19970424.00
Wenn ich Kierkegaards Gesammtwerk, so weit ich es kenne,
ueberblicke, dann muss ich mich fragen, ob das Bild von dem
einsamen, abgeschnittenen Gott suchenden und mit Gott ringenden
Menschen, das er malt, denn wirklich ein Spiegel des Daseins ist,
oder ein verzerrtes Wahngebilde das vornehmlich seines Verfassers
eigene Sorgen und Qualen darstellt, und nichts darueber hinaus.
Die Frage muss gestellt werden, selbst wenn sie keine eindeutige
Antwort hat.
Der Leitfaden aus dem Labyrinth des Unwissens, so scheint
mir, muss nach wie vor die Erkenntnis des Ausmasses der
Idealisierung sein in der unser ganzes geistig-seelisches Wirken
befangen ist. Denn es ist ja die Idealisierung welche uns zu
erst zu dem ethisch-aethetischen Wunschbild einer vollkommenen
Weltgeschichte, oder wie bei Kierkegaard, des Welthistorischen
draengt; und es ist dann Idealisierung etwa in entgegengesetzer
Richtung die uns die unbedingte Gottesbeziehung vorspiegelt.
Dementsprechend ist auch alles ernste Denken, in welcher
Form auch, eine Ableugnung des vermeinten Wissens. So das
sokratische scio me nescire, Kants Lehre von der
Transsendentalitaet des Dinges an Sich. Auch Descartes Zweifel an
allem vermeintlich Erkannten und Kierkegaards Verneinung der
Wahrheit des Objektiven gehoeren dazu. Aber dann, nachdem der
Zweifel das Wissensfeld geraeumt hat geschieht der Aufbau einer
neuen Dogmatik. Bei Descartes und Husserl ausdruecklich und
bewusst. Aber auch Kierkegaard hat diesen Abweg nicht vermieden.
Sein Bekenntnis ist unzweideutig:
Objektivt taler man bestandigt kun om Sagen,
subjektivt taler man om Subjektet og Subjektiviteten,
og see, netop Subjektiviteten er Sagen.
Objektiv redet man bestaendig von der Sache;
subjektiv redet man vom Subjekt und von der Subjektivitaet;
und siehe, gerade die Subjektivitaet ist die Sache.
Das subjektive Erlebnis also ist eine Entwicklung, ein Werden,
ein Prozess. Auch das subjektive Erlebnis wird, sobald man es
beschreibt, zur Sache, wird gegenstaendlich, wird objektiv. Denn
das Vergegenstaendlichen des Erlebens liegt in des Menschen
Wesen, und die Not die ihn dazu draengt ist sein Schicksal. Alle
Kunst ist objektivierender Ausdruck der Gefuehle; alle Kunst ist
Verwandlung des Inwendigen in Sichtbares, in Hoerbares; alle
Kunst ist Objektivierung. Am schwierigsten und
schicksalhaftesten ist die Vergegenstaendlichung des Innenlebens
in der Religion, denn hier vor allem erweist sich, die
Unmoeglichkeit des Versuches.
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