20020120.00

     Man fragt, wie Kierkegaard sich zu politischen Fragen
stellte: Die richtige Antwort, glaube ich, beruecksichtigt seine
tiefe Empfindlichkeit, welche jede Konfrontation, um von
Beteiligung ganz zu schweigen, mit praktisch politischen Fragen
ihm unmoeglich machte.  So ist zu erklaeren, weshalb er nicht
Pfarrer, nicht Politiker, nicht Dozent, nicht einmal Ehemann
wurde.  Man kann sich einen Menschen vorstellen, dessen
Gesichtsempfindlichkeit (Lichtempfindlichkeit) so gross ist, dass
er nur im Zwielicht des Morgens oder des Abends die Betrachtung
des Himmels ertragen kann; dessen Gehoer so empfindlich, dass ihm
nur dass Piano oder gar das Pianissimo eines Stueckes ertraeglich
ist.

     Um Kierkegaard zu verstehen lernen, um zum Denken
Kierkegaards eine Beziehung zu bekommen, ist es tunlich sich die
Begriffe zu vergegenwaertigen in welchen sein Denken zum Ausdruck
kommt.  Begriffe wie etwa Approximation, Objektivitaet,
Subjektivitaet, die ewige Seligkeit, die Leidenschaft, der
Glaube, der Glaubenssprung; und die Schwaeche deren man ihn
bezichtigen koennte, wenn man wollte, ist ein uebermaessiger
Verlass auf verhaeltnismaessig wenige Worte, eine Schwaeche
welcher der Leser jedoch abhelfen sollte, indem er es unternimmt
die so konzentrierten Begriffe aufzulockern und zu erweitern.

     Letzten Endes ist auch unser geistiges Wirken, und besonders
dieses, ein Streben, ein Ringen um Oikeiosis, um die Gestaltung
einer freundlichen, einer ertraeglichen Geistigen Umwelt.  Und
auch Kierkegaards Schriften sind als solches zu verstehen.  Die
Folge, dass man keinen Leser findet, keinen der seine Gedanken
versteht, dass man am Ende doch allein ist in seiner Geisteswelt,
dass alles Verstaendnis sich als Missverstaendnis entpuppt.  Wie
einzelartig (unique) der Mensch doch ist: wie wenige, die ihn
begreifen, denen er sich zu erklaeren vermag, das wird in
Betracht der ausgebeuteten Technologie immer klarer.  Wer vor
zwei hundert Jahren in einem kleinen Dorfe lebte, konnte sich
noch mit einem Mass von Realismus vorstellen, dass
irgendwoanders, in einer Stadt, an einem entlegenen Ort jemand
sein wuerde, jemand gefunden werden koennte, der ihn verstuende.
Heute aber, wo alle entlegenen Orte elektronisch unmittelbar
erreichbar sind, versteht er, dass es keinen solchen gibt,
sondern dass er allein ist, und wie allein er ist.

     Die Angst vor oder die Abneigung, die Ablehnung der
Approximation als die Angst vor dem Tode.  Dass das Hier und
Jetzt unzuverlaessig ist, dass es ueberholt werden wird, dass es
vergaenglich ist, dass ich ihm nicht zu trauen vermag.  Die
Approximation ueberwinden, hiesse die Wandelbarkeit zu
ueberwinden, hiesse (in platonischem Sinne) das Bleibende zu
ergreifen.

     So ist das kierkegaardsche Denken ein Uebersetzen der
einfachsten urgruendigsten Erlebnisse des Menschen in eine
raffinierte Geistigkeit.

     Und die ewige Seligkeit, das Entfliehen (escape) vom Tode,
vom Nichtmehr sein; denn die Seligkeit ist vermutlich etwas das
schon hier und jetzt beginnt, welches schon gegenwaertig erlebt
wird; und letzten Endes ist sie das Einzige von dem man sich
wuenschen oder auch nur vorstellen kann, dass sie "ewig"
gewaehrte.

     Man bedenke die Ewigkeitsvorstellung im Zusammenhang der
langen Weile welche im ersten Teil von Enten Eller so
eindrucksvoll beschrieben wird.

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