19970120.00

     Die Kernfrage der Ethik, Was muss ich jetzt und hier tun?
bleibt auch von Kierkegaard unbeantwortet.  Die Klage, was bin
ich fuer ein verzweifelter, suendiger Mensch, ist keine Antwort
auf die Frage nach der notwendigen Handlung. Tatsaechlich ist es
ein Ausweichen, eine Ausflucht, welche nur in umstaendlicher
Weise, wenn ueberhaupt, zur Entscheidung von wirklichen, akuten,
"aktuellen" Fragen des Handelnsollens, des Handelnmuessens
dienlich sind.  Diese Unbeholfenheit, diese Unzulaenglichkeit auf
dem Gebiete der Ethik erinnert denn auch an eine vergleichbare
Unzulaenglichkeit kierkegaardschen Denkens auf dem Gebiete der
Erkenntnistheorie.  Im einen Falle wie im anderen bewirkt die
eindringliche Besinnung auf das Persoenliche, auf das Innerliche,
Subjektive, eine Laehmung nicht nur der Handlung, sondern auch
wohl des Urteils ueber die Welt der Gegenstaende in welcher zu
gedeihen unser Glueck, an welcher zu leiden unser Schicksal ist.

     Diese gegenstaendliche, objektive Welt, welche der Mensch
als ausser ihm bestehend betrachtet, ist Erzeugnis der
Vergesellschaftung, darin das Dasein des Menschen besteht.  Die
subjektive, innere, verinnerlichte Welt, hingegen, ist die
Erscheinung, oder sollte ich sagen, die Vorstellung, welche dem
Menschen aus seiner Abgetrenntheit, aus seiner Einsamkeit, aus
seiner Verlorenheit erwaechst. Aber keinen gedanklichen Schemen
oder Schiebereien wird es gelingen diesen Zwiespalt der
menschlichen Natur zu beseitigen; ihn vorlaeufig und provisorisch
zu ueberbruecken, vielleicht.

     Dementsprechend ist es irrtuemlich auf eine Beseitigung des
Zwiespalts zwischen Aussen und Innen zu setzen. Das Einzige was
der suchend Sorgende sich versprechen darf, ist dass ihm die
Kluft zwischen den beiden Bereichen bekannter und vertrauter wuerde,
und dass diese genauere Kenntnis, diese Vertrautheit mit der
Gefahr, ihn hinfort befaehigen moechte sich dort mit gesteigertem
Bewusstsein und mit erhoehter Selbstsicherheit (self-assurance)
zu bewegen.

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