19970603.00

     Kierkegaard selbst hat sich bekanntlich nicht, oder
jedenfalls nicht in erster Linie, als Philosoph betrachtet. Er
gab sich als Dichter, oder anspruchsloser noch, als
Schriftsteller aus.  Nur in zwei Werken, so viel ich weiss, hat
Kierkegaard es unternommen sich ausdruecklich und eingehend mit
philosophischen Themen auseinanderzusetzen, obgleich es
keineswegs weithergeholt ist in allen seinen Schriften, selbst in
den ausdruecklich religioesesten, den bedeutsamen philosophischen
Inhalt zu erkennen.

     Diesen Inhalt hat Kierkegaard selbst zusammengefasst in der
Frage nach der Subjektivitaet und in der Abtrennung dieser laut
ihm wesentlichsten Phase menschlichen Erlebens von seinem
Gegensatz, dem Objektiven. Es ist selbstverstaendlich moeglich
sich von Kierkegaard durch die verzweigten Umwege seines Denkens
fuehren zu lassen, um am Ende zu einer Vorstellung von der
Bedeutung dieser Begriffe zu kommen; aber ohne dass die eigene
Erfahrung, das eigene Erleben, die eigene Innerlichkeit in dies
Verstaednis hineinbezogen wird, bleibt die Beschreibung
Kierkegaards sinnlos, - und dann, wenn man aus eigenem Erleben
denkt und schliesst, eroeffnen sich auch andere Moeglichkeiten
des Verstehens.

     Betrachtet man von vorneherein das Ergebnis des Denkens als
nebensaechlich und belanglos, dann ist jegliche Bemuehung als
nicht sinnvoller denn ein Spiel zu betrachten, welches
voruebergehende Ablenkung und Unterhaltung bietet, sonst aber als
belangloser Kommentar zum Dasein gelten muss.  Setzt man
andererseits eine moegliche Gueltigkeit des Denkbeschlusses, des
Denkergebnisses voraus, dann versteht es sich von selbst, dass
sich diese Gueltigkeit auf das Erleben selbst beziehen muss,
nicht lediglich auf das Schrifttum, die Forfatterskab, eines
einzelen Autors, wie begnadet mit Einsicht und Ausdruck er auch
immer sein mag. Dann wird man im eigenen Leben Spiegelbilder des
am Schrifttum erkannten  entdecken, und die Schriften auch
anderer Autoren werden dazu beitragen diese Bilder zu erhellen.

     In Kierkegaards Schriften ist Arthur Schopenhauer nicht
erwaehnt.  Das ist verstaendlich, denn obgleich Schopenhauers
grosses Werk schon 1817, also waehrend Kierkegaards Kindheit
erschien, wurde ihm, in jenen Jahren da Kierkegaards
philosophisches Wissen sich bildete, keine Beachtung geschenkt.
Erst kurz vor Kierkegaards Tod wurde Schopenhauer allgemein
bekannt, zu spaet um auf Kierkegaards Denken Einfluss zu haben.

     Stellt man nun den philosophischen Hauptsatz Kierkegaards,
Die Subjektivitaet ist die Wahrheit, neben den Hauptsatz
Schopenhauers, Der Wille ist Ding an Sich, so ergibt sich eine
unerwartete und eigentlich erstaunliche Gleichwertigkeit.  Denn
was Schopenhauer Wille nennt ist vergleichbar mit dem was
Kierkegaard als Subjektivitaet bezeichnet. Wenn Kierkegaard sagt
dass die Subjektivitaet die Wahrheit ist, so bezeichnet dieser
Ausspruch die Subjektivitaet als eine Wirklichkeit, dieselbe
Wirklichkeit welche Schopenhauer den Willen nennt.

     Insofern sich diese Gleichung bewaehrt, werden Schopenhauers
ausfuehrliche Beschreibungen des Willens Ansatzpunkte bieten um
ueber Kierkegaards Subjektivitaet nachzusinnen. Umgekehrt wird
die religoese Leidenschaftlichkeit auf welche Kierkegaard seinen
Standpunkt gruendet und mit welcher er diesen vertritt,
Schopenhauers nuechterne, des oefters in trockene Einzelheiten
ausschweifende Ausfuehrung eine Dimension von unmittelbarer
Bedeutsamkeit wenn nicht gar Notwendigkeit bieten.

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