Montag, am 28. Mai 2018, um 16 Uhr 10. Mein liebes gutes Kind, Die Vorbereitungen für die Autofahrt nach Konnarock, hab ich jedenfalls für einen Tag aufgeschoben, mit Ausredem von Regen und Kälte - obgleich seit einigen Minuten die Sonne scheint, vom Feiertag an dem das Geschäft, Home Depot überfüllt sein möchte, auf einen der fünf weitere Tage die mir zur Vorbereitung noch verfügbar sind. Statt Einkäufe zu machen, schreibe ich diesen zweiten Brief am heutigen Tage an Dich. Worüber ich heute Nachmittag mit Dir reden möchte, oder treffender ausgedrückt, was ich Die heute Nachmittag beichten möchte, ist mein Erleben der Geschlechtlichkeit, ein Erleben das zwischen uns eine so schicksalhafte Bedeutung hat, ein Erleben worüber ich nie gesprochen habe, weder zu Dir, noch, Gott bewahre, zu einem anderen Menschen. Und wenn jetzt, so tue ich es gewissermaßen im Verlauf jenes allgemeinen Seelenaufräumens mit dem ich mich auf mein Sterben vorbereite. Ich erinnere nicht ob ich Dir jemals bemerkt habe, wie sorgfältig mein Vater seinen Schreibtisch in Erwartung seines eigenen Sterbens aufgeräumt hatte. Die bezahlten Schecks, die überprüften Rechnungen, die Bankkonten, die beruflichen Briefe und die persönlichen,- sie alle waren sortiert und ordnungsmäßig abgelegt. In Aussicht auf mein eigenes Sterben habe ich das Bedürfnis auf den Gefilden des Geistes und in den Schatzkammern der Seele so gut ich kann, eine vergleichbare Ordnung herzustellen. Und weil in meinem Innern besonders die Geschlechtlichkeit ein beträchtliches Durcheinander stiftet, schwierig zu beschreiben, und schwieriger noch zu richten, beabsichtige ich die anderen Fragen, wie etwa um die Erkenntnis, um die Handlung, um die Vergesellschaftung und besonders die Frage über die Beziehung von Wirklichkeit und Sprache, hintanzustellen, und zu versuchen, insofern ich es vermag, wegen der Geschlechtlichkeit ins Klare zu kommen. Außerhalb meiner inwenigen Gedanken und Gefühle, in der sogenannten Natur, ist mir Geschlechtlichkeit überall erkennbar. Die Zoologen haben die Geschlechtlichkeit nicht-menschlicher Tiere eingehend beschrieben und erklärt. Auch bei der Befruchtung der Pflanzen ist es möglich etwas der Geschlechtlichkeit Vergleichbares zu erkennen. Aber von diesbezüglichen Erwägungen habe ich bis jetzt keine Brücke in mein inwendiges Erleben gefunden. Wovon ich Dir erzählen und mir selber Rechenschaft ablegen möchte sind meine eigenen, inwendigen Gefühle bezüglich des eigenen und des anderen Geschlechts. Geschlechtliche Reize fechten mich von außen und von innen an. Als Arzt scheint es nir fast selbstverständlich mein jeweiliges Verhalten betreffs des Geschlechts als Gesundheitszustand oder als Krankheitszustand zu betrachten, wo meines Erachtens Gesundheit und Krankheit an einander grenzen und in einander münden. Ich möchte es vermeiden geschlechtliches Verhalten mit Maßstäben der Moral zu messen. Ich betrachte geschlechtliches Verhalten als ein Gefüge von Naturzuständen deren Folgen mit größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit vorauszusehen sind, wohltuend oder schmerzhaft, wie jeweils der Fall sein mag. Geschlechtserleben ist ein Spiel von Reizen und Empfindlichkeiten welche zugegeben einen Bruchteil meines Lebens beherrschen und bestimmen, jedoch nicht mehr als einen beschränkten Teil, niemals das ganze Leben in seinem Reichtum, in seiner Buntheit und in seiner Fülle. Ich war und ich bin damit zufrieden, besonders in dem Erleben das Du und ich geteilt und gemeinsam genossen haben. Je älter ich werde, desto natürlicher und selbstverständlicher erscheinen mir die verschiedenen Phases des geschlechtlichen Erlebens. Wie wir Menschen unterschiedlich auf die Reize reagieren denen wir ausgesetzt sind - man bedenke nur die patho-physiologie der allergischen Reaktion - so reagieren wir unterschiedlich auf geschlechtliche Reize. Dem einen kommt alles auf den ersehnten Körper an, dem zweiten gilt der Geist am Höchsten, dem dritten, die Beschaffenheit der Seele. Auch im Geschlechtlichen, und besonders hier, ist es der Versuch das Erleben der Menschen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen ein arger Fehler. Mehr wüsste ich jetzt jedenfalls nichts über dies heikle und doch gewichtige Thema Dir zu schreiben. Wie in allen anderen Phasen meines Lebens, beteilige ich mich nicht an einer allgemeinen Geschlechtlichkeit. Was ich erlebt habe und was ich erlebe ist unabänderlich und unwiderrufbar mein eigen.