Sehr geehrter Herr Kollege Busch, Vielen Dank für Ihren Brief, dessen umfangreiche Fragen ich schrittweise zu beantworten beabsichtige, um nicht die anderen Gedankenfäden um die ich mich bemühe, mir aus dem Gedächtnis schlüpfen zu lassen. Vorerst, Ihr freundliches Angebot der e-mail Adressen etlicher anderer Verwandten. Ich nehme es gern an, mit dem Vorbehalt, dass ich nicht geneigt bin mich aufzudrängen. Vielleicht wäre es praktischer wenn Sie, bei Gelegenheit, solchen Verwandten von denen Sie meinten dass sie mit mir korrespondieren möchten, meine e-mail Adresse, und besonders mein Netzort URL http://home.earthlink.net/~ernstmeyer als Prüfstein für einen möglichen Gedankenaustausch mitteilten. Nächst die Fortsetzung meiner eigenen Lebensgeschichte um die sie mich baten. Zurück in den Sommer 1939, den ich in meinem Bericht "With the Flanders" beschrieb. Meine mittellosen Eltern bewohnten ein Einzelzimmer auf der Westseite von Manhatten, 161. Straße; die Hausnummer hab ich vergessen. Den ganzen Tag und die halbe Nacht wiederholte mein Vater zusammenfassend und in einer fremden Sprache die medizinische Ausbildung die er meinte 15 Jahre zuvor abgeschlossen zu haben. Um Geld zu verdienen hatte sich meine Mutter an eine reiche Amerikanerin verdingt die nichts mehr und nichts weniger von ihr verlangte als sie zum Hundefriedhof zu begleiten und sich an der Trauer um ein verstorbenes Tierchen zu beteiligen. Das war eine zwar körperlich belanglose Beschäftigung welche meine Mutter jedoch psychisch überforderte und sie bewog sich nach einer anderen Stelle umzusehen. Aber wo? Die jüdischen Hilfsorganisationen verweigerten einer die große Linie unterbrechenden christlichen Gemahlin eines Juden ihr Mitleid. Die evangelisch- reformierte Gemeinde der meine Mutter in Braunschweig angehört hatte, verfügte in den USA über keine Filialen; aber eine United Lutheran Church in America, obgleich in Deutschland verwurzelt, war judenblind. Zwar vermochte sie meiner Mutter nicht zu helfen, aber auf meinen Vater war sie begierig, because we need a doctor in Konnarock. Indessen fand meine Mutter eine erträgliche Beschäftigung als Haushälterin bei einer ausgewanderten Psychiaterin die sich im neuen Lande behende habilitiert hatte, einer Dr. Edith Jacobson. Inzwischen hatte mein Vater sein Sprachexamen, und als einer von wenigen erfolgreichen Kandidaten, sein medizinisches Staatsexamen, bestanden. Ich war aus Canaan und Chappaqua zu meinen Eltern zurückgekehrt. Die Kirche hatte die namhafte Möbeltransportfirma "Mayflower" eingestellt um unsere Habseligkeiten von dem Lagerschuppen auf Staten Island wo sie die heißen Sommertage verbracht, in den Virginia Hinterwald zu befördern. Es war Freitag, der 13. Oktober 1939. Alles war bereit. Meine Eltern und ich waren mit der Fähre über den New Yorker Hafen angekommen. Der große geräumige leere Möbelwagen gähnte uns an. Bedienstete des Schuppen rollten den umfangreichen "Liftvan" (container) aus seinem Schlafzimmer, und als sie ihn öffneten, floss Wasser, Salzwasser, Hafenwasser heraus. Der größte Teil unsrer Habseligkeiten war vom Salzwasser schwer beschädigt, unbrauchbar gemacht. Perserteppiche zergingen wie Watte zwischen den Fingern. Das Meiste wurde auf der Stelle verbrannt, vermutlich auf Kosten meines Vaters neuen Arbeitgebers, der United Lutheran Church in America. Schließlich hatten die Nazis die Zerstörung unsrer Wohnung, welche sie in der Kristallnacht unterlassen hatten, hier im New Yorker Gewässer nachgeholt. Weil es ihr nicht erlaubt gewesen war Devisen zu kaufen, hatte meine Mutter die Verfrachtung in Reichsmark bezahlen müssen, also auf einem deutschen Dampfer, dem "Kolumbus". Beim Ausladen in einen Lastkahn im New Yorker Hafen, so mutmaßen wir, haben die Nazis den Liftvan als Lebewohl, tief ins Wasser getaucht. Doch damit ist's noch nicht vorbei. Die Kristallnacht kehrt, wie Weihnachten, "alle Jahre wieder," wenn nicht noch öfter. Vor zwei Monaten begutachtete the Supreme Judicial Court of Massachusetts die von der Stadt Nantucket beorderte Zerstörung einer von mir erlaubnislos eingebauten Klempneranlage in meinem Haus auf der Insel. Weiteres im Anhang und bei: http://home.earthlink.net/~jochenmeyer/freunde/f047.html Fortsetzung folgt. Morgen (oder übermorgen) mehr. Herzliche Grüße an Sie und Ihre Frau. Jochen Meyer