Lieber Herr Nielsen, Für die so baldige Fortsetzung meines Briefes von Gestern, erlauben Sie mir die zugegeben lahme Entschuldigung, dass ich die umgehende Aussprache oder Niederschrift meines jeweiligen Denkens als Voraussetzung für jegliche Produktivität erlebe. Freilich vermag mich nichts zwingen, das Geschriebene abzusenden. Ich bin versucht mit dem Vorhaben ob ich es sende oder nicht, zu spielen und vielleicht mich selber zu täuschen; Da erlaube ich mir gewissenslos zu sein, der ich ansonsten mit Gewissen überlastet bin oder so scheint es mir selbst gegenüber. Wenn ich es unterließe niederzuschreiben was mein Gemüt augenblicklich bewegt, dann wüsste ich garnichts hervorzubringen, denn mein Vorrat an aufgespeicherter Gelehrsamkeit, die Speisekammer meines tatsächlichen Wissens, war von jeher kärglich, und ihr Inhalt scheint nun mit zunehmender Vergesslichkeit des fortgeschrittenen Alters völlig zu versickern. Aber das Thema, das Thema lässt mich nicht los. Ich sehne mich so sehr nach Ruh und Frieden, nach Geborgenheit. Ich suche und stelle mir vor diese überall zu finden, doch bei genauerem Bedenken, nirgends. Stattdessen wähne ich überall ihr Gegenteil zu erkennen, die mörderische Lust, die entsetzliche Bosheit, die Hartherzigkeit, die Brutalität, mit welcher wir Menschen einander plagen, verfolgen, unglücklich machen. Was ich sehe ist zu dringend, zu unmittelbar, zu überwältigend, zu "aktuell", wie man heutzutage sagen möchte, um vor Ungelehrsamkeit, vor Unwissen, zu weichen, eingeschüchtert zu verstummen. Das Kind in einem jeden von uns wird weinen, wird schreien und heulen, wenn ihm verboten wird, oder wenn es sich selbst verbietet, oder wenn es unfähig ist über seine Angst zu reden. Ach, wir möchten es so gerne vergessen, wir sind beflissen uns zu betrügen, Und doch sang ich gläubger Weise, Daß mir die Geliebte treu, Daß die Welt, wie sie auch kreise, Liebevoll und dankbar sei. Die Welt aber ist nicht so, ist anders, ganz anders. Wo es unmöglich ist sie zu verändern, gilt es dennoch sie zu verstehen. Mein Denken hatte mich zu der Frage, zu dem Widerspruch geführt, dass mir die Welt der Nazis (und die Herrschaften der Diktatoren, der Könige, der Staatsoberhäupter, der Gesellschaftsleiter) Herrschaft Qualitativ anders sind als die Massaker auf Chios, in Armenien, in Auschwitz, Hiroshima, Nagasaki, Dresden, als das Morden und Zerstören des Krieges überhaupt. Das gebe ich zu, aber der Unterschied besteht nicht im Leiden das den Mitmenschen zugefügt würde sondern in der Tatsache, dass es sprachlich, gedanklich, geschichtlich gerechtfertigt werden sollte, und dass somit der Rahmen jeglicher heilender, tröstender Idealisierung genommen wurde. Das ist es was Dantes Inferno so schrecklich macht. Genau wie in Dantes Inferno eine so lächerliche Rubrik der Todsünden die Höllenqualen rechtfertigen sollte. vermeintlich rechtfertigte und sie als göttlicher Vorsehens entsprechend ausgelegt wurde. Eine "natürliche" Katastrophe, ein Tsunami, ein Pestausbruch ist gleichfalls zerstörend ab er wirkt in meinem Gemüt weit weniger bedrohlich als die Wanseekonferenz. Ich komme zurück auf die Anomalie der Theodizee des 18 Jahrhunderts, des Erdbebens von Lissabon, welches nicht nur Lissabon sondern zugleich die spinozistische Losung Deus sive Natura zerschmetterte, auch ein seelisches Erdbeben dem diese Losung zum Opfer fiel. Denn ein Gott der eine solche Zerstörung über eine ihm so untertane, eine so gottesfürchtige Stadt wie Lissabon verhängte war unvereinbar mit der Güte Gottes. Anders als das jüdische Jerusalem dessen künftige Zerstörung Jesus beweinte... Es handelt sich um einen unlöslichen Widerspruch, um eine Frage ohne Antwort, um ein Rätsel ohne Lösung. Jede vermeintliche Lösung wird dann zu einer Verschiebung des Widerspruchs auf ein Gebiet wo seine Unannehmbarkeit unscheinbar wird oder wo der Winderspruch scheinbar annehmbar wird, - was auf das selbe hinaus will. Eine oft erwähnte Erscheinung des Widerspruchs ist das religiöse Wunder: die Incarnation des Gottes, die Objektivierung der Subjektivität. Bemerkenswert wie ich mich weigere die Biblischen Wunder ernst zu nehmen, wie besessen hingegen ich bin die berüchtigte illegitime Cohabitation der Unvereinbaren, von Subjekt und Objekt zu betonen und zu feiern. Wenn Gott inwendig wird, mit dem Inwendigwerden wird der äußere objektive Gott dem Dante ins Exil im unerreichbaren Empyrean verwies, von wo er dennoch objektiv wirksam und kräftig genug war, aus Liebe die Hölle zu stiften ... so hab ich mit Gottes Verinnerlichung sein objektive Wirksamkeit lahmgelegt, wenn ich Gott als innerlich, als einen Teil des Ichs dem du den Rücken kehrst bezeichne. ================== Ich finde mich in keinem dunklen Wald auf einer Nebo Höhe wie die von welcher das gelobte Land einst sichtbar war. Ich sehe klar, das Licht der Sonne scheint doch ist eiskalt. Ich fürchte dass ich mich erkälte, nein, dass ich hier erfriere. Die Todsünden welche Dante beschreibt sind scholastische Entdeckungen oder Erfindungen. Plagiat nicht der Bibel sondern der Ethik des Aristoteles, der Lehren eines Thomas von Aquino. Nicht Zorn ist Sünde, sondern Hass, vielleicht auch Gleichgültigkeit. Die Liebe aber wird weithin missverstanden, denn sie ist nich ein passives Empfangen, sondern ein aktives, transitives Geben. Liebe bedeutet nicht verstanden zu werden, sondern zu versthen bedeutet nicht betreut zu werden, sondern zu betreuen. bedeutet nicht beschenkt zu werden, sondern zu schenken. Der Gipfel, der Zenith, des Seins ist nicht Gott, nicht Gott sehen, noch Gott werden, noch Gott sein, sondern Mensch. ================= Auch ich hab es aufgegeben Größres sein zu wollen als ich es bin. Bin zufrieden und dankbar Ich zu sein, so wie ich bin. ä ö ü ß