19980217.01
Worin liegt die Gueltigkeit, woran erkennt man die Wahrheit
eines Satzes, eines Absatzes? Wenn man ueber die Gueltigkeit
eines Satzes zu entscheiden vermag, bedeutet dies nicht, dasz man
ihn versteht? Dasz man weisz was der Satz besagt oder bedeutet?
Wie ist es aber mit einem Satz von dem man lernen will? Es ist
doch unmoeglich, dasz man einen solchen Satz schon in der Lage
der eigenen Unwissenheit versteht. Wie vermag man unter diesen
Umstaenden feststellen, was daran ist? wie es sich mit ihm
verhaelt?
Gesetzt man befuerwortet die Behauptung des Satzes. Ist
diese Befuerwortung ein Beweis fuer die Wahrheit des Satzes?
Doch keineswegs. Ist es nicht offensichtlich, dasz viele spaeter
als unwahr erkannte Saetze vorlaeufig jedenfalls als wahr in die
Ueberlieferung aufgenommen sind, nur um Jahrzehnte oder
Jahrhunderte spaeter revidiert (geaendert) zu werden? In diesem
Lichte, sind auch Saetze welche sich heute als unzweifelhaft
vorstellen, fragwuerdig; nur von Saetzen die sich in des
Wissenden eigener Erfahrung bewaehrt haben, kann man mit einiger
Zuversicht behaupten, dasz sie wahr seien. Und siehe, die
sachlichen, objektiven Saetze, vermeintlich so unabhaengig von
der Inwendigkeit des Einzelnen muessen zuletzt doch ihre
Gueltigkeit durch die Erfahrung, durch das inwendige Urteil des
Einzelnen bestaetigen lassen.
Wenn man, wie ich es jetzt tue, in einer blassen Hoffnung
schreibt, den kuenftigen Leser zu ueberzeugen, oder jedenfalls
ihn nicht abzustoszen, so achtet man auf den Eindruck welchen das
Schriftstueck macht: man achtet auf die Rechtschreibung, sorgt
sich endlos ueber die rechte Wahl der Worte, ueber deren
Eingliederung im Satz und im Absatz, und tut dies nicht nur um
den Gedanken mit groeszerer Klarheit auszudruecken. Man tut es
vor allem um durch aeuszerliche Aufmachung den Weg zur Annahme,
zur Angleichung (Assimilierung) des Gedankens zu ebnen. Es ist
der fruehe Eindruck welcher das Gemuet zur Annahme oder Ablehnung
bestimmt.
Die Wahrheit des Satzes haengt ab erstens von seiner
Widerspruchlosigkeit. (Die Dialektik ist keine Ausnahme, sondern
eine grosze Bereicherung (Vergroeszerung) der Wahrheitskapazitaet
der Sprache. Die Dialektik rationalisiert und naturalisiert Die
Wahrheit des Satzes haengt ab von der Weise in welcher er sich zu
dem vorhergehenden Erleben des Menschen verhaelt. Er mag von dem
vorhergehenden Erleben bestaerkt (bestaetigt validated) oder
wiederlegt werden. Die Wahrheit des Satzes haengt ferner ab von
der Weise in welcher er sich in das weitere (folgende) Erleben
des urteilenden Menschen einfuegt. Dies Erleben bestaetigt oder
widerlegt ihn. Es gibt aber viele Saetze von erheblicher
Bedeutung welche dergleichen Pruefungen nicht zugaengig sind.
(nicht unterzogen werden koennen) Und gerade solche Saetze sind
es, deren Annahme oder Ablehnung oft von geringfuegigen
Aeuszerlichkeiten, wenn nicht gar vom Zufall abhaengt.
Ich taeusche mich aufs peinlichste, wenn ich behaupte
"Wahrheit" zu besitzen oder sie auch nur entdeckt zu haben. Alle
Wahrheitsurteile sind ihrem Wesen nach vorlaeufig, provisorisch,
subject to change, Aenderungen vorbehalten. Eine Sache erscheint
mir in diesem Augenblick wahr weil sie meinen bisherigen
Erfahrungen, meinem jetzigen Erleben zu entsprechen scheint; weil
sie sich mir als widerspruchsfrei darbietet, weil sie von meinen
Kollegen, Freunden, Bekannten, weil sie im Umkreis meiner
Gesellschaft als wahr anerkannt wird, und weil ich nicht der
einzige sein darf, der das Wahre nicht erkennt. So entsteht was
in der Geschichte des Denkens als "common sense" bezeichnet wird,
die gesellschaftlich approbierten Kriterien der Wirklichen, und
dementsprechend, des Wahren. Der Begriff des common sense ist
ein Vorurteil nicht weniger verderblich als alle anderen
Vorurteile ueber die Wahrheit.
* * * * *
Zurueck : Back
Weiter : Next
1998 Index
Index