20020215.00
Kierkegaard behauptet es sei sehr schwierig ein wahrer
Christ zu werden. Das Neue Testament aber behauptet das
Gegenteil. Kommet her zu mir alle die ihr muehselig und beladen
seid. Da wird nichts schwer gemacht. Da werden alle Hindernisse
aus dem Wege geraeumt. "Gehet hin in alle Welt und lehret alle
Voelker." Wie sollte denn etwas so allgemeines so unendlich
schwierig sein. Wenn es so schwierig waere, vermoechte es ja
nicht allgemein zu sein. Kierkegaard behauptet es sei sehr sehr
schwierig ein wahrer Christ zu werden. Was Kierkegaard wirklich
meint, ist, dass es unmoeglich ist ein wahrer Christ zu werden.
Zusammenhanglosigkeit, Diskontionuitaet. Kierkegaard
beschreibt einen Glaubenssprung, a leap of faith, um vom
Unglauben zum Glauben zu gelangen. Meiner Erachtung, jedoch, ist
Glaube, wenn man sich ueberhaupt etwas darunter vorstellen soll,
ein beharrender geistig-seelischer Zustand, ein Vermoegen zu
sehen, welches mit der koerperlichen Gesichtskraft vergleichbar
ist. Vergleichbar mit dem Denken, vergleichbar, und eigentlich
untrennbar vom Bewusstsein; und wie ich annehmen muss, dass jeder
Mensch ueber ein meinem Bewusstsein vergleichbares Bewusstsein
verfuegt, so muss ich annehmen dass jeder Mensch mittels eines
meinem Glauben vergleichbaren Glauben lebt. Und wenn ich selbst
keinen Glauben habe, oder meinen Glauben nicht kenne, so ist es
unmoeglich, dass ich mir eine Vorstellung machte von dem Glauben
eines Fremden. Denn Glaube ist erkenntlich, wenn ueberhaupt, nur
als mein eigener. Ein Sprung in den Glauben ist aber meines
Erachtens eine Unmoeglichkeit, eine Ungereimtheit. Wer den
Glauben hat, braucht nicht zu springen, wer ihn nicht hat,
richtiger gesagt, wer sich seiner nicht bewusst ist, wird sich
seiner vielleicht nie bewusst werden, und vermag nicht in den
Glauben hineinzuspringen. Oder aber er wird sich eines Tages
seines Glaubens bewusst werden, etwa so wie er sich eines
Morgens, beim Erwachen seines Bewusstseins bewusst wird. Man
wird sich ja im Laufe des Lebens, auch im Laufe nur eines
einzigen Tages, vieler neuer Erlebnisse bewusst. Das neue
Bewusstsein kommt manchmal allmaehlich, schrittweise; manchmal
kommt es ploetzlich. Aber niemals wird es gewollt, niemals ist es
ein Sprung in der Macht des Springenden. Man koennte es, wenn
man die Metapher der ploetzlichen raeumlichen Umlagerung
(displacement) bewahren will, ein Fallen, ein Stuerzen
bezeichnen; man koennte sagen dass man in den Glauben
hineinfaellt, oder hineinstuerzt; nicht aber dass man sich in den
Glauben stuerzt, oder in den Glauben hineinspringt.
Es scheint mir bezeichnend fuer die Kierkegaardsche
Religionslehre, dass sie sich, in sehr unlutherischer und
uncalvinistischer Weise, auf eine Vorstellung vom freien
ungebundenen Willen gruendet. Dass dem Menschen die Wahl frei
steht. Dass er sich zu entscheiden vermag. Von der Herkules Wahl
des Entweder Oder, bis zu dem Aufruf nah dem Ende seines Lebens,
an den einfachen Glaeubigen, sich nicht von der Kirche verfuehren
zu lassen.
Kierkegaard schreibt viel ueber die Absurditaet welcher sich
der Mensch in der Religiositaet B preisgibt, wenn er zuletzt
doch, nach allem Ringen in der Innerlichkeit seines Wesens, sich
zu einem objektiven Glauben an eine geschichtlich bedingte ewige
Seligkeit bekennt. Sollt aber die Begegnung mit dem Absurden ein
Warnungsschild sein, dass man sich auf dem falschen Wege
befindet, dass man sich verlaufen hat? Sich dem Absurden
auszuliefern, heisst aus dem Bereich der Gedanken, des
Vernuenftigen, aus die Welt der Rechnung, der Gerechtigkeit, der
Verantwortung in das Reich des seelisch-geistigen Chaos, des
Unsinns, des Wahnsinns zu fliehen. Ist das erlaubt? ist das
erwuenscht?
Ist nicht das Absurde die Kehrseite des Goetzendienstes?
Ist nicht Gott der Gott der Verstaendigung, der Gott des
Verstandes, der Vernunft, der Gott "der alles so herrlich
gefuehret" Macht nicht die Verinnerlichung des namenlosen Gottes
die vernuenftige Religion, die Religion innerhalb der Grenzen der
Vernunft erst moeglich? Ist nicht die Flucht ins Absurde, die
Flucht in ein dunkles Reich, und letztlich die Abkehrung von der
Religion?
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