19970604.00

     Es ist bemerkenswert mit welcher Unbefangenheit Schopenhauer
den Willen und die Vorstellung, welche beide ihrem Wesen nach
subjektiv sein muessen, als allgemein verstaendlich und bekannt,
also als objektiv darstellt.  Die Vorstellung, das Bild von
seiner Welt, welches der Einzelne fortwaehrend erfindet und
aufrecht erhaelt, wird von Schopenhauer als etwas beschrieben
dessen Eigenschaften aller Welt zugaenglich sind.  Eine
vergleichbare Vergegenstaendlichung widerfaehrt dem Willen der
ueberall in der vorgestellten Welt wirksam und erkenntlich sein
soll.

     Die Gleichsetzung des Willens mit dem Ding an Sich hat
jedenfalls den Vorteil, dass sie ein und fuer alle mal die zwar
nie ausgesprochene doch stets inbegriffene Annahme beseitigt,
dass sich jenseits der Zeit-Raum-Kausalitaets Fassade unseres
Verstandes wirkliche Dinge-an-Sich versteckt halten, Dinge-an-
Sich welche zuletzt doch irgendiwe jenen Gegenstaenden aehnlich
sind, die uns der Verstand in so aufdringlicher Weise sehen,
hoeren und betasten laesst.

     To equate will with the thing itself, i.e. with ultimate
reality, has at least this virtue, that it scotches once and for
all the implicit surreptitious hypothesis of quasi-tangible,
quasi-spatial objects lurking behind the facade of the time-
space-causality constraints that our mind is said to interpose
between us and what is real.

     Die subjektiven erkennenden Fakultaeten des Menschen,
behauptet Schopenhauer, werden in der Vorstellungswelt objektiv.
In vergleichbarer Weise erscheint der auswaerts und aufwaerts
dringende Wille des Einzelnen, jener Inbegriff der
Subjektivitaet, als gegenstaendlicher, also objektiver, Begriff.
Laut Schopenhauer erkennen wir diesen Willen nicht nur subjektiv
in uns selbst sondern ebenso als objektive Bestimmung in anderen
Menschen, darueber hinaus in allen lebendigen Wesen, und sogar in
der leblosen, anorganischen Natur.  Diese Erklaerung von Willen
und Vorstellung als Gegenstaende besagt einen Widerspruch, eben
denselben Widerspruch welcher in Erscheinung tritt, sobald man
versucht seinen Geist, seine Gefuehle, seine Gedanken
mitzuteilen.

     Die Sprache selbst, und die Schriftstellerei als ihr hoechst
potenzierter Ausdruck, liegt ja an der Kreuzung des inneren
Erlebens des Menschen mit der aeusseren Offenbarung dieses
Erlebens.  So erklaere ich das endlose Reflektieren bei
Kierkegaard, das Spiegeln mit den Pseudonymen, das letzten Endes
dennoch zu keiner Loesung fuehrt.  Die Unmoeglichkeit dem
Subjektiven einen hinreichenden Ausdruck zu geben, treibt
Kierkegaard einerseits in die Politik, - in den Kirchenstreit, -
andererseits in die Irrationalitaet, - in die
Widervernuenftigkeit der Pietaet und der Mystik.

     Es ist immer moeglich die Problematik des Daseins annaehernd
in den verschiedensten Formeln auszudruecken.  Aber kein Ausdruck
wird dieser Problematik, sei sie geistig oder praktisch, gerecht,
geschweige denn dass er sie beseitigte.  Der Versuch der
Darstellung wird in dem Masse scheitern, in dem man eine
moegliche Loesung voraussetzt.  Das, wie mir scheint, ist der
inbegriffene Fehler so mancher philosophischer Schriften,
eingeschlossen jener von Schopenhauer und Kierkegaard.  Ich weiss
nicht ob es moeglich ist diesen Fehler voellig zu vermeiden, denn
alles Schreiben setzt Verstaendnis auf Seiten des Lesers voraus;
und diese Voraussetzung der Vernuenftigkeit, der Rationalitaet,
ist eine beschraenkende Idealisierung ueber welche das Denken das
sich auf sie verlaesst, nie hinauskommt.  Andererseits,
untergraebt und zerstoert die entgegengesetzte Annahme, dass
Verstaendigung unmoeglich sei, die Mitteilbarkeit im
allgemeinsten, weitesten Sinne.

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