19981011.00
Es ist schwierig Subjektivitaet zu begreifen, und ist
unendlich schwieriger Subjektivitaet darzustellen. Denn solcher
Darstellung zugrunde liegt unvermeidbar ein Widerspruch: Die
Sprache mittels derer Subjektivitaet dargestellt werden soll ist
selbst schon, insofern sie verstaendlich ist und verstanden wird,
Objektivierung des Inneren (d.h. der Subjektivitaet) desjenigen
der spricht. Alles Gesprochene, alle Ausgedrueckte ist seinem
Wesen nach objektiv, gegenstaendlich, steht dem erkennenden
Menschen als etwas von ihm Unabhaengiges gegenueber, das ihn mit
seinen Mitmenschen verbindet und das ihn vergesellschaftet, das
ihn und seine Mitmenschen zu einer Gesellschaft zusammenfuegt.
Die Subjektivitaet aber ist das Nichtobjektive, und laeszt sich
als solches nur rein negativ erklaeren, eben als das, was nicht
objektiv ist, als das was auch im Rahmen der Gesellschaft, und
besonders in ihm, nur dem Einzelnen erkenn- und empfindbar ist.
Als solches hat es eine quasi-mathematische Wirklichkeit,
insofern es sich, gleich den rationalen und irrationalen und
imaginaeren Zahlen, nicht unmittelbar der Anschauung bietet,
sondern dasz es erst durch bestimmte Denkregeln durch
Denkuebungen, hervorgezaubert werden musz, (must be conjured up)
- und gleich allem anderen Negativen mittels von Denkhandlungen
ans Licht gezogen (hervorgebracht) werden musz.
Die genialste und gueltigste Fassung der Gruendung der
Religion auf dem Subjektivitaetserlebnis des Menschen besteht in
ihrem Ursprung in der mosaeischen Offenbarung des einen
unnennbaren, eifersuechtigen Gottes. Denn der Goetzendienst, die
Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit der Goetter, der man damals
entsagte ist die unverkennbare Eigenschaft des Aeuszerlichen, des
Objektiven; indessen die Einheit, die Unsichtbarkeit, und die
Unnennbarkeit welche damals dem Gotte zugesprochen wurden, - oder
welche er fuer sich beanspruchte, - wie immer man will, Merkmale
der Innerlichkeit, der Subjektivitaet sind. Mit der mosaeischen
Einrichtung des Gottesreiches wurde die Eigenart des juedisch-
christlichen Seelenlebens bis auf den heutigen Tag entgueltig
bestimmt.
Und doch hat sich die damals angetretene Vergeistigung
Gottes den Menschen als undurchfuehrbar erwiesen.
Der hebraeische Gesetzeswahnsinn bedeutet. dasz die
Vergeistigung Gottes fehlgeschlagen ist. Dies Versagen machte
die Inkarnation unvermeidbar.
Die Inkarnation ergibt sich unmittelbar aus dem Versagen der
mosaeischen Vergeistigung Gottes, und bedeutet die notwendige
dialektische Antithese dieser Vergeistigung. Und doch bestaetigt
die Inkarnation in ihren Eigenschaften und Folgen die Gueltigkeit
der Vergeistigung.
Durch den Opfertod Christi wird die Inkarnation zum
Aequivalent der Subjektivierung des Goettlichen. Wenn, wie ich
behaupte, das Gotteserlebnis des Menschen als Projektion, als
"Mapping", als Entwurf, des Subjektiven in den Kosmos verstanden
werden musz, wo aber das Subjektive so schwer verstaendlich und
so schwer zugaenglich ist: und wenn ein solcher Entwurf des
Subjektiven eine allgemeine Wirkung haben soll, also eine
Bedeutung die allgemein Verstaendlich ist: dann musz die
Gottesvorstellung mit dem Menschlichen auf anschaulichere Weise
in Verbindung gesetzt werden: denn das Subjektive ist nur als das
Individuelle, also als das Menschliche verstaendlich.
Und es liegt ja schon in der biblischen Lehre, dasz Jesus
nicht durch die unbefleckte Empfaengnis oder die Bethelehem
Geburt Gottes Sohn geworden ist, sondern dasz er Gott von
Ewigkeit schon immer war, und dasz sich sein ewig-bestehendes
Gottsein in jener zeitgebundenen Erscheinung als Mensch nur
offenbart hat, dasz die Inkarnation, die Menschlichkeit Gottes
auszerhalb der Geschichte, tatsaechlich auszerhalb der Zeit
liegt; und dasz was in Bethelehem geschah den Menschen eine
Erklaerung, eine Offenbarung des Ewigbestehenden war und ist, und
dasz, in Summa, die Bethelehemgeschichte also eine
Veranschaulichung des Subjektivitaetsverhaeltnisses Gottes zur
Welt ist.
Man kann die Erklaerung noch weiter fuehren, naemlich in so
fern als mit der Erscheinung des Kindleins auf Heu und auf Stroh,
das Goettliche dem Verstehenskoennen der Menschen halber, aufs
neue vergegenstaendlicht wurde; weshalb der fromme Jude die
Jesusgestalt als Abgoetterei auffassen musz, der fromme Christ
aber sie mit Wunder und Opfertaten verdeckt, in Wirklichkeit aber
der menschgewordene Gott seinem Doppelwesen entsprechend, nicht
anders als ein Hermaphrodit oder ein Homosexueller, Gegenstand
des Aergers, Zeichen des Aergernisses, Skandal war, ist, und
bleiben musz, und dasz deshalb Kreuzigung Tod und Auferstehung
die unvermeidlichen Folgen der Inkarnation sind.
Was ich hier entworfen habe ist eine hermeutische Theologie,
eine Theologie welche auf der Logik der Wahrnehmung beruht,
welche aus der Literatur, der profanen nicht weniger als der
heiligen, die Grenzen des menschlichen Auffassungsvermoegens zu
bestimmen beansprucht. So vermag diese Theologie nicht mehr, und
nicht minder zu sein, als was sie ist.
* * * * *
Zurueck : Back
Weiter : Next
1998 Index
Index