Subject: Dein langer letzter Brief From: "Bernd Strangfeld" Date: Wed, 15 Nov 2017 13:53:24 +0100 To: Ernstmeyer Lieber Jochen, wie schön, einen so langen Brief von Dir zu bekommen! Zunächst die Bilder: die gehen mit heutiger Post an Dich ab. Du kannst also einen weiteren Winkeloder ein Kästchen finden, wo sie Dir gelegentlich begegnen mögen. Wir freuen uns, dass Dr.Buschs lebhaftes Engagement so vieles in Dir wieder in Bewegung gesetzt hat. dass Du in ihm einen Partner (das ist vielleicht übertrieben) gefunden hast, der sich gründlichst für Deine Familiengeschichte interessiert. Erstaunlich finde ich, wie ersich durch all diesevielen Namen und Menschen und Geschichten durchfindet. Ganz unwillkürlich vergleichen wir bisweilen mit unseren eigenen Familiengeschichten. Da ist aber nichts überig geblieben, wir sind die Letzten : Bernds jüngerer bruder hat aus erster Ehe drei Söhne, mit denen er aber nichts zu tun hat, und meine beiden Vettern väterlicherseits haben beide keine Kinder, wir auch nicht - also Schluss. Im Alter schmerzt das schon gelegentlich, das habe ich mir als junger Mensch nicht vorstellen können. Du schreibst, Du beschäftigst Dich von allem mit der Vergangenheit, mit all dem vergangenen Leben, das Du wieder ein bisschen hervorzurufen Dich bemühst. Das kann ich mir gut vorstellen. Wir haben auch seit endlos langen Zeiten Briefe aufgehoben, es gibt viele Kartons und Ordner, die sich im Bücherzimmer und im Keller stapeln. Ein aktiverer Versuch, Vergangenheit und Gegenwart festzuhalten, ist unser Bedürfnis, möglichst vieles zu fotografieren. Menschen, aber noch mehr Pflanzen, Tiere, und in diesem ungeheuerlich fruchtbaren Jahr vor allem Pilze. Der unglaublich vielfältige Formen-und Farbenreichtum versetzt uns immer mal wieder in ernsthaftes Entzücken. Ich galube, damit hätten wir Deine Frau anstecken können. Ja, ich weiß, Du hast Dich immer bemüht, Dich nicht für ein Opfer der Nazis zu halen, weil Du verhältnismäßig glimpflich davongekommen bist. Aber Du weißt auch, dss Dein Leben durch die Vertreibung aus Deutschland entscheidend bestimmt wurde, nicht nur Dein äußerer Lebensweg, sondern vor allem Deine innere Verfassung. Wie will man den Grad der Beschädigung messen? Dass Du in der Nantucket-Affäre Vergleiche ziehst, ist ganz klar. Sie zeigt ein äußerst beschämendes und zutiefst bestürzendes BiLd von der US-amerikanischen Rechtsprechung und macht uns immer wieder fassungslos. Andere US-Staaten scheinen solchen Fragen ganz anders zu handhaben, etwa Kentucky. Einer meine Klassenkameraden besitzt dort ein großes Waldstück und überhaupt ein großes Stück Land und berichtet, es könne absolut tun und lassen, was er wolle. Eine Föderation eben. Dass Du udnd Klemens noch immer nicht den Mut verloren habt, finde ich höchst erstaunlich und wünsche Euch jedesmal viel viel Glück und endlich eine menschenfreundliche Wendung des Schicksals. Vor ein paar Tagen sind wieder viele hundert Kraniche über Kierspe gen Süden gezogen. Das ist die zweite große Welle in diesem Herbst. In den letzten Jahren haben wir noch Ende Januar mehrer kleine Züge gesehen, die wohl gehofft hatten, das mildere Klima erlaube ihnen eine Überwinterung in unseren Breiten. in einigen Gegenden Frankreichs scheint das schon der Fall zu sein. Trotzdem hoffen wir inständig auf ein paar - wenigstens - richtige Winterwochen! Die Igel scheinen überwiegend ihre Winterbehausungen aufgesucht zu haben. Wir hatten ja einiges zu tun mit erwachsenen und jungen Tieren diesen Herbst. Sie erwecken ja immer wieder die Zuneigung und den Fürsorgetrieb der Menschen, nicht immer ist ihnen das bekömmlich. Wir hoffen, wir haben diesmal alles richtig gemacht. Unser Garten mit den vielen stehengebliebenen Wildblumen wie Karde (teasle), Wegwarte (Zichorie) oder Flockenblume (knapweed) ist ein beliebter Tummelplatz für allerlei Vögel, die sich an den Samen laben, etwa Stieglitz, Heckenbraunelle, Meisen, Dompfaffen, BUchfinken, Grünfinken, Spatzen, Amseln. Heute morgen beehrte uns ein Buntspecht. Dazu einige Krähenvögel: Elstern und Eichelhäher. Vom Küchenfenster können wir das alles in Ruhe beobachten. Es tut dem herbstlich vernebelten Gemüt gut! Eines Tages hat eine - wohl junge - Ratte emsig allerlei Sonnenblumenkerne irgendwohin abgeholt. Das haben wir mit gemischten Gefühlen betrachtet, aber das Tier hat natürlich kein Mitspracherecht bei seiner Artbestimmung gehabt und tut auch nur, was ihm in die Gene gelegt wurde. Bis jetzt hat es erst einmal gefroren, weshalb alles noch ziemlich grün ist. Aber Gartentätigkeiten finden bei uns erst im nächsten Frühjahr wieder statt. Eine prächtige rosa Rose schaut uns unverdrossen in die Küche. Du hast sicher wieer beschlossen, im Winter nicht zu frieren? Alles Gute und viel Erfolg bei Deinen Werken! Liebe Grüße,Gertraud und Bernd.