19970424.01

     Was heisst es eine objektive Beobachtung zu machen, ein
objektive Urteil zu faellen?

     Ich weiss aus Erfahrung wie veraenderlich meine Gedanken,
und noch veraenderlicher meine Gefuehle, und wie meine Gefuehle
sich in Gedanken kleiden, und wie wiederum meine Gedanken
Gefuehle erwecken und sich in ihnen ergiessen. Gedanken: das sind
unausgesprochene Worte, Saetze, Absaetze; und Gefuehle sind die
schwebenden, erscheinenden und verschwindenden, auf und
untertauchenden inwendigen Kraefte welche als Freude und Kummer,
als Hoffnung und Verzweiflung, als Zuversicht und Sorge
erscheinen.

     Das Bestreben diese oft so unbestimmten geistig-seelischen
Regungen zu befestigen, ihnen einen Halt in der gegenstaendlichen
Welt zur beschaffen, dies ist das bestaendige, fortwaehrende,
sich immer wieder behauptende Trachten des Menschen. Nicht nur
ist es ihm Beduerfnis, seinem inneren Erleben Ausdruck und
aeusseren Bestand zu geben. Wichtiger noch, es ist ihm Beduerfnis
sich mit seinen Mitmenschen zu verstaendigen. Zu diesem Zwecke
spricht er. Darum erfindet und erweitert er seine Sprache. Die
Sprache ist das Ur- und Vorbild des Gegenstaendlichen, diese
Sprache die vornehmlich von allen gehoert und von allen
verstanden sein soll; die in jedem Hoerer dasselbe, oder
jedenfalls ein vergleichbares Bild erweckt und somit die
Gemeinschaftlichkeit der Menschen ermoeglicht.

     Wer die Objektivitaet, die Vergegenstaendlichung des
Erlebens beklagt, der darf bei seiner Klage nicht vergessen, dass
es die Vergegenstaendlichung ist, die der politischen and
technischen Welt, welche der Mensch sich gebaut hat, zu Grunde
liegt; und dass dem Kritiker die Verpflichtung obliegt den
Verlusten die seine Zensur heraufbeschwoert irgendwie
Rechenschaft zu tragen.  Dies zu tun aber unterlaesst auch
Kierkegaard. Der schreibt, als ob es moeglich waere sich der
Ueberschreitungen (Exzesse) des Welthistorischen und der
Objektivitaet die es beansprucht, zu entledigen, ohne die
geistigen Gebaeude der Gesellschaft zu zertruemmern. Es handelt
sich nicht darum, ob man ohne Computer, ohne Fernsehen, Radio,
Telephon, Automobil, Flugzeug, Eisenbahn auskommen koennte. Das
waere dann ja schon denkbar; aber weit darueber hinaus handelt es
sich darum, ob man ohne Regierung, ohne Rechnen und Schreiben, ja
ob man ohne die Sprache selbst auskommen koennte. Die Antwort
hierauf ergibt sich von selbst.

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