Date: Mon, 18 Dec 2017 11:03:02 -0500 From: Ernst Meyer To: Bernd Strangfeld Subject: am 18. Dezember 2017 Liebe Gertraud, vielen herzlichen Dank für Deinen Brief, und selbstverständlich für Deine Kenntnisnahme and besonders für Deine Kritik meiner stümmelhaften Poeterei. Das Gedicht das ich Dir sandte lautete: Wahrlich Wie bös' wir Menschen sind ist nicht zu fassen. Wir uns verachten und einander hassen. Denn Nächstenliebe ist ein eitler Traum, verschmückend Marzipan am Weihnachtsbaum. Bei dem Versuch die Lebenswelt zu richten, wir tugendhafte Ethik uns erdichten. Mit grauenhafter Strafe gehn wir um wie mit erlösendem Viatikum. Der Eintritt in das paradiessche Leben erkauft der Schmerz den wir den Tieren geben. Wir unterscheiden zwischen Mensch und Tier, uns Leiden zu ersparen: nur nicht wir! All unsre Geistigkeit ist ein Betrügen womit wir uns und unsren Gott belügen. Deine etwas kryptische Kritik: "Ich möchte dazu nur eine technische Bemerkung machen, die Wortstellung in der 2. Zeile des ersten Gedichtes betreffend: Solche Umstellung bleibt im literarisch gestimmten Halse stecken. Du bist doch gewandt genug, um dafür andere Lösungen zu finden, denke ich mir. Ähnlich in der 2. Zeile der 2. Strophe desselben Textes." deute ich darauf hin, dass Du an der Zeile: "Wir uns verachten und einander hassen." die Umstellung der Worte "uns verachten", beanstandest, nicht aber die Umstellung der Worte "einander hassen." - oder doch? und dass Du gleichfalls statt der Zeile: "wir tugendhafte Ethik uns erdichten." so etwas lesen möchtest wie: "wir erdichten uns tugendhafte Ethik." Dir zuliebe hab ich das Gedicht umgeschrieben. Jetzt lautet es: Wahrlich Wie bös' wir Menschen sind ist nicht zu fassen. Verächtlich wir, die wir einander hassen. Denn Nächstenliebe ist ein eitler Traum, schmückt wie das Marzipan den Weihnachtsbaum. Bei dem Versuch die Lebenswelt zu richten, Gelobte Tugend, Ethik, wir erdichten. Mit grauenhafter Strafe gehn wir um wie mit erlösendem Viatikum. Den Eintritt in das paradiessche Leben erkauft der Schmerz den wir den Tieren geben. Wir unterscheiden zwischen Mensch und Tier, uns Leiden zu ersparen: nur nicht wir! All unsre Geistigkeit ist ein Betrügen womit wir uns und unsren Gott belügen. Findest Du das besser? Indem ich's überlese, fällt mir auf, dass mir's (oder sollte ich schreiben, um die Verstellung zu vermeiden, "dass es mir") nicht gelungen ist die Inversionen zu berichtigen, denn jede der Zeilen: "Gelobte Tugend, Ethik, wir erdichten. Mit grauenhafter Strafe gehn wir um" enthält ja auch eine Umstellung der Worte. Darf "ich mich entschuldigen" sollte es heißen "ich entschuldige mich"? Liebe Gertraud, darf ich schreiben: "Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube," oder muss ich in einem andren Versmaß schreiben: "Ich höre die Botschaft, aber der Glaube fehlt mir."? Bin keineswegs gesonnen die eigenen elenden dichterischen Anmaßungen in Schutz zu nehmen. Es ist die Ehre der für Wortspiegelungen so empfänglichen Muttersprache die mir am Herzen liegt, und für die ich gewillt bin mich lächerlich zu machen und meine Leserin zu verärgern. Die wenigen besonnenen - oder sollte es heißen besonnten Stunden die mir übrig bleiben verbringe ich mit Schreiben das im Internet der ganzen Welt zugänglich ist. Dass es von keinem gelesen wird hat mein vollstes Verständnis. Denn man liest um sich in eine gemeinschaftliche Geistigkeit einzugliedern, um die ich mich nie gekümmert habe, und heute wäre es viel zu spät damit anzufangen. Das Nantucket Fiasko fährt fort sich zu entwickeln, und in einer Verworrenheit der literarisch gerecht zu werden, jedenfalls an diesem kalten Wintermorgen über meine Kräfte geht. Deshalb Schluss, bis auf die herzlichsten Weihnachtsgrüße und Neujahrswünsche an Euch beide. Jochen