Mein liebes gutes Kind, Gestern abend kurz vor Sieben, erschien Klemens an der Küchentür um mich abzuholen. Wir setzten uns in den großen Roten Wagen, - Du besinnst Dich - wir erwarben ihn fünf Jahre vor Deinem Abschied und fuhren mit ihm drei Mal nach Konnarock. Gestern Abend jedoch, ging unsere Fahrt nur nach Winthrop Street in Cambridge, zur University Lutheran Church wo wir vor 66 Jahren am 8. März 1952, unter der Aufsicht von Pastor Steimle, heirateten. Diese Kirche und jenen Tag werden wir nie vergessen. Jetzt hatte Nathaniel dort ein Orchester zusammengestellt das er in einer Aufführung von Anton Bruckners Dritter Symphonie dirigierte. Laura war selbstständig von ihrer Arbeit in Burlington gekommen. Klemens saß zwischen uns. Ich hatte seit so vielen Jahren auf keiner Kirchenbank gesessen, dass ich vergessen hatte wie hart und unbequem solche Sitzgelegenheiten sind, als ob sie bemessen wären das Bewusstsein aufs Eindringlichste an die Hinfälligkeit des Körperlichen zu mahnen und somit eine Frömmigkeitstimmung nicht nur zu erwecken sondern wachzuhalten. Meinerseits ließ ich die ungestalte Musik wie auch Nathaniels überflüssigen Kommentar dazu, über mich hinweg fließen, - oder an mir vorbei wehen - und dachte an nichts als Dich und die vielen glücklichen Jahre die Du mir geschenkt hast. Hinterher fuhr Klemens durch die bekannten Straßen, durch Harvard Square, Massachusetts Avenue - die in meinen Romanen als Universitätsplatz und Landesallee gefeiert werden, durch Sparks Street die Garden Street hinan, an der Sternwarte vorbei, quer über Huron Avenue, nach Belmont. Und in meinen Gedanken saßest Du, wie stets und ewig, neben mir. Inzwischen ist es Spätnachmittag und wenn die Wlken die vorübergehend die Sonne verdecken, muss ich die Jalousien einstellen mich vor den hellen Strahlen zu schützen um überhaupt den Bildschirm sehen zu können. Die Angelegenheit von der ich gestern schrieb, habe ich nicht vegessen. Anknüpfend möchte ich erwähnen, dass um mich in der Erkenntnistheorie zu orientieren, ich ein Gebiet feststellen möchte in dem ich leidlich bewandert bin, wie etwa die Augenheilkunde oder die Klempnerei oder das Einbauen elektrischer Anlangen, um mich zu fragen wie ich (das Wenige) das ich weiß gelernt habe, wie ich seiner sicher bin oder werde, wie ich es anwende, wie ich es vergesse. All dies als Vorlage für mein Begreifen des Wissens überhaupt. Wenn ich mir nun in vergleichbarer Weise die Frage stelle, Was ist Ethik? und überlege ob ich mit irgendeinem Gefüge der Ethik Erfahrung habe, so scheint es mir unverkennbar, dass dies der Fall ist, dass die öffentlichen Gesetze und Regeln (Regulations) und ihre Anwendung eben nichts anderes sind als ein angewandtes System der Ethik, und dass es tunlich, gar notwendig ist, wie dieses System, die Gerichtsbarkeit, funktioniert zu untersuchen um statt aus leerem Erklügeln, aus unmittelbarer Erfahrung festzustellen was Ethik sein möchte, oder genauer, welche Vorstellungen der Ausdruck Ethik bei mir auslösen sollte. Ich schäme mich, was mir jetzt selbstverständlich erscheint nicht früher erkannt zu haben. Vorbild und Vorlage für Ethik sind Gessetze, Gerichte, Anwälte und Richter. Die Frage sollte sein nicht: "Was ist Ethik, sondern weshalb widerstrebt es uns die Gesetzgebung welche vorgeblich unser Leben ordnet als Ethik anzuerkennen. Vermutlich ist der Begriff Ethik eine die Vorstellung eines Ideals das mit der Unzulänglichkeit des Gerichtswesens unvereinbar ist. Dann wäre die Feststellung und Behebung dieser Unzulänglichkeit die Vorbedingung für jegliche Ethik die sich nicht im Bereich der Phantasie begnügt. Von Alters her, seit Moses mit den steinernen Tafeln vom Berge Sinai wiederkehrte sind Gesetze niedergeschiebene Befehle. Die Verbote weder vom Wissens- noch vom Lebensbaum zu essen waren, wenngleich nicht schriftlich, dennoch "ausgesprochen" wörtlich. Die Möglichkeit, dass unsere Lebensweise im allgemeinen, und unsere Handlungen ins Besondere außersprachlichen Bestimmungen unterliegen sollten, ist kaum zu unterschätzen. sobald man das mannigfaltige gesellschaftliche Betragen von Tieren bedenkt, welche so weit wir es zu bestimmen vermögen über keine Sprache verfügen. Allein diese Einsicht wirft einen tiefen Schatten von Fragwürdigkeit über unser anspruchsvolles Forschen nach Ethik. Beschränken wir uns auf die sprachliche gesellschaftliche Kontrolle unsres Handelns, so erkennen wir sofort die Problematik der Gesetzgebung, denn letzten Endes entzieht sich die Handlung jeglicher Beschreibung, und was immer es sein möchte dass vom Gesetz gefordert oder verboten wird, bedarf in jedem einzelnen Falle richterlicher Bestimmung welche nicht umhin kann, willkürlich zu sein wie "gerecht" sie auch erscheinen mag. So scheint mir aus praktischen Erfahrungsgründen Ethik ein unmögliches Unterfangen zu sein.