Sehr geehrter Herr Kollege, Als Antwort auf Ihre Bitte um einen Bericht über meinen Lebenslauf, sandte ich Ihnen die schlichte unverblümte Chronologie meiner Amerikajahre; bin mir im Unklaren ob ich Sie darüber hinaus mit weiteren Einzelheiten und Umständen belasten oder belästigen sollte. Hab mich längst daran gewöhnt was mich jeweilig beschäftigt "in real time", in Echtzeit niederzuschreiben, ohne zu grübeln wer mein Geschreibsel denn lesen sollte, oder ob es überhaupt lesenswert wäre. Dementsprechend diese weitere Perspektive auf meine Existenz in Amerika. Meine Mutter hatte einen lebhaften Sinn für das Dramatische. "Fräulein, sie sollten and Theater gehen," war der Rat schmunzelnder Mitarbeiter in der Bank. Besonders Familienereignisse pflegte sie zu dramatisieren. Als ein bündiger Ausdruck meines eigenes Wesen war ihr eine kleine Geschichte die sie mir im Lauf meines Lebens immer wieder wiederholte. Im Sommer 1931, als ich ein Jahr alt und meine Schwester 3 Jahre alt war, machten meine Eltern eine Deutschlandreise ins Tauber- und ins Rheintal, Vorgängerin der schicksalhaften Reise 1938 mit dem tödlichen Unfall auf der Autobahn bei Gießen. Mein Großvater väterlicherseits war gestorben. Sein Frau Elfriede war in Braunschweig und betreute ihre kleinen Enkel. Bei meine Eltern Rückkehr entsponn sich folgendes: "Marga, ich bin ja so froh dass ihr wieder zurück seid." "Ja was ist denn los, ist etwas geschehen?" "Ich kann nicht, ich kann nicht mehr, ich bin vollkommen erschöpft. Das Mädchen war ja ein gutes Kind, war großartig und hat mir keine Schwierigkeiten gemacht. Aber der Junge, der Junge hat ununterbrochen geschrieen, morgens und abends, Tag und Nacht. Ich konnte es nicht mehr aushalten. Gott sei Dank, dass ihr wieder hier seid." Ich hab, wie wir als Kinder in Braunschweig sagten, eine lange Leitung. Jahre sind verstrichen in denen ich diese kleine Dramatisierung immer wieder zur Kenntnis nahm, ohne weiter drüber nachzudenken. Erst nach meiner Mutter Tod, und Jahre nachdem die Trennungsangst durch die eigne glückliche Ehe endgültig verbannt war, stellte ich mir die Frage warum ich nicht auch in den Armen meiner Großmutter wie in den Armen aller Frauen die mich als Kind - und als Erwachsener - umarmten, Ruhe fand - ob es denkbar ist dass die fromme Jüdin es nicht über sich brachte den nicht-jüdischen männlichen Säugling in ihre Arme aufzuheben, zu herzen und zu küssen. Jedenfalls, war es der erste Auftritt einer Trennungsangst die hinfort mein Leben gestaltete. Ein weiteres Mal trat diese Angst in Erscheinung im Juli 1936, als meine Eltern meine Schwester und mich in ein Ferienkinderheim auf der westfriesiscchen Insel Juist unterbrachten. Auch das weinte ich fast ununterbrochen aus Sehnsucht nach meinen Eltern, besonders, nach meiner Mutter. Bemerkenswert, dass ich bei meiner Großmutter mütterlicherseits, in Berlin-Nikolassee ruhig und zufrieden war. Was mir nach unsrer Ankunft in New York geschah, hab ich in einem im Internet veröffentlichen Aufsatz, "With the Flanders", beschrieben. http://home.earthlink.net/~ernstmeyer/notes/Flanders.html Nächst im Jahre 1942, scheiterte an meiner Trennungsangst der Versuch mich in der achten Klasse in Germantown Friends School in Philadelphia einzuleben. Erst 1945, in meinem 15 Lebensjahr, gelang es mir das Elternhaus zu verlassen. Bis zu diesem Zeitpunkt fühlte ich mich geborgen fast nur im Elternhause. Mein Vater, meine Mutter, meine Schwester und ich hatten New York City am 14. Oktober 1939, verlassen. Fuhren ab von dem monumentalen Bahnhof, Pennsylvania Station. Besinne mich der Schw