20010111.00
"Mein Kind, ich hab es gut gemacht, ich habe nie ueber
das Denken gedacht." So etwa Goethes Erklaerung ueber seine
Leistung.
Faengt man aber einmal an ueber das Denken zu denken,
so erweist sich dies als ein rekursives Verfahren. Es
besteht naemlich kein Grund, vielleicht besteht sogar die
Notwendigkeit, dann ueber das Denken ueber das Denken zu
denken, ueber das Denken ueber das Denken ueber das Denken
zu denken, und so weiter, ohne Ende.
Dann waere die Erkenntnistheorie eine Falle, eine Grube
aus der man sich keinen Ausweg graben kann; und jeder
Versuch dies zu tun hat zur Folge, dasz man die Grube, in
der man wuehlt, vertieft.
Man vermag dies zu verallgemeinern: Wenn man sich
anstellt systematisch (konsequent) zu denken, ich meine
nicht, wie die deutschen idealistischen Philosophen, ein
System zu schmieden, ich meine lediglich, wenn man bestrebt
ist konsequent zu denken, in dem Sinne, unter allen
Umstaenden zu vermeiden, dasz sich seine Gedanken
widersprechen oder widerrufen, und wenn man sich nicht mit
dem bloszen Vorgang des Denkens zufrieden geben will,
sondern wenn man von seinem Denken verlangt, dasz es zu
einem Beschlusz kommt, dann unter diesen Umstaenden scheint
es mir unerlaubt ueber das Denken zu denken. Denn wenn man
ueber das Gehen, ueber das Essen, ueber das Schlafen, Sehen,
Hoeren, wenn man ueber irgendeine Taetigkeit oder ueber
irgend ein Erleben nachdenkt vermag man zu einem Beschluss
zu kommen, (one will manage to reach a conclusion); indessen
wenn man ueber das Denken zu denken beansprucht, dann
erweist es sich als unmoeglich zu einem Beschlusz zu kommen:
denn wenn das Denken selbst so unzulaenglich ist, dasz es
der gedanklichen Erlaeuterung, Erklaerung, Rechtfertigung,
Berichtigung, Korrektur bedarf, so ist auch das Denken ueber
das Denken nicht weniger unzulaenglich als das Denken
selbst, und bedarf ebenfalls der gedanklichen Erlaeuterung,
Erklaerung, Rechtfertigung, Berichtigung, Korrektur. Und so
entsteht ein Regressus ad infinitum. Oder mathematisch
gesagt, das Denken ueber das Denken ist eine rekursive
Funktion.
Ich will nicht behaupten, dasz das Denken ueber das
Denken ueber das Denken ... u.s.w. ins Unendliche getrieben,
oder jedenfalls so weit getrieben, wie es in der Macht des
Denkenden steht, unbedingt zu beklagen ist. Ganz sicherlich
vermag ein Mensch seine Tage mit schaedlicherem Zeitvertreib
zu verbringen. Andererseits ist es sichtbarer
(demonstrable) Irrtum in dieser Geistestaetigkeit
fortzufahrern unter der Annahme, dasz sie zu einem Beschlusz
fuehrt, dasz die gestellten Fragen Antwort erhalten anders
als eine tiefere, und desto unentrinbarere Grube von
Unbestimmtheiten zu eroeffnen.
Wenn das Denken ergiebig werden soll, musz es sich dem
Erleben und den Erscheinungen (Phaenomenen) zuwenden, muss
es bestaendig aus den Erscheinungen (Phaenomenen) und aus
dem Erleben schoepfen, dem Erleben als dem inneren,
inwendigen, subjektiven Vorgang des geistigen Lebens, und
den Erscheinungen als den Aeuszerungen einer jenseitigen
(transzendentalen), anderweitig unerreichbaren Wirklichkeit.
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