19970421.00

     Das objektive Wissen, die objektive Vorstellung ist
unentbehrlicher Teil menschlicher geistiger Taetigkeit.  Es ist
ein Irrtum, vielleicht sogar eine Unaufrichtigkeit, zu behaupten
dies Wissen sei nichtig oder schlechthin unwahr.  Es ist
unannehmbar zu behaupten die Objektivitaet sei die Luege und die
Subjektivitaet sei die Wahrheit.

     Andererseits aber ist die Wahrheit der Objektivitaet
begrenzt.  Zu lange schon haben wir uns zu der Annahme verleiten
lassen Objektivitaet sei das unbedingte Kriterion der Wahrheit.
Wir haben es erlaubt, wenn nicht gar gutgeheissen, dass Wert und
Wahrheit der Subjektivitaet verneint wurden.  Nun sind wir
versucht uns einer ueberschwaenglichen Gegenbehauptung zu
bedienen um das gedanklich-begriffliche Gleichgewicht wieder
herzustellen. Das fuehrt leicht zu Missverstaendnissen.

     Das objektive Wissen besitzt weder unbedingte Gueltigkeit,
noch ist es unbedingt ungueltig.  Die weit verbreiteten und
intensiven Bemuehungen die verhaeltnismaessige Gueltigkeit des
objektiven Wissens zu steigern, duerfen aber keineswegs zu der
Annahme verleiten, dass ein unbedingt gueltiges objektives Wissen
erreichbar sei; oder gar historisch unmittelbar bevorstehend.
Die Maengel und die Unzulaenglichkeiten des objektiven Wissens
sind in ihm inbegriffen; und koennen nicht von ihm entfernt
werden.  Mit anderen Worten: das objektive Wissen laesst sich
nicht irgendwie laeutern oder klaeren oder von den ihm
inbegriffenen Maengeln bereinigen.

     Diese Maengel des objektiven Wissens moegen folgenderweise
zusammengefasst werden:
1. Das objektive Wissen ist niemals unmittelbar. Es besteht in
Begriffen und in Begriffsverbindungen die eine vom Wissenden und
von der erlebbaren Wirklichkeit unabhaengige Existenz haben:
Gedankengebilde und Gedankenverbindungen die quasi als ein
drittes Reich neben, und vielleicht zwischen dem Wissenden und
der Wirklichkeit bestehen.
2. Das objektive Wissen vermag nicht die Wirklichkeit zu
erschoepfen.  Es ist ein Instrument mittels welchem der Mensch
als einzelner und die Menschen als Gesellschaft sich eine
beschraenkte Macht ueber die Wirklichkeit erwerben.
3. Das objektive Wissen stimmt mit der Wirklichkeit immer nur in
beschraenktem Masse ueberein. Zwar bewirken die erheblichen
Anstrengungen um das objektive Wissen, es zu bilden, gruenden, zu
gestalten, zu erweitern, verbessern und zu korrigieren, in
welchen sich die Wissenschaftlichkeit der Zeit ergeht, nicht
selten den Schein des Vollstaendigen, ein Schein der die Grenze
und Kluft zwischen Wissen und Wirklichkeit verwischt und
verdeckt. Diese Kluft aber bleibt bestehen: und es ist notwendig
sich dieser Kluft bewusst zu bleiben.

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