Lieber Herr Nielsen, Vor etwa zwei Wochen zitierte ich Ihnen Sonett Nr.116, anderweitig auch als Nr. 110 nummeriert: Let me not to the marriage of true minds Admit impediments. Love is not love Which alters when it alteration finds, Or bends with the remover to remove. O no! it is an ever-fixed mark That looks on tempests and is never shaken; It is the star to every wand'ring bark, Whose worth's unknown, although his height be taken. Love's not Time's fool, though rosy lips and cheeks Within his bending sickle's compass come; Love alters not with his brief hours and weeks, But bears it out even to the edge of doom. If this be error and upon me prov'd, I never writ, nor no man ever lov'd. Nach unzähligen Wiederholungen im Laufe der folgenden Tage ist sein Wortlaut nun in meinem müden 87 Jahre alten Gedächtnis fest verankert. Gibt mir Gelegenheit seinen Sinn oder - mit Verlaub - seinen Unsinn immer wieder zu bedenken, als Muster für die Poesie im Allgemeinen, die eigenen unbeträchtlichen Bemühungen einbeschlossen. Wenn ich die verschiedenen Verstöße gegen die gegenwärtige Umgangssprache bedenke, denn wer bedient sich heute eines intransitiven "alter"? Wo hört man, z.B., "The weather alters," oder "The temperature alters"? Oder gleichfalls eines intransitiven "remover". The word remover is incongruous without the specification of the object to be removed. Dann frage ich, hat sich die Sprache in Verlauf der vierhundert Jahre verwandelt? Oder wäre es, wie ich vermute, die Aufgabe der Poesie die Sprache überhaupt erst zu schaffen. Zum Vergleich, die elegante Übersetzung von Stefan George: Man spreche nicht bei treuer geister bund Von hindernis! Liebe ist nicht mehr liebe Die eine ändrung säh als ändrungs-grund Und mit dem schiebenden willfährig schiebe. O nein · sie ist ein immer fester turm Der auf die wetter schaut und unberennbar. Sie ist ein stern für jedes schiff im sturm: Man misst den stand · doch ist sein wert unnennbar. Lieb' ist nicht narr der zeit: ob rosen-mund Und -wang auch kommt vor jene sichelhand .. Lieb' ändert nicht mit kurzer woch und stund · Nein · sie hält aus bis an des grabes rand. Ist dies irrtum der sich an mir bewies · Hat nie ein mensch geliebt · nie schrieb ich dies Diese Betonung der Liebe als Beständigkeit, als unveränderliche Treue, erinnert mich an die Warnungen des Sonetts von Rilke: XII. Sonett Wolle die Wandlung. O sei für die Flamme begeistert, drin sich ein Ding dir entzieht, das mit Verwandlungen prunkt; jener entwerfende Geist, welcher das Irdische meistert, liebt in dem Schwung der Figur nichts wie den wendenden Punkt. Was sich ins Bleiben verschließt, schon ists das Erstarrte; wähnt es sich sicher im Schutz des unscheinbaren Grau's? Warte, ein Härtestes warnt aus der Ferne das Harte. Wehe -: abwesender Hammer holt aus! Wer sich als Quelle ergießt, den erkennt die Erkennung; und sie fuhrt ihn entzückt durch das heiter Geschaffne, das mit Anfang oft schließt und mit Ende beginnt. Jeder glückliche Raum ist Kind oder Enkel von Trennung, den sie staunend durchgehn. Und die verwandelte Daphne will, seit sie lorbeern fühlt, daß du dich wandelst in Wind. Aus: Die Sonette an Orpheus, Zweiter Teil und auch an Hofmannsthals Libretto zu Ariadne auf Naxos wo die Liebe "Die (k)eine ändrung säh als ändrungs-grund" als Todessehnsucht beschrieben wird, und der Liebe Verwandlung als Lebenstrieb. All dies in der Perspektive der Lehre meines Romanhelden Maximilian Katenus von der natürlichen "Pseudo-identität des Ich." Dementsprechend wäre vielleicht die von Shakespeare gepriesene beständige, unveränderliche Liebe ein verzweifelter Versuch das eigne Ich zu entdecken, zu befestigen, zu bestätigen. Jedes Mal wenn ich mir das 116. Sonett im Stillen im Gedächtnis wiederhole, denke ich darüber nach. Herzliche Grüße an Sie beide. Jochen Meyer