Liebes Kind, Bei Dir wird es nicht notwendig sein, wie es bei andern Empfängern meiner Post notwendig ist, Dich für den zweiten Brief am selben Tag ausdrücklich um Entschuldigung zu bitten. Wie Du weißt, schreibe ich jeweils was mein Gemüt beschäftigt. Das Thema der zeitgenössischen philosophischen Scholastik, ist meines Erachtens von erheblicher Bedeutung, und bedarf besonders in Betreff zu seinem Gegensatz, dem unmittelbar spontanen sprachlichen Ausdruck des Erlebens weiterer Erörterung. In den jüngst vergangenen Tagen habe ich über Sinn und Zweck meines Denkens und Schreibens nachgedacht. Mir scheint dass diese sich im Verlauf der vielen Jahre meines Lebens gewandelt haben. Ursprünglich, als junger Mensch sah ich als mein Ziel bekannt und berühmt zu werden. Dann fiel mir auf dass es möglich sein möchte den anderweitig unerreichbaren Ruhm mit einer Professur zu ergattern. Bald aber erkannte ich dass im Rahmen der Eigenart meines Denkens und Fühlens auch die ersehnte Professur nichts war als ein leerer Traum. Dennoch fuhr ich fort mit dem Sinnen und Schreiben das ich mit anderen Absichten unternommen hatte, und fragte mich: Warum? Schließlich stieß ich auf eine Begründung (Beweggrund Motivation) so grundlegend und allgemein, dass ich von ihr unerschüttert überzeugt wurde und geblieben bin. Der einschlägige griechische Ausdruck, besonders von den Stoikern geprägt, ist Oikeiosis. Oikeiosis heißt mich einleben, heißt mich häußlich einrichten, heißt in und aus meiner Umgebung mein Zuhause zu machen. Dies ist ein Bestreben das auf die verschiedendsten Tätigkeiten der Menschen Licht wirft, ein sehr breites Spektrum das in einem Extrem Krieg und Verfolgung verständlich macht, wenngleich es diese nicht rechtfertigt. Im entgegengesetzten Extrem schürt es die Liebe zur Menschheit und zu dem einzelnen Menschen. Bezeichnend für mich ist die außerordentliche Bedeutung die ich dem Gedanken, dem Begriff, dem sprachlichen Ausdruck zuschreibe, von solchem Maß, dass ich mich von andersartigen, fremden Begriffen bedroht und gefährdet fühle mit dem folgerichtigen Bedürfnis die Widersprüche aufzuheben und mir zum Schutz, Einmütigkeit (Einstimmigkeit, Einhelligkeit, unanimity) zu schaffen. So erkläre ich mir die fortwährende leidenschaftliche Beschäftigung mit meiner brotlosen Kunst.