Subject: Fwd: Aw: am 28. September 2017 From: Ernst Meyer Date: Fri, 29 Sep 2017 14:11:09 -0400 To: Gertraud Strangfeld -------- Original Message -------- From: Dr. med. Reinhold Busch To: Ernst Meyer Subject: Aw: am 28. September 2017 Date: Fri, 29 Sep 2017 11:21:54 +0200 Lieber Herr Kollege Meyer, recht herzlichen Dank für Ihre reichlich ausführlich ausfallende Antwort! Da hatte also Antonie Gerson nicht so ganz unrecht mit der Schilderung des Charakters Ihres Großvaters. So ganz verstehe ich aber nicht, was Ihr Lieblingszitat aus dem Buch Jesaja mit ihm zu tun hat. Ich verstehe das Zitat eher mit der Ankündigung des kommenden Messias, das ihm ja zugeschrieben wird. In Ihrem Lebenslauf sind Sie wohl der Vorgänger Ihres Enkels Nathaniel, der ja auch Deutsch, Literatur und Philosophie studiert hat. Ich bewundere immer Menschen, die nicht einspurig ein bestimmtes Berufsziel verfolgen, sondern mit ihren vielfältigen Interessen über den Tellerrand hinausblicken. So wollte ich immer Geschichte studieren bzw. Archäologe werden; leider brachten mich "Berufsberater" von diesem Weg ab. Da meine Kinder die anthroposophische Waldorfschule besuchten, beschäftigte ich mich viel mit Philosophie und studierte einige Semester an der Fernuniversität meiner Heimatstadt Hagen, zusammen mit etwas Geschichte und Politologie. Das Studium mußte ich schließlich einstellen, weil ich mit meiner Praxis, drei Kindern und einem Pflegekind überfordert war; teilweise parallel dazu war ich noch in der Kommunalpolitik tätig. 1990 bei der Wende war ich im Auftrag der Stadt Hagen in unserer Partnerstadt Smolensk/Rußland, um mich dort umzusehen, wie man der hungernden Bevölkerung vor Ort und den sehr schlecht ausgestatteten Krankenhäuser helfen könnte. Das Ergebnis waren mehrere Hilfskonvois und die Sammlung von 1,5 Millionen DM. Nach meiner Rückkehr gründete ich mit Gleichgesinnten einen Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Hagen-Smolensk und war mehrfach deshalb dort, um mich für die deutsch-russische Aussöhnung eizusetzen. Die heutige Entwicklung unter Putin gefällt mir als liberalem Demokraten überhaupt nicht ... Seit 1995 sammle ich die Erinnerungen deutscher Wehrmachtsärzte im Rußlandfeldzug und veröffentlichte 16 Bücher, darunter 10 über Stalingrad. Die Biografien führten mich zu einem einsemestrigen Gaststudium an der Fernuniversität Hagen über "Formen der Psychotherapie", das auch meie Frau absolvierte und sich danach zu einer Weiterbildung zur Psychotherapeutin entschloß. Zusammen machten wir dann noch eine zweijährige Ausbildung in Systemischer Familientherapie (Familienaufstellungen nach Bert Hellinger); diese Tätigkeit habe ich aber nicht ausgeübt, sondern sie kommt meiner biografischen Arbeit zugute. Erwähnen möchte ich noch, daß meine Frau und ich drei Jahre in Liberia und Zambia gearbeitet und Krankenpflegepersonal ausgebildet haben, wobei ich natürlich mein kümmerliches Schulenglisch aufpolieren mußte. Zuletzt war ich 2004 für enen Monat in Malawi, wohin ich meine jüngste Tochter zu einer Famulatur mitnahm und ihr einiges über Tropenmedizin vermitteln konnte. Vorher hatte ich meine pneumologische Praxis verkauft, um endgültig Zeit für die Historiografie zu haben (übrigens wird mein Buch "Survivors of Stalingrad", ein Abfallprodukt meiner Beschäftigung mit Ärzten, in den USA vertrieben. Erstaunlicherweise ist es mein erfolgreichstes geworden und gerade in polnischer, türkischer, rumänischer und spanischer Sprache herausgegeben worden). Mit Religion habe ich mich auch immer wieder beschäftigt, aber weil ich aus dem christlichen Glaubensbekenntnis nicht einen einzigen Satz bestätigen kann, bin ich aus der evangelisch-lutherischen Kirche ausgetreten. Nach eingehender Lektüre des Pali-Kanons des Buddhismus neige ich eher den Erfahrungs- denn den Buchreligionen zu. Eigentlich bin ich eher Atheist im wörtlichen Sinn (Agnostiker, der nicht an einen persönlichen Gott glaubt). Was soll man auch mit einem sog. Gott anfangen, der den Holocaust zugelassen hat? Ich halte diese Idee eines Gottvaters für eine menschliche Erfindung und werde durch die zahlreiche Literatur von Atheisten mit Nobelpreis bestätigt ... Mich begeistern eher die Ethik-Bücher von Sam Harris. Die beiden Bücher über die Verfolgung jüdischer Familien in meiner Heimatregion habe ich mit Herzblut geschrieben und beim ersten eine Lesung in der Hagener Synagoge gehalten. Ich hoffe, daß ich jetzt einen Verlag finden werde, der sich auch um die Werbung kümmert, und daß mir von den zahlreichen Abkömmlingen der Familie Rosenthal keine Steine in den Weg gelegt werden (es müßten weit über einhundert sein, von denen ich jetzt Kenntnis habe; wöchentlich finde ich neue). Mit freundlichen, kollegialen Grüßen Reinhold Busch *Gesendet:* Freitag, 29. September 2017 um 04:44 Uhr *An:* "Dr. med. Reinhold Busch" *Betreff:* am 28. September 2017 Lieber Herr Kollege Busch, Herzlichen Dank für die Übersendung Ihrer verständnisvollen Schilderung der Geschichte meiner Familie. Zum ersten Mal seit Jahren spürte ich Tränen auf den Wangen. Ich wischte sie mit dem Handrücken ab. Leinene Taschentücher gibts in der heutigen Welt nicht mehr. Ich möchte Ihnen behilflich sein, indem ich auf die Verwechslungen des Namens meines Enkels in ihrem Text hinweise, nicht Daniel oder Nathan sondern ein und für alle Mal Nathaniel. Mein Vater, als "Volljude" war der Stein des Anstoßes für die Nazis; gegen meine Mutter, eine offenbar intelligente, anmutige 40 jährige "arische" Frau, hatten sie nichts einzuwenden, wenn sie sich nur von ihrem Ehemann scheiden ließe; betreffs uns "halb-jüdischen", 8, bezw. 10 Jahre alten Kindern, hatten die Nazis damals noch nicht entschieden, dass sie uns ermorden würden, - das kam erst zwei oder drei Jahre später. Unmittelbar nach mein Vaters Emigration, waren, wenn ich es recht verstehe, meine Schwester und ich gefährdet nur in geringem Maße; unsere Mutter überhaupt nicht. Antonie Gersons von Ihnen zitierte Klage gegen meinen Großvater Joe Meyer: „Ihn mochte niemand, besonders wir Kinder nicht. Er klagte ständig vor Gericht, kämpfte mit Anwälten und war eine sehr dominante Person. Außerdem borgte er sich ständig Geld von der Familie und zahlte mit vollständig abgewertetem Geld zurück. Ich erinnere mich, daß mein Vater lachte und mich rausschickte, um mit dem Geld schnell ein paar Lebensmittel zu kaufen, weil die Preise während der Inflation 1923 täglich stiegen.“ bestätigt mir meine Zugehörigkeit zu meiner Familie, denn die Worte: "Ihn mochte niemand," sind auch auf mich gemünzt. Vor drei Tagen erhielt ich einen Brief von dem Bruder meiner verstorbenen Frau, mit dem ich seit zweiundsiebzig Jahren in freundschaftlicher Verbindung stehe. Der klagte mich an: "I don't think you really respect me. But on the other hand I don't think you respect most people - or perhaps any people." Nun sehe ich, infolge von Antonies Kritik, nicht mich selber, aber meinen zugegeben jähzornigen Großvater als eine tragische Gestalt, auch in Beziehung zu Elfriede und in Beziehung zu seinen drei Söhnen, und nun tröste ich mich für meinen Großvater mit meinem Lieblingszitat aus dem Buch Jesaja 53: 1 Aber wer glaubt unsrer Predigt, und wem wird der Arm des HERRN offenbart? 2 Denn er schoß auf vor ihm wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt noch Schöne; wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. 3 Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, daß man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet. 4 Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. 5 Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. Und mit diesem Bibeltext ist auch Ihr Frage betreffs meiner Beziehung zum Judentum beantwortet, diese Beziehung ist nichts mehr und nichts weniger als dieses Zitat jenen die es verstehen, besagt. Sie fragen nach meinem Lebenslauf. Der äußere ist einfach und schnell geschildert; dem inneren nachzuspüren ist mit Ihrem Vorhaben die zahlreichen Rosenthal Erben zu erforschen unvereinbar. Von außen gesehen geht das Leben schnell und unbeschwerlich vorbei: Ankunft in New York am 31. März 1939, 1. April 1939, bis Anfang September 1939, Pflegekind von Donald uns Sara Flanders, in Chappaqua NY und Canaan NY, http://home.earthlink.net/~ernstmeyer/notes/Flanders.html Die Flanders Loyalitäts Verhandlungen sind im Internet erloschen, verfügbar aber an meinem Netzort unter: 12. Romane, Aufsaetze und Briefe September 1939 bis 14. Oktober 1939, wohnhaft mit den Eltern in einer zwei Zimmer Wohnung am Columbus Circle, New York. 13. Oktober 1939, Anwesenheit beim Eröffnen des ertränkten Liftvan auf Staten Island 15. Oktober 1939 Umzug nach Konnarock, Virginia. Oktober 1939 bis September 1942 wohnhaft im Elternhaus in Konnarock September 1942 bis Dezember 1942, Schulung in Germantown Friends School, Philadelphia, Pflegeeltern Gruber (Vorname vergessen) Januar 1943 bis September 1945, wohnhaft im Elternhaus in Konnarock. September 1945 bis Juni 1946, Schuljahr Germantown Friends School, Philadelphia. Juni 1946 High School Graduation, (Abitur) Germantown Friends School September 1946 bis Juni 1949, Literatur, Geschichte und Philosophie Studium, Harvard College, Juni 1949, Baccalaureus Artium Magna cum Laude, Harvard College September 1949 bis Juni 1950, Studium Vergleichende Literaturgeschichte, Harvard University Graduate School of Arts and Sciences Juni 1950, Magister Artium Vergleichende Literaturgeschichte. 8. März 1952 Vermählung mit Margaret McPhedran September 1950 bis Juni 1954, Medizin Studium Harvard Medical School, Juni 1954 M.D. (Doctor of Medicine) 1954-1955 Praktisches Jahr, Internship Pennsylvania Hospital, Philadelphia 1955-1956 Special Auditor, Department of Philosophy, Harvard University. 11. Dezember 1956, Geburt des Sohnes Klemens Benjamin Meyer 1956-1961 Medizinische Allgemein Praxis, Konnarock und Damascus Virginia 1962-1965 Spezialausbildung als Augenartz, Massachusetts Eye and Ear Infirmary, Boston, MA 1966 Spezialausbildung Glaukom Massachusetts Eye and Ear Infirmary, Boston, MA 1967-1999 Praxis als Augenarzt Cambridge Massachusetts 2000-2017 Praxis als Augenarzt Belmont Massachusetts 14. Oktober 2015 Tod der Ehefrau Soweit das Außen. Was indessen in meinem Gemüt vor sich ging ist in tausenden von Schriftseiten und Briefen, bisher nur zum Teil im Druck und am Netzort veröffentlicht. Der Kern meiner Tätigkeit ist ein "philosophisches" Bestreben Kierkegaards Behauptung (in der Unwissenschaftlichen Nachschrift) die Subjektivität sei die Wahrheit, in den verschiedensten Bereichen der Naturwissenschaften und der Geisteswissenschaften zu prüfen. Anfangs in formalen Aufsätzen, in beiden Sprachen, an meinem Netzort unter: 12. Romane, Aufsaetze und Briefe, dann in Gesprächen erdichteter Personen in meinen Romanen. Mit der Tatsache, dass es für mich keine Leser gibt, und dass ich letzten Endes nur zur eigenen Genugtuung schreibe, habe ich mich längst abgefunden. Weitere Informationen und Photographien um die Sie baten in künftigen e-mails. Inzwischen meine herzlichen Grüße, und nochmals Dank für Ihre Bemühungen. Jochen Meyer