19970423.00
Die Welt Kierkegaards ist Oede und Leer; sie entbehrt Humor
und Liebe, Freundschaft und Geselligkeit verlassen (bereft); eine
Wueste wo zwei Gespenster, das der Innerlichkeit, der
Subjektivitaet; und das des anderen, des allmaechtigen
Goettlichen, mit einander ringen, einander bekriegen, und
einander mit Zerstoerung bedrohen.
Die Problematik dieses Weltbildes drueckt sich in den
verzweifelten Beziehungen zum Praktischen, zum weltlichen Leben
aus, zur Wissenschaft und zur Politik, der staatlichen nicht
weniger als der kirchlichen. In Bezug auf Wissenschaft, nichts
als blinde stoerrische Ablehnung. In Bezug auf Politik, eine
kritiklose Unterwuerfigkeit, was den Staat anlagt, lebenslang;
was die Kirche anlangt, bis zum Tode Bishiof Mynsters: dann
Angriff auf und Rebellion gegen die Kirche wie gegen alle andere
geistige Mittelmaessigkeit.
Bemerkenswert, dass Kierkegaard die Ethik als rein
persoenliches, inwendiges, subjektives, auf Gott gerichtetes
Bestreben deutet. Wogegen doch die etymologische Wurzel des
Wortes eine gemeinschaftliches Betragen besagt. Ethik im
urspruenglichen Sinne waere die Handlungsweise welche die
Gemeinschaft bezw. der gemeinschaftliche Gott von jedem Menschen
erwartet; etwas voellig anderes als das Subjektwerden das
Kierkegaard als die ethische Forderung preist.
Zweifelsohne ist die Seelenpflege (therapeia tes psyches
(Platon)) die Kierkegaard vorschreibt eine sehr wesentliche und
unumgaengliche Aufgabe; moeglicherweise auch eine Aufgabe welche
in der Hektik des neunzehnten Jahrhunderts derart vernachlaessigt
wurde, dass ein durchdringender Aufruf von noeten war um sie den
Zeitgenossen ins Bewusstsein zu rufen. Auch scheint mir die
zentrale Stellung im menschlichen Leben welche dieser Forderung
angewiesen wird durchaus gehoerig. Es handelt sich um die
inwendige Pilgerfahrt nach persoenlicher Befreiung und Erloesung.
So bedeutsam und ernst diese Bemuehung ist, kann sie doch die
ausschliessliche nicht sein. Irgendjemand muss saeen und ernten,
muss Haeuser bauen, muss Geschaefte besorgen, muss die vielen
verschiedenen technischen Dienste leisten von denen das Bestehen
der Gesellschaft abhaengt. Und diese gesellschaftlichen
Verpflichtungen die sich aus diesen Taetigkeiten ergeben befinden
sich dann im Widerstreit, in Konkurrenz, im Widerspruch mit dem
geforderten Gang nach innen. Eine der vielen Aufgaben, die sich
aus Kierkegaards Denken ergeben ist den Gegensatz zwischen
Inwendigkeit und Auswendigkeit zu untersuchen und zu erklaeren.
Notwendigerweise wird eine solche Erklaerung dialektisch sein,
weil der Widerspruch ein grundliegender, nicht zu behebender,
nicht wegzuerklaerender ist.
In diesem Zusammenhang moechte ich aufs neue betonen,
einerseits wie unvermeidlich die Idealisierung ist, welche
ausdruecklich oder inbegrifflich voraussetzt, dass es der
vernunftgemaessen Darstellung gelingen kann, die Widersprueche
die sie vorfindet zu entwirren, die Paradoxe aufzuknoten, die
Raetsel zu loesen. Dies ist aber ein Irrtum, Es ist entschieden
nicht der Fall, und wenn unsere Vernunft sich bruestet den
Widerspruch beseitigt zu haben, dann ist ihre diesbezuegliche
Behauptung eine Anzeige, (indication) dass sie tatsaechlich noch
groessere Wirniss gestiftet als sie vorfand. Die Vernunft, das
logische Denken, die sogenannte Philosophie, vermag nicht ein
einziges wirkliches Paradox (Raetsel) zu loesen. Sie vermag
stets nichts mehr als die schadhaften Moebel des Irrtums, mit
welchen sich das Gemuet angefuellt hat, umzustellen, und somit
ein neues Problemschema zu schaffen, das seinerseits wiederum
zwar verwandelbar nicht aber loesbar ist. Wenn diese letzthin
erfolglose geistige Taetigkeit einen Sinn haben sollte, so waere
es gewiss nicht dass sie die Wahrheit entdeckte. Hoechstens
vielleicht, dass sie die Unzulaenglichkeiten des Daseins
vergegenwaertigt, wie einst Moses eherne Schlange, und dass von
ihr, wie von jener, eine heilende Wirkung ausgeht.
Die zahlreichen Widersprueche einerseits der Politik,
andererseits der Wissenschaften, um auf das fruehere noch einmal
zurueckzukommen, lassen sich dann nicht aus universeller Sicht
(top down) beschreiben; sie wollen stets in den Einzelheiten
entdeckt und aus ihnen entwickelt werden; angesichts des
ungeheuren Umfangs der Wissenschaften, eine uebermenschliche
Arbeit, die kein Einzelner auch nur in geringstem Masse zu
bewaeltigen vermag. Nur eben auf diese Widersprueche
hinzuweisen, es zu unterlassen sie zu verdecken, sie sich immer
wieder vor Gemuet zu fuehren, das ist die grosse Aufgabe, das ist
das verweltlichte Lob Gottes zu dem der Mensch verpflichtet ist.
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