Belmont, am 28. Mai 2018 Liebes gutes Kind, Wie ich's versprach, hab ich im Bett beim Einschlafen an Dich, und nur an Dich gedacht. Aber geträumt von Dir habe ich nicht. Statt der erhofften lieblichen Vorstellungen von Dir wurde mein Schlaf von doppeltem Albdruck zerüttet, in zwei Teilen. Zuerst die Phantasie von einem großen Hause in verschneiten Bergen, das es gegen Einbrecher oder gar Räuber zu schützen galt. Vorm Hause, oder jedenfalls in dessen Umgegend, traf ich einen etwas übermäßig zudringlichen Mann, von dem ich nicht feststellen konnte, was er von mir wollte. Im Laufe meines Gespräches mit ihm wurde mir klar dass ich ihm die Leere, das Unbewohntsein des Hauses verraten hatte, und dass ich ihm das Haus gefährdet und ungeschützt gegen ihn und seinesgleichen ausgeliefert hatte. Aus Gründen jetzt unverständlich, öffnete ich meine Brieftasche mit den vielen Geldscheinen. Ich weiß nicht, ob ich meinte ich sollte, weil er ein armer Bettler war, ihn beschenken, oder weil er ein Erpresser war, ihn abfinden, oder weil er ein Räuber war, ihm versuchen mein Leben abzukaufen. Schon hatte er ungezähltes Bündel Scheine der Geldtasche entzogen, als es mir gelang das elektrisch getriebene Fenster meines Autos so eng zu schließen dass er gezwungen war seine Hand zurückzuziehen. Ein Teil meines Guthabens jedenfalls war gerettet. Ich eilte in die Stadt - oder war es nur Dorfmitte, wo reger Betrieb waltete, vielleicht sogar ein Fest begangen wurde, Beschäftigung in einem Maße, dass meine Klage überhört und meine Not übersehen wurden. Um die Gefahren die mich und mein Haus bedrohten gelang es mir keinen Menschen, weder Mann noch Frau zu bekümmern, und von Hütern des Friedens, wie etwa Polizisten war keine Spur. Ich musste mich damit abfinden, dass alles verloren war. Danach verwandelte sich der Traum und wurde um manches wirklichkeitsgetreuer. Jetzt wusste ich es; ich war in unserem Haus auf der Schulstraße und keineswegs vereinsamt. Um mich her war meine Familie, Laura, ihr Mann, und mindestens drei von ihren Kindern. Die waren besorgt nicht um mich, sondern um das Haus das sie für sich und ihren großen schwarzen Hund benötigten. Loswerden wollten sie mich; doch wie sie's bewerkstelligen würden war unbestimmt; doch dass es gelingen würde bestand kein Zweifel, denn ich wusste, ich war zu schwach mich zu wehren. Mein einziger Ausweg war in den Tod, nachdem ich mich sehnte, und von dem ich nicht wusste wie ich ihn finden würde. Jetzt war ich wach und hatte zu entscheiden, ob ich aufstehen sollte. Nun sitze ich im Schulstraßenzimmer im zweiten Stock des Anbaus, blicke in den regnerisch kühlen bewölkten Maitag - es ist der 28. - muss mich zu einem verspäteten Frühstück zusammenraffen, und dann mit den Vorbereitungen für die Reise nach Konnarock, nächste Woche, am 3. Juni den Anfang machen. Ich werde Dir alle Einzelheiten erzählen, und in Gedanken werde ich Dich mitnehmen, wie das erste Mal dass wir zusammen im Auto südwärts fuhren, im Juni 1951, damals mit Mutz. Besinnst Du Dich? Cristina hat mir im Briefe erklärt ich arbeitete, ich schriebe, ich verfasste Gedichte aus Angst vor dem Tod, und um ihn abzuhalten. Cristina ist eine dumme Gans. Ich schreibe aus Angst vor dem Leben, aus Sehnsucht nach dem Tod. Ich will bald bei Dir sein. Es dauert nicht mehr lange.