20020322.01
Wenn ich das Geschriebene, - auch ueber die Liebe, -
kritisch ueberlese, dann faeltt mir auf, wie sehr das Gedachte
und das Denken vom Vervollstaendigungsdrang des Idealisierens
gestaltet werden. Denn es ist doch offensichtlich, dass obgleich
sich verschiedenstes Erleben darbietet (praesentiert), welches
unter der Rubrik Liebe verstanden werden mag, welches nur
verstaendlich wird unter dieser Rubrik, so ist es dennoch
unverkennbar, dass trotzdem was man zum Beispiel als Liebe
bezeichnet nichts Gegenstaendliches ist, sondern eine
improvisierte Vorstellung welche ad hoc im Gemuete des Denkenden
auftaucht, eine Vorstellung welche selbst nichts Bleibendes ist,
sondern ein voruebergehendes, fluechtiges Gedankengebilde,
bestaendig in Wandlung begriffen, mittel welchem der Einzelne
(der Denkende) sich in seinem Erleben orientiert (und zurecht
findet), und mittels welchem er sich mit anderen Menschen, mit
anderen Einzelnen ueber sein Erleben verstaendigt.
Ist diese Orientierung, ist diese Verstaendigung geschehen,
so bleiben die Begriffe, die Worte, besonders die Geschriebenen
zurueck, Ueberbleibsel, waste products, des
Verstaendnisverfahrens, in mancher Hinsicht vergleichbar mit dem
Packmaterial, mit den Verpackungen der Lebensmittel welche wir
laengst genossen haben, Verpackungen welche zwar an die
Erbaulichkeit und Befriedigung des einstigen Geniessens erinnern,
uns aber jetzt, im Grunde, im Wege sind, und welche wir uns
genoetigt finden auf die begriffliche Schutthalde zu werfen.
So ist denn auch die Philosophie als das verantwortungsvolle
Denken bestaendig gezwungen aufzuraeumen, wegzuschmeissen,
abzubauen, zu sanieren, oder zu mindesten umzubauen. Der
Widerspruch aber im Prozess (Verfahren) des Denkens ist, dass um
zu lernen man imitieren muss, das Gedachte nach denken, so wie
einer der das Zeichnen lernt mit Pausepapier die Striche einer
Zeichnung nachzieht. Das Denkenlernen ist demgemaess in gewissem
Wiederspruch zum Denken selbst: wenn man das Denken lernt, muss
man imitieren. Wenn man zu denken gerlernt hat, weiss man,
erkennt man ploetzlich, dass es notwendig ist das Gelernte
abzubauen. Oder ist diese vermeintliche Einsicht lediglich ein
Zeichen, dass man unfaehig war, dass man zu dumm war, um zu
lernen?
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