19970517.00
Dass die Subjektivitaet die Wahrheit waere laeuft darauf
hinaus dass das Gefuehl die Wahrheit waere; eine Feststellung die
sich vertreten laesst, - und wieder nicht.
Schopenhauer, scheint mir, sagt aehnliches, aber in weniger
aufdringlicher Weise: die Welt (meine Welt) ist mein Wille und
meine Vorstellung. Mein Wille vergegenwaertigt sich mir ganz
gewiss als ein Gefuehl; und so auch, eh sie begrifflich geklaert
wird, meine Vorstellung. Auch ist offensichtlich die Welt die
hier angedeutet wird, meine Welt; es ist _mein_ Wille von dem
gesprochen wird, und _meine_ Vorstellung. Alle von Schopenhauer
beschriebene Wahrheit ist subjektiv; dass also die Subjektivitaet
die Wahrheit ist, darin stimmen Schopenhauer und Kierkegaard
ueberein.
Der wesentliche Unterschied zwischen Schopenhauer und
Kierkegaard liegt im Stil der Ausfuehrung. Kierkegaard's
Verfahren ist das eine lutherischen Pfarrers, drohend und
mahnend, mit dem ausdruecklichen Vorhaben seine Leser zu
bekehren, zu belehren, und ihr alltaegliches Tun und Lassen zu
beeinflussen. Schopenhauer hingegen schreibt gelassener, mit dem
Zweck die von ihm erkannte Wirklichkeit zu schildern. Es
verwundert, und verbittert ihn, dass seine Erkenntnis weder
wahrgenommen noch anerkannt wird. Zwar hat er in Hegel denselben
Widersacher wie Kierkegaard; doch ist ihm die Hinfaelligkeit des
Welt-historischen die Kierkegaard so klar erkannt hat kaum
bewusst geworden.
Und dann der wesentliche Unterschied, welcher fuer das
Schicksal der schopenhauerschen und kierkegaardschen Botschaft
entscheidend ist. Schopenhauers Denken laeuft auf den Nihilismus
hinaus. Fuer ihn ist die Resignation, das Aufgeben des
Lebenskampfes die letztgueltige Antwort auf die unloesliche
Lebensproblematik. Fuer Kierkegaard, hingegen ist die Beziehung
des Einzelnen zu seinem Gott die letztgueltige Antwort auf die
sonst unloesliche Lebensproblematik.
Der Wille zum Leben, von Schopenhauer aufgegeben, wird bei
Kierkegaard die Bangnis um das ewige Bewusstsein, die unendlich
leidenschaftliche Interessiertheit an der eigenen ewigen
Seligkeit, welcher er als Triebfeder der Verinnerlichung, als
Ansporn zum Subjektivwerden, zum Christwerden vorschreibt. Die
Homiletik welche Kierkegaards Denken antreibt ist letzten Endes
verantwortlich fuer seine Wirksamkeit und Popularitaet. Denn so
beschwerlich und zermuerbend es ist, sich in muehsamer Weise den
nihilistischen Katechismus vorleieren zu lassen, so erbaulich und
einschmeichelnd ist es vom eigenen Bewusstsein immer aufs neue
gescholten, angestachelt und und ein vorgespiegeltes
Gottesverhaeltnis vorgegaugelt zu bekommen.
Am Ende bleibt das Lessingwort vom betrogenen Betrueger das
gueltigste.
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