19970406.00

     Edmund Husserls Phaenomenologie, wenn ich sie recht
verstehe, ist ein Versuch die Erscheinung der Welt, wie sie der
Einzelne erlebt, mit dem Bild von der Welt zu vereinbaren welches
die oeffentliche objektive Wissenschaft uns allen vorzeichnet.
Ich stehe unter dem Eindruck, dass Husserl dies objektive
wissenschaftliche Weltbild als entgueltig und entscheidend
anerkennt.  Es mag an einem Mangel philosophischer Bildung
meinerseits liegen, dass es mir unmoeglich ist, diesen Versuch
nachzuziehen.  Wie ich die Phaenomenologie verstehe, scheint sie
mir die Gueltigkeit der gesellschaftlich gedeuteten Welt zu
ueberschaetzen.

     Ich moechte die Mittel und die Methode begreifen mittels
welcher die Phaenomenologie nicht anders als andere Lehren,
(scholastische oder quasi scholastische philosophische Systeme)
ihre Anhaenger ueberzeugen.  Denn Ueberzeugung welche sie
ausloesen, ist keineswegs unecht (spurious).  Doch ist das Pathos
der Ueberzeugung niemals Garantie (Buergschaft) der Wahrheit.
Das gilt sowohl im Bereich des abstrakten Denkens.  Auch die
Inkongruenz, das Missverhaeltnis, die Ungereimtheit, die
Widersinnigkeit, vermag die Ueberzeugung zu beleben.  Wie solche
Ueberzeugung zustande kommt ist von wesentlicher Bedeutung: denn
ungeachtet allgemeiner Voraussetzung, ist der Sinn von
Ausspruechen, Saetzen, Worten niemals eindeutig, sondern fuegt
sich dem Rahmen in welchem sie keimen.  Auch das Denken, die
geistige Taetigkeit, wird von Selbstzufriedenheit und
Genuegsamkeit regiert.  Wie wir sagen, was wir hoeren wollen, so
denken wir, was wir denken wollen, so lassen wir uns von dem
ueberzeugen, wovon wir ueberzeugt sein wollen.  Wenn einer nur
das daechte wovon er unbedingt ueberzeugt sein koennte, -
cartesische Reflexion, - so haette er nichts im Kopfe als das
unstete und eigentlich sehr unwirsche Bewusstsein seiner selbst.
Die Gueltigkeit der sonstigen Welt bedarf aber des Glaubens: und
das woran Descates glaubte, nannte er das Goettliche.  Eine
triftigere Begriffsbestimmung des "Goettlichen" vermag ich nicht
mir vorzustellen.

     Die so verdeckten oder verarbeiteten Ungereimtheiten, welche
das Denken in Kauf nimmt um der Erfuellung des Wunsches willen,
sie sind es die ihren Ausdruck in der Aporie oder in der
Dialektik finden; und darum hat das dialektische und das
aporetische Denken dem apodiktisch dogmatischen gegenueber, einen
so hohen Vorrang, eine so grosse Wuerde und einen so hohen Glanz.

     Hieraus erklaert sich nun auch das Bestreben nach einer
aporetischen oder dialektischen Ausfuehrung der Gedanken; Es
kommt nicht darauf an Probleme zu loesen; denn sie sind ihrem
Wesen nach unloesbar.  Wesentlich ist, sie erkannt zu haben.  Und
vielleicht ist sogar dieser Anspruch ein zu hoher.  Wenn die
Erkenntnis des Problems nicht schon dessen Loesung ist, dann ist
es wahrscheinlich, dass das Problem eine Loesung ueberhaupt nicht
hat.  Dann droht die Gefahr eine irrtuemlichen Versuchs das
Problem mit einer allgemeinen objektiven Lehre abzutun.

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