Mit den Briefen an meine jüdischen Urgroßeltern Isaak und Emilie (Herzberg) Meyer die ich (bis jetzt zum Teil) dem Rechner eingegeben habe, erlebe ich einen winzigen Teil ihres Schicksals, wo ihnen kein konstruktives und erbauliches Gewerbe erlaubt war, wo sie als Schlächter, Händler von Vieh- Kuh- Kalbshaut und Leder sich ihr Einkommen erarbeiteten mussten. Wie den Sklaven und Arbeitern die von den "höheren" Gesellschaftsschichten verschmähten mühevollen, körperlichen Dienste aufgetragen wurden, so wurde dem aus religiösen Umständen unterdrückten Judenvolk, die Seelenbangnis erregenden Pflichten Vieh und Pferdehandelns, des Schlachtens und Abhäuten der getöteten Tiere auferlegt. Die Briefe die ich jetzt lese bezeugen wie sie sich diese Pflichten aneigneten und wie sie sich nach der Napoleonischen Befreiung sich von ihnen entledigten. ================================= Der schicksalhafte Widerspruch zwischen Ethik und Ästhetik inbegriffen in der Losung: "Das hat mit mir nichts zu tun," wird augenscheinlich sobald man der auf intra-gesellschaftliche menschliche Beziehungen anwendet: Der Mensch hat mit mir nichts zu tun, ist Vorbedingung für die ästhetische Integrität des Einzelnen; der Mensch hat (alles) mit mir zu tun, ist Voraussetzung für jedes liebevolle Verhältnis, für agape sowohl als auch eros. Das sich Abtrennen von anderen Menschen erweist sich zugleich gedeihensnotwendig und gedeihenszerstörend, für die Gruppe ebenso wie für den Einzelnen. Das Klassenvorurteil, die Verachtung der niedrigen Kaste, die Ausbeutung, die Sklaverei. Die Fähigkeit (oder Unfähigkeit) zu begreifen dass jener andere der nicht zu mir gehört weil er nicht zu mir gehören kann, ebenso ein Mensch ist, ebenso denkt und fühlt wie ich. (Oder nicht). Meine Familie besteht grundsätzlich aus Menschen die zu mir gehören die mich nicht bedrohen und durch die ich nicht gefährdet bin. Umso entsetzlicher, wenn es sich herausstellt, dass obgleich sie meine Familienmitglieder sind, sie mich dennoch gefährden. No man is an island ... So auch die Abgrenzung gegen das Tierische, um das Menschliche zu bewanhren. Vorgehende Betrachtungen sind eine weitere Stufe der Dialektik, inssofern als sie die unvereinbare Vereinbarkeit, und die vereinbare Unvereinbarkeit bezeugt; und weiterhin zeigt, inwieweit mein Denken ein Spiel mit meiner Sprache ist. ================= Soeben überlas ich in einem Briefentwurf von vor einem Jahre: Mich beschäftigt das Missverständnis das sich aus meinem Sonett 112 ergeben hat. de la méthode Cogito ergo sum hat er geschrieben. Fünfhundert Jahr ist's kaum befragt geblieben: Was cogito? und was bedeutet sum? Bedenkenswert, befragenswert. Drum zaud're nicht und kogitier ein wenig: Dass wenn und weil ich mir bewusst, bin ich. Nur ich bin Ich. "Ich bin" zeigt auf mein Sein. Ich bin allein. Das Andere ist Schein. Welt außer mir ist Schein, wird wirklich erst wenn's Gott verbürgt. Der ist? Erinn're mich! Gott ist in Dir und deshalb ist Gott Ich. Gott ist Dein Ich dem Du den Rücken kehrst. Es reimt sich alles. Fort nach Königslutter! Auch dies Sonett ist nichts als Ofenfutter. Königslutter ist der Ort der klassischen braunschweiger Irrenanstalt. "Das Sonett behandelt die Kartesische Beweisführung des Ichs durch das Bewusstsein, cogito ergo sum; und die vielleicht von Verfolgungsangst gestiftete Begrenzung eines allgemeinen Zweifelns mit der Glaubensparole, dass die Wirklichkeit der nicht-subjektiven äußeren Welt durch die Güte und Wahrhaftigkeit Gottes verbürgt ist, ein Glaubenssatz der die Frage aufwirft, "Wer ist Gott?" Meine Antwort, "Gott ist Dein Ich dem du den Rücken kehrst", möchte missverstanden werden. Ich meinte nicht, dass man Gott den Rücken kehrt. Ich meinte dass es einen Teil des Ichraums gibt der dem Bewusstsein nicht zugänglich ist, ein Teil des Ichraums der "im Rücken" des Bewusstseins liegt, ein Teil des Ichraums der dem Bewusstsein weder zur Wahrnehmung noch zur Handlung zugängig ist. Mein Vorschlag: dieser seiner Lage gemäß unzugänglicher Raum sei was wir in der Alltagssprache als "Gott" benennen; das, mit anderen Worten, jenen Teil des Ichraums bezeichnet der dem Bewusstsein unerreichbar ist." Bein Überlesen fällt mir als bisher Übersehenes die äußerst triftige Begriffsbestimmung des Göttlichen auf, mögliche Lösung des Rätsels, was Gott ist: nämlich eine Bewandtnis, eine Funktion, eine Wirksamkeit des menschlichen Geistes der eine anderweitig unbegreifbare, unbestimmbare Wirklichkeit, Verlässlichkeit der Welt verbürgt. Gott ist die Kraft, die Macht, die Wesenheit, die den täglichen Auf- und Untergang der Sonne verbürgt, die Verlässlichkeit meines Denkens. Die Verlässlichkeit der Welt und die Beständigkeit Gottes sind die zwei Seiten der Geistesgleichung die unsere Leben, unsere Existenzen, bestätigt.