Lieber Herr Nielsen, Es scheint mir höchste Zeit, Ihnen einen wenn auch verspäteten Neujahrsbrief zukommen zu lassen, denn ohne die Anregung des Briefschreibens gerät meine Geistesmaschine in Leerlauf, verlangsamt sich und bleibt schließlich stehen, vielleicht sogar auf einem Totpunkt. Hoffe sehr dass in meinem Falle die Totpunkte der geistigen und der körperlichen Kurbelwellen meiner Existenz zusammenfallen. Was am Ende geschehen wird ist Schicksal, jenseits meiner Verfügung. Dass ich mit meinem Denken und Schreiben noch nicht völlig zuende gekommen bin, mag dieser Brief beweisen und bewirken. Auf den Gefilden der Lyrik möchte (lese) ich Erinnerungen (ernten) um sie zu kleinen Gedichten wie Keks oder Plätzchen zusammenzureimen, anspruchslose Geschichten welche die Schluchten des Vergessens überbrücken und zu Geschichte werden, um dann mit dem Zeitenengel den hoffnungslosen Ringkampf um Unvergesslichkeit anzustellen. Im sechsten Bande meines Romans über die vier Freunde hab ich einem Wendepunkt erreicht über den hinaus ich jedenfalls heute Morgen nicht zu kommen vermag. Aus vier Freunden sind inzwischen sieben Freunde geworden, Jonathan Mengs, der erfolgreiche und demgemäß etwas langweilige Universitätsprofessor, der dennoch für neue Gedanken, für neue Eindrücke empfänglich ist; sein akademischer Pflegesohn, Joachim Magus, der sich auf der Schwelle des pflegeväterlichen Nests befindet im Begriff es zu verlassen. Er kann nicht umhin ein waghalsiges Verhältnis mit dem kecken und aufdringlichen Mädchen Charlotte Graupe zu wagen; sie wurde von der Aletheia Universität der Kochkünste zu einer Metze abgerichtet. Charlotte aber scheint trotz ihres höchst abenteuerlichen Studiums der Kochkunst an der Aletheia Universität alles andere als moralisch und seelisch zerrüttet; der ehrliche Rechtsanwalt Moritz Schwiegel, sonst noch, Charlottens unermüdlich enttäuschter Liebhaber, Maximilian Katenus und seine Haushälterin Elly Solmsen, die beiden Flüchtlinge von der Insel, und schließlich ihr Mitinsulaner, Doktor Andreas Selbstmacher, der es gewagt hatte in sein unfertiges Haus auf der Insel eine Klempneranlage nach eigenem Gutdünken, mit eigenen Händen. ohne amtliche Erlaubnis einzubauen, und der nun, nach elfjahrelang währenden Streitigkeiten in denen er unterlag, mit Genehmigung der Gerichte von den örtlichen Behörden gezwungen worden war, einen Klempner anzustellen, die kunstvoll angelegte Einrichtung auszureißen, zu zerstören, und der sich jetzt mit seinen jahrelangen vergeblichen Mühen wichtig macht, (mit dem Dünkel) und sich einredet er habe, indem er sich sechs Jahre lang von den Gerichten hatte belügen und betrügen lassen, irgendwie über die Gerichte gesiegt und somit die anderweitig unverkennbare Verderbnis des Schöpfung bezeugt und bewiesen habe. Schwiegel und Selbstmacher waren, als die Unterhaltung sich (unabsehbare Male) zu wiederholen begann, nach Hause gegangen. Nun waren es fünf Freunde die miteinander dies ehrwürdige Döhringhaus beschützten, und sich anstellten dies Haus und sich selber gegen die zu erwartenden Angriffe der Behörden zu verteidigen. Dies ist also ein neutraler, ein Wendepunkt in meiner Geschichte. Wie sollte ich sie nun fortführen? Auf dem unrealistischen kierkegaardschen Vorsatz beharren, dass es auf den Einzelnen, und nur auf den Einzelnen ankommt, dass er sobald er der Herde folgt im Angesicht des Höchsten nichtswürdig wird? Oder dass der Einzelne eine Bindung in und eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft hat die er nicht verleugnen darf und der er weil nicht zu entgehen vermag, dass die schmerzhafte zerstörerische Verfolgung des Einzelnen von der Gesellschaft unter Umständen ein unvermeidbares und nicht zu beklagendes Opfer an die Gesellschaft ist? Ich werde erinnert an Divina Commedia: Darstellung der Strafe des Übeltäters oder des Leidens des unschuldig Verfolgten. Erinnere mich an Goethes Mini Divina Commedia in der Einleitung zum Faust. Weiß nicht wie ich darauf gekommen bin. Weiß nicht wie ich den Titel deuten soll. Wären Himmel, Fegefeuer und Hölle passende Themen für ein Lustspiel? Sollte was dort geschah, was dort geschieht als lustig, als komisch, als lächerlich verstanden werden? Besinne mich auf Georgette Fleischers Roman über Judenverfolgung und KZ, und Helmut Frielinghaus' Empörung üb er die frevelhafte Beschreibung von Leiden die einem sel st erspart waren.