20020415.00
Indem ich die scheinbare Unzulaenglichkeit der logisch
einwandfreien doch inhaltlich duerftigen Wahr-Falsch (true-false)
Examen bedachte, besann ich mich auf die Stelle in der
Bergpredigt: "Eure Rede aber sei Ja ja; nein, nein; was darueber
ist, das ist vom Uebel." An und fuer sich scheint diese
Anweisung eine indikative posivistische Ausdrucksweise
(expression) zu bestimmen, und scheint alle dichterisch
anklingenden (poetically suggestive) zweideutigen, unbestimmten
und unbestimmbaren Ausdrucksweisen zu verbieten. Zieht man
jedoch die vorhergehenden Verse in Betracht so erscheint die
Anweisung, seine Ausfuehrungen auf ja ja und nein nein zu
beschraenken als Ergaenzung eines Verbotes gegen den Schwur,
gegen die Leistung eines Eides. In diesem Zusammenhang erklaere
ich mir diesen Text nicht als Verbot dichterischer Darstellung
welche in der Unbestimmtheit schweben muss um gueltig und wirksam
zu sein, sondern als Verbot des Eides, als Verbot des Schwoerens.
Es ist also nicht die Eindeutigkeit der Sprache als solche die
gefordert wird, sondern das Unterlassen des Eides.
Was aber bedeutet der Eid? Was bedeutet es seine Aussage
mit einem Schwur zu bestaetigen; und was bedeutet es diese
Bestaetigung zu verweigern?
Vergebens ist man bestrebt eine allgemeine, unbedingt
gueltige Exegese des Textes festzustellen. Zwar mag dies
zuweilen zu gelingen scheinen, aber entgueltige Uebereinstimmung
wird nie zu beweisen sein; man wird es nie weiterbringen als zu
einem zeitgenoessischen Consensus ueber die Bedeutung; und auch
diese Uebereinstimmung ist nur scheinbar und wird letzten Endes
an eine dogmatische Wiederholung von Worten gebunden sein.
Entgueltig eindeutige Erklaerungen gibt es nirgends; Alle Deutung
bezieht sich auf den Deutenden und ist von diesem abhaengig.
Zwar mag man versuchen eine urspruengliche Deutung zu entdecken,
oder sich einer allgemein haltbaren Deutung zu naehern, aber die
urspruengliche Deutung bleibt unbestimmt (unsicher) und die
allgemein haltbare Deutung bleibt eine Approximation; so dass man
sich weder auf die eine noch auf die andere verlassen kann.
Nur unter diesem Gesichtspunkt darf man versuchen die Frage
zu beantworten, was unter Eid oder Schwur zu verstehen sei. Der
Eid ist offensichtlich eine sprachliche Erscheinung. Ein Eid ist
etwas das man spricht, oder allenfalls eine Haltung die sich auf
Worte bezieht. Worte aber kommen leicht, lassen sich leicht
aussprechen: sie moegen dieses oder jenes bedeuten, wie es der
Zufall will, wie es die Umstaende erfordern, bestimmt von der
Absicht (Intention) des Sprechenden und von der Verfassung des
Hoerenden. Die Worte, die Sprache, gewinnt aber eine neue Ebene
(einen hoeheren Pegel) an Sinn, Bedeutung, an Verlaesslichkeit,
wenn sie anstatt dem zufaelligen Einfall des Sprechenden, seiner
Ueberzeugung, seinem Glauben Ausdruck verleiht. Denn dies ist
eine Eigenschaft menschlichen Verhaltens, dass es von
Ueberzeugungen gepraegt ist, und diese Ueberzeugungen finden
Ausdruck auch in woertlichen Erklaerungen. Und diese woertlichen
Erklaerungen innerer Ueberzeugung nennt man Schwur oder Eid.
Die Tatsache, dass der Eid die innere Ueberzeugung des
Menschen, seine Inwendigkeit widerspiegelt, ist dadurch
bezeichnet, dass man bei seiner Seele schwoert, oder bei Gott,
was auf dasselbe hinaus will. Oder dass man bei der Bibel
schwoert, bei der heiligen Stadt, bei den Heiligen der Kirche,
oder bei was ihm sonst immer heilig sein mag, heilig in dem Sinne
das man ihm uebernatuerliche Kraefte zumutet. Der Schwur waere
nun die Beteurung, die Betonung des Inwendigen.
Zurueck nun zur Betrachtung der Bergpredigt. Warum sollte
die Beteurung des Inwendigen verboten sein? Eben darum weil der
Ausdruck des Inwendigen dieses Inwendige zu veraeusserlichen
droht, weil der Ausdruck des Inwendigen die Wand zwischen Innen
und Aussen durchbricht, abtraegt und dauerhaft (permanently)
zerstoert, vielleicht sogar in einer Weise die ihren Wiederaufbau
unmoeglich macht. Man erinnere sich an das Verbot des
oeffentlichen Betens, welches in diesem Sinne dem Verbot des
(oeffentlichen) Schwoerens entspricht. Es ist gewiss kein
Paradox, dass die Mitteilung von Geheimnissen vorboten sein
sollte, eben darum weil Mitteilung das Geheimnis zerstoert; und
was waere denn der Schwur anders als Mitteilung eines
Geheimnisses.
Man wird auf diesen Gedankenpfaden zu einem weiteren, neuen
Einwand gegen das philosophische Denken gefuehrt: naemlich
diesen, dass die Philosophie sofern sie gueltig ist und von der
Ueberzeugung des Menschen berichtet, die existentielle
Philosophie also nicht umhin kann das Geheimnis der Inwendigkeit
in zerstoererischer und unerlaubter Weise aufzudecken. Oder
vielleicht ist dieser Einwand gar nicht neu, sondern eine
Abwandlung nur des alten, dass die Philosophie verdammlich ist,
weil sie in unerlaubter Weise den Glauben zu ersetzen sucht, dass
sie den Glauben an einen objektiven, in den Wolken thronenden
Gott zersetzt.
Somit bin ich auf den Konflikt zwischen Religionsbewusstsein
und kritischem Denken (Philosophie) gestossen. Das
Religionsbewusstein fuehlt sich durch das kritische Denken
angegriffen; Das kritische Denken fuehlt sich durch das
Religionsbewusstsein eingeengt.
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