30 Grant Street Cambridge, am 15. Januar 1951 Lieber Papa, liebe Mutti, Hoffentlich macht euch meine etwas deprimierte Stimme am Telefon keine Sorgen. Euer Anruf hat mich viel zu viel zum Nachdenken eingeregt, so dass ich schließlich gar nicht mehr arbeiten konnte. Sicherlich wird die Arbeit wieder besser gehen nachdem ich geschrieben habe. Ich habe viel zu tun. Aber wenn mein Studium nun einmal nicht so gut ginge, wie gewöhnlich, angenommen ich erhielte mein Stipendium nicht wieder, dann könnte Margaret ihre Heiratspläne ja gar nicht durchführen, und ich wäre von der Angst, die mich jetzt so bedrückt, befreit. Eigentlich sollte ich solche Gedanken ja nur ihr, nicht Euch schreiben, aber das kann ich schon seit langem nicht mehr. Früher hätte ich das getan, dann hätte ich einen flehenden Eilbrief gekriegt und alles wäre so gewesen, wie zuvor. Die McPhedran Familie ist an solche Krisen schon gewöhnt. Der Vater versorgt Margaret mit Schlafmitteln. Alex, der mir einmal die Befürchtung geäußert hat, dass sie damit Selbstmord begehen möchte, nennt mich dann „bastard“ und “son of a bitch“. Nur die Mutter drückt ihre Sorge in unauffälligerer und weniger kränkender Weise aus. Übrigens schicke ich eine Kopie dieses Briefes an Margaret, ich habe Angst, was geschehen mag. Jedes Mal wenn ich versuche mit ihr zu sprechen, fängt sie an zu weinen, und das kann ich nicht ertragen. Manchmal denke ich, wenn ich überfahren würde, oder wenn ich krank würde, würde ich von meiner Angst befreit. Aber ich werde weder krank noch überfahren werden. Und auch dieser Brief wird nichts ändern. Es wird zu einer Heirat kommen; jeder praktische Ausweg den ich ersinnen kann, ist noch unpraktischer, als bei Onkel Georg auf dem Operationstisch zu schlafen. Diesen Brief aber sollt ihr nicht vergessen. Ich selbst werde ihn später verleugnen müssen. Ich werde erklären, er sei das Resultat von Überarbeitung und Depression. Mir ist als ob ich unterginge und als ob ich nie wieder sprechen könnte. Was auch aus mir werden mag, Ihr sollt wissen, und nicht vergessen – obwohl ihr nicht verstehen könnt, dass es einen Teil von mir gibt, der unbedingt allein sein muss, und der eine Ehe niemals ertragen kann. Der war die unbedingte Geistigkeit, Reinheit, die Keuschheit selbst, das was ich mehr als alles andere liebte, und darum muss ich es verlieren. Ach, mir ist es als ob ich mich zu meinem Begräbnis anstatt zu meiner Hochzeit vorbereitete. Und nun quält mich die Angst vor dem Unvermeidlichen. Ich muss immer wieder zurück nach Chappaqua. Auch dieses ist nur ein Übergang, aber ein längerer. Ich weiß nicht was werden wird. Manchmal befürchte ich, ich würde hinterher geisteskrank. Margaret versteht es nicht. Wenn ich ihr davon erzähle, fängt sie an zu weinen, und wenn ich ihr erzähle, dass sie mich nicht versteht, fängt sie auch an zu weinen. Und so trage ich meine Angst ganz allein für mich. Es gibt kein Mittel dafür, denn das, was mir geholfen hätte, soll ich nun abtun. Ich weiß nicht, was werden wird. Betet für Margaret und mich. Ich danke Gott, dass ich Euch noch habe, und dass ich Euch so schreiben kann. Aber sorgt Euch nicht um mich. Wir sind in Gottes Hand. Euer Jochen * * * * * *