alles selber vorstellen. Ja, wir sind sehr froh, dass wir uns so erfreuen können, und das auch noch gemeinsam, in absoluter Eintracht. Das ist ein enormes Bindeglied, und war es von Anfang an. IN unserer allerersten Ehezeit, als wir Referendare in Lüneburg waren, hat uns die Leidenschaft des Pilze-Entdeckens aus mancher Not und Panik gerettet, und allmählich erweiterten wir das Spektrum. Der Nachteil ist, dass wir überall nur ein wenig an der Oberfläche kratzen, anstatt uns in ein einziges Gebiet ganz intensiv und ausschließlich zu vertiefen. Aber dafür ist die Welt zu verlockend, um so vieles wegzulassen. So könnte ich Dir stundenlang von besonders erfreuenden Funden berichten, lasse es aber, klar. Es wundert mich, dass Du ziemlich wenig Kontakt mit Klemens hast. Das schien mir früher anders, obwohl ich ja nur wenig Gelegenheit zur Beobachtung hatte. Kann schon sein, dass Schwerhörigkeit ein ernsthaftes Hindernis ist. Ein Jammer, dass die kluge und fortschrittswütige Menschheit hier nicht schon längst Hilfe ersonnen hat! Dein "Danklied" ist schon in vieler Hnsicht überzeugend, Einsamkeit erspart einem viele Konflikte, und wenn Du so positiv gestimmt bist hinsichtlich der Abwesenheit von allerlei Verpflichtungen, lebst Du auf die Dir gemäße Weise. Meine schon öfter erwähnte Freundin Helga sieht das ähnlich. Möge das alles von einem guten, schnellen Ende gekrönt sein, aber bitte noch lange nicht! Die Sache mit dem Wahnsinn erfordert sehr intensives, schmerzend bohrendes Nachdenken. (Vorweg: Ich finde nicht, dass Deine Gedanken von Wahnsinn zeugen, jedenfalls nicht von Deinem.) Das Erste, das mir dazu einfällt, ist die Reaktion so vieler, vielr Menschen auf den Fall der Mauer 1989, das WOrt, das Ungläubigkeit und jubelnde Begeisterung ausdrückte, Unfähigkeit, die Gefühle feingliedrig auszudrücken, aber das Bedürfnis, all das Staunen, die Freude, das Empfinden von einem unerhörten Wunder zu formulieren. "Wahnsinn!" hörte man allenthalben, dazu strahlende, gerührte, halb lachende, halb weinende Gesichter. Du erinnerst Dich vielleicht. Das ist nicht der Sinn, der Dich bewegt. Ich hoffe inständig, Du erwartest nicht ernsthaft Antworten auf Deine Fragen, den Wahnsinn in Vergangenheit und Gegenwart betreffend. Nach dem 2.Weltkrieg schien die Menschheit ein wenig geheilt von wahnsinnigen Ideen, aber das erwies sich ja leider schnell als Irrtum.Könnte man das, was abweicht von Gedanken und Taten, die zum Wohl der Lebewesen dienen, die einen Sinn haben und damit etwas Gutes bezwecken das ist vielleicht nur meine, simple Definition- als Wahn-Sinn bezeichnen? Da hinein passt nicht Deine Ehe. Aber vielleicht mehr allgemein und formal,etwas, das vom "normalen" (oh je, was ist das?) Weg oder Sein abweicht? Hilfe, schon 3mal musste Bernd diesen Brief aus höchter Not retten, und jetzt höre ich lieber auf, bevor meine wertvollen Beiträge gefressen werden! Ein andermal hoffentlich mehr! Dir wünsche ich genug Lebensfreude, um weiter zu schreiben und zu denken! Viele Grüße! Gertraud und Bernd.