20050420.00
Im Alter von 75 Jahren mache ich erneut den Versuch die
Geheimnisse der theoretischen Physik zu begreifen. Ich bin mir
nicht voellig im klaren, weshalb mir dieser Bereich des Denkens
der mich in meiner Jugend so verfuehrerisch verlockte, dennoch
verschlossen blieb; ob wegen eines durchgaengigen (pervasive)
Mangels an Intelligenz oder Eifer, oder aus welch anderen
Gruenden, habe ich nie buendig zu entscheiden vermocht.
Waere eine Erklaerung unbedingt erfordert, so wuesste ich
nichts zu sagen, als dass mein Bestreben mich in andere
Richtungen wies; dass das gnothe seauton mir Wegweiser war. dass
ich das Beduerfnis fuehlte erst und vor allem mich selbst zu
verstehen. und dass, aus welchen Gruenden auch immer, vielleicht
aus denen der mangelnden Einsicht, die theoretische Physik zu
diesem Ziel einen zu weiten Umweg darstellte; ein Umweg den ich
nie wuerde schaffen koennen, und der mich aller Aussicht gemaess
nirgends als in die Irre fuehren wuerde.
Ganz zweifellos ist, dass ich in meinem 75. Lebensjahre auf
voellig anderen Wegen mein Ziel erreichen moechte als es mir in
meinem 25. moeglich gewesen werde; und dass ich heute zu erlernen
und vor allem zu erinnern unfaehig bin, was ich mir damals als
meinen natuerlichen Besitz haette aneignen koennen. In diesem
Zusammenhang erwaehne ich aufs neue, jene Offenbarung des Wesens
der Erkenntnis, welche mir einst vor dem Buchladenfenster auf der
damaligen Boylston Street in Cambridge zuteil wurde, wo eine alte
Frau neben mir stand und ihr Verstaendnis von den ausgestellten
Exemplaren von Aristoteles und Platons Schriften mit der
Erklaerung bezeugte: "He's for the Catholics, and he's for the
Protestants. In dieser kurzschlussartigen Einsicht mochte sich
ihr philosophisches Verstaendnis erschoepfen. Und doch sah ich
ein dass dieser Kurzschluss emblematisch (charakteristisch) ist
fuer alle Theorie; dass auch mein Denken die Fuelle des Gesuchten
nie wuerde erschoepfen koennen, und demgemaess stets mehr oder
weniger als Kurzschluss verstanden werden muss.
Wenn ich mich heute dennoch an die theoretische Physik
heranwage, so ist dies einerseits unter dem Gesichtspunkt, dass
es die einzig mir noch uebrigbleibende Moeglichkeit ist den Traum
der Jugend auszutraeumen, andererseits aber, in der
moeglicherweise ueberheblichen Anmassung, dass die sonstigen
Einsichten die ich mir im Laufe des Lebens erarbeitet habe, nun
endlich die passenden Schluessel bieten: die Unterscheidung von
objektiver und subjektiver Wahrheit, die Gesellschaftlichkeit des
objektiven Wissens und der Wissenschaft, das Wissen als die
Resultante der Begegnung (des Zusammnenstosses) des Einzelnen mit
der Umwelt. So etwa schon die Vorstellung des unendlich Grossen
so wie des unendlich Kleinen; die Teilbarkeit, die Synthese und
Analyse, das Zusammensetzen und Aufloesen, die
Entitaetsvorstellung, Entstehen und Vergehen, das Ding, der
Begriff. Vorstellung, Beschreibung und Bennenung ueberhaupt. Ist
es moeglich, dass die Antinomien und Unbestimmtheiten des
menschlichen Gemuets in der theoretischen Physik ihren
eigenartigen Spiegel faenden, und fuer diese die ueberzeugendste
(most persuasive) Erklaerung abgaeben? Vorstellungen von
continuity and discreteness.
Hinzu kommt die instrumentale Erklaerung der theoretischen
Physik; man moechte behaupten, dass sie wahr ist weil sie gueltig
ist; und dass sie gueltig ist insofern sie wirksam ist.
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