Hätte ich Werner Jaeger oder Karl Vietor betreffs einer möglichen Soziologie oder gar Psychologie der Literatur angesprochen, würden sie mich beleidigt und verärgert abgewiesen haben, weil eine andere, ungewöhnliche Perspektive, den Wert und die Bedeutung ihrer eigenen Bemühungen in Frage gestellt hätte. Vielleicht wäre ihre Ablehnung begründet, insodern als meine (pseudo)soziologischen oder (pseudo) psychologischen Erwägungen nichts bewirken würden als das Rheingold der verdichteten Sprache mit einer weiteren Schicht idealischen Schlamm oder schlammigem Ideal zu verdecken. Dahin gestellt auch müsste bleiben ob meine Bemühungen abgestimmt wären zu mehr als einer Übertreibung meiner unbeträchtlichen Bemühungen in angesicht ihrer tatsächlich geringen geisteswissenschaftlichen Errungenschaften. Wie dem auch sei, meine Überlegungen haben ihre eigenen gedanklichen Folgen, und auf diese kommt es mir an. Ein gutes Gedicht, eine gute Erklärung, eine gute Erzählung ist ein Werk das mich befriedigt und beglückt, insofern es mir mein Denken, mein Fühlen, mein Wesen bestätigt und bestärkt; zugleich aber mich in eine geistige Gesellschaft eingliedert die mir wertvoll, die mir unabkömmlich ist. Die Einfügung, Eingliederunng in die Gesellschaft ergibt sich aus der Gemeinschaftlichkeit der Sprache, aus der Tatsache, dass es dieselben Worte sind der wir alle uns bedienen. Die Identität der Worte erzeugt eine geistige Zusammengehörigkeit welche das Wesen der Gesellschaft ausmacht. Die Eingliederung des Einzelnen in die Gesellschaft. Die Dudendisziplin dient die Vergesellschaftung, - oder sollte ich schreiben, die Verherdung zu steigern und zu befestigen. Von diesem Standpunkt ergibt sich ein neues Bild, ergeben sich neue Perspektiven, nein, nicht nur auf die Literatur und den Einzelnen, sondern vielleicht wichtier, auf die Literatur und die Herde. Man betrachte nun nicht nur die Sprache sondern auch die Literatur die aus ihr erblüht als Instrument der Vermittlung zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft die er benötigt und der er angehört. Ein gegebenes Literaturerzeugnis lässt sich als Katalysator für Vorgänge in beiden Richtungen erklären: Ein Gedicht katalysiert (besonders beim Dichter) die Einbeziehung in die Gesellschaft; zugleich aber wirkt es (besonders beim Leser) als Mittel wodurch die Einzigartigkeit seines Wesens ermittelt, vermittelt und gesteigert wird. Dem Dichter wirkt das Gedicht welches er schreibt, sein eigenes, eigentliches Wesen zu veröffentlichen und zu verallgemeinern. Dem Leser dient das Gedicht das er in sich aufnimmt als Vorlage, als Schablone dergemäß ein Teil seines Wesens sich eventuell entwickeln vermöchte. Ob ein Gedicht, ein Roman, ein Aufsatz "gut" oder "schlecht" sein möchte ist eine heikle Frage mit der Antwort, die letzten Endes vom Verständnis, vom Einbildungs- und Einfühungsvermögen des Lesers abhängt. Der Geist des idealen Lesers vermöchte allem, auch dem einfachsten Kinderreim Bedeutung, Sinn und Trost abgewinnen. Der Stumpfheit des verdorbenen Gemüts versagt jegliche Begeisterung aus eigenem Antrieb. Es empfindet als bemerkenswert und schön was immer der Nachbar oder die Nachbarin als wertvoll einschätzen, und fügt sich dem öffentlichen Maßstab künstlerischer Werte, wenn nur aus dem Bedürfnis vor einer gesellschaftlich allgemein anerkannten Forderung nicht zu versagen und die Zugehörigkeit zur Herde nicht zu gefährden. Eine bemerkenswürdige und bedenkliche Eigenschaft der Bewertung eines Kunstwerkes ist die Abhängigkeit von der Persönlichkeit (Identität) des Künstlers. Es stimmt mich unbehaglich ein Werk eines erlauchten Dichters als mittelmäßig oder schlecht zu verurteilen. Ebenso ist es mir peinlich, schwierig bis zur Unmöglichkeit, die Arbeit eines Unbekannten, als von unvergleichbar großem Wert einzuschätzen. Die unverkennbare Tatsache: der Ruhm wirkt entscheidend für den Wert. Das Unbekannte ist ipso facto wertlos; das Berühmte hingegen, lediglich auf Grund seines Rufs, hervorragend. Wer erlauchte Kunst schaffen will, darf das Werben um Anerkennung, darf Reklame für seine Arbeit, nicht umgehen; darf nicht den Ruhm, wie ich es getan habe verschmähen. Oder doch? Wenngleich es eine Unzahl von Schriftstellern gibt die es offensichtlich auf den Ruhm, und scheinbar nur auf den Ruhm abgesehen haben, ist es dennoch möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich, dass es weder dieses Bestreben noch eine von Ruhm und Bestreben unabhängige Qualität ist, welche die Vorzügichkeit des hervorragenden Kunstwerks bestimmt, sondern der Zufall. Meinerseits würde ich meine Abneigung gegen die Werbung praktisch, pragmatisch rechtfertigen, eben dass die beträchtliche Wahrscheinlichkeit erfolglosen Werbens mit einer Enttäuschung behaftet ist, welche das unwahrscheinliche und dabei fragliche Glück erfolgreichen Werbens um manches überwiegt; und dass es durchaus möglich ist ein einträgliches produktives und erbauliches Leben in einsamer Abgeschiedenheit zu leben. Man möchte behaupten, dass das abgeschiedene erbauliche produktive Leben letzten Endes das einzig zufriedenstellende ist. Hinzu kommt die Tatsache dass zuletzt die große Welle des unvermeidlichen Todes das Leben und all seine Spuren überflutet und löscht, und dass der sich genügsame Geist der mit seiner zeitlichen Vergänglichkeit in Frieden gedeiht, um manches glücklichere Tage verlebt als der unablässig nach Ruhm und Reichtum hungernde der nie genug bekommen kann, der lebenslang am Nichterkanntsein darbt und in den Nebeln trauriger Enttäuschung stirbt. Es ist möglich, und möchte im Licht oder im Schatten geläufiger Meinung erscheinen, das vorstehende Überlegungen nichts mehr und nichts weniger sind als saure Trauben, dass ich den Ruhm der Dichtung geringschätze, weil ich ihn nicht zu erreichen vermag.