20020101.00

     Vorgeblich richtet man, wenn man schreibt, seine Worte an
einen anderen, an einen Fremden, oder an viele Fremde.
Veroeffentlicht man sein Schreiben, so richtet man seine Worte
vermutlich an die ganze Welt.  Indem man sich aber nach aussen
wendet, richtet man sich am Ende doch zugleich auch an sich
selbst.  Vielleicht nur an sich selbst.  Wenn nicht an sich
selbst, dann an keinen, und damit verfielen die Anstrengungen dem
Unsinn.

     Urspruenglich mag das Schreiben den Sinn gehabt haben, das
Vergaengliche in der sprachlichen Mitteilung dauerhaft zu machen.
Das Schreiben wurde zu einer Befestigung des fluechtigen
Gedankeninhalts, zu einem Anhaltspunkt geistiger Zusammenarbeit
unter den Menschen.  Aber die Befestigung des Sinnes im
Geschriebenen gelingt nur zum Teil.  Man betrachte wie die
Rechtsgelehrten um den Inhalt der Worte ringen, um einen Inhalt
der sich trotz aller Bemuehungen nur voruebergehend befestigen
laesst.  Mehr noch befestigt das Schreiben den Sinn des
Schreibenden und wird dabei zu einem sich in sich selbst
Vertiefen, vermag zu einem Gespraech mit sich selbst, vermag zum
Beten zu werden.

     Das Schreiben wird durch die Technik wesentlich vereinfacht
und erleichtert.  Man vergleiche das Bemalen von Hoehlenwaenden,
das Einmeisseln von Worten in Stein, die muehevolle Herstellung
des Papyrus, die handschriftlich verfertigten Pergamente des
Mittelalters, das gedruckte Blatt, die Schreibmaschinenschrift,
und neuerdings die Erzeugnisse des elektronischen Texteditors,
welcher den sonst so muehevollen Entwurf der Schrift um so vieles
erleichtert.  Aber die Bedeutung des Schreibens fuer den
Schriftsteller hat sich weit weniger gewandelt.

     Man schreibt um seine Gedanken festzulegen; man schreibt um
seine Gedanken mitzuteilen, man schreibt aber auch um sich zu
bewahren, um moeglicher Weise eines Tages sich selbst in seinen
Schriften wiederzuerkennen.  Wenn man das einst Geschriebene
liest, so ist es als blickte man in einen Spiegel.  In meinem
Falle jedenfalls, bin ich oft unzufrieden mit dem was ich dort
erkenne.  Aber hinwegzaubern vermag ich es so wenig wie ich das
Bild meiner selbst das ich im Spiegel sehe, hinwegzuzaubern
vermag.

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