20000205.00
In der vergangenen Woche, waehrend durch die Verputzung des
Anbaus mit Gipsplatten und Stuck die neuen Raeume von Tag zu Tag
zunehmend mit Staub und Schutt verunstaltet werden, habe ich zu
meinen Buechern die Flucht ergriffen zu Franz Schnabels groszer
vierbaendiger Geschichte Deutschlands im neunzehnten Jahrhundert.
Schon aus dem ersten Band geht hervor dasz es dem Verfasser
mit der Erklaerung des neunzehnten Jahrhunderts nicht genuegt,
dasz es sich tatsaechlich um eine Universalgeschichte handelt
dasz der Verfasser mit einem hundert jaehrigen Abschnitt nicht
zufrieden ist, sondern dasz diese Hinwendung diese Konzentration
diese Sammlung (Besinnung, focus) auf die juengste Zeit Ausdruck
des Beduerfnisses ist, die Gegenwart zu erklaeren, die
zeitgenoessische Welt zu begreifen, und mit dem letztlichen Ziel
und Zweck sich selbst zu verstehen.
Bei dem Ueberlesen dieser Seiten beeindruckt mich aufs neue
die Gueltigkeit des Rilkeurteils ueber das Geschehen, dasz es vor
unserem Meinen einen solchen Vorsprung hat, dasz wir es nie
einholen, und nie erfahren, wie es wirklich aussah. Demgemaesz
waere alle Geschichte Erfindung, waere Mythos, waere ein
synthetisches, vom Einzelnen zusammengefuegtes Bild welches mit
dem einstig Erlebbaren und Erlebten nur in aeuszerst mittelbarer
Beziehung steht.
Ich will nicht behaupten, dasz Geschichte nicht
wissenschaftlich sein kann: aber insofern sie es ist, beweist
sie, dasz auch die Wissenschaft Erfindung ist, wenngleich einer
besonderen Art.
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