Liebes Kind, Übermorgen ist Dein 94. Geburtstag. Es ist dumm von mir, aber wahr, zuzugeben dass mich die stille Sorge betrübt dass ich Deinen Geburtstag vergesse. Ist das nicht dumm wo mein Vergessen belanglos wäre. Hab ich denn je Deinen Geburtstag gefeiert? Hab ich doch nie Deinen Geburtstag gefeiert, oder sollte ich schreiben dass ich jeden Tag Deinen Geburtstag feiere, jedoch, ohne Happy Birthday zu singen You couldn't make this up, so lauten Klemens Worte wenn einer von uns etwas Unerwartetes, etwas Unglaubliches erfährt. Was heute Abend fast jenseits meiner Vorstellungskraft ist, dass ich nicht in Belmont, nicht in Konnarock, nicht in Madaket sitze, sondern Mount Horeb, oder wie immer der Ort heißen mag, in Wisconsin im großen Wohnzimmer von dem Haus auf dem Grundstück dass Marion sich mit ihrer Busenfreundin Barbara teilte, auf den Wiesen wo Klemens heute Marions Asche verstreute und vergrub. Jetzt ist es abend, und Mischa, Marions einstiger Gemahl hat eine Scheibe mit dem jahrealten Schauspiel das Casablanca heißt in den Videospieler eingegeben, so dass sich nun schräg rechts von mir, ein Detektivdrama abwickelt. Erinnert mich an meine Kindheit und Grimms Märchen die uns Kindern von Hilde Ölmann vorgelesen wurden, wobei ich Kopfschmerzen vortäuschte - oder ob sie mich tatsächlich befielen hätte ich damals nicht zu entscheiden vermocht und lässt sich wohl heute nach 83 Jahren nicht mehr ermitteln. Heute würde ich zu meiner Entlastung vorbringen [plead] dass die Bilder, die Vorstellungen, die Gedanken welche durch diese Bilderschau ausgelöst werden, die Komposition der Gedichte auf die ich versuche mich einzustellen zu stören, wenn nicht gar unmöglich zu machen drohen. Aber meine Gastgeber, Marions Freundin Barbara, und Barbaras Mann Mischa tolerant und großzügig wie sie nun einmal sind, werden mir meine Abtrünnigkeit von ihrer Unterhaltung nicht übel nehmen. Klemens und ich sind heute Morgen pünktlich um fünf Minuten vor zehn, wie vorausbestimmt und vereinbart hier angekommen. Es ist ein landschaftlich zauberhaft schönes, gegenwärtig unbewirtschaftetes Bauerngut, mit einem eleganten peinlich sauberen Hause mit einem Wohnraum größer noch und höher als das Wohnzimmer in Konnarock mit jetzt dunklen Ausblick nach drei Richtungen wo bei Tage hohe Bäume und grüne Rasen in drei Richtungen erscheinen. Hier sitze ich nun in mitten meiner an den Bildschirm gefesselten Hausgenossen, dankbar das ich von den Worten des erkünstelten Schicksals das sich vor ihren Augen abspielt, kein einziges zu verstehen vermag. Es bedarf keiner Anstrengung meine Augen von den unliebsamen Darstellungen abgewendet zu halten, und das Thema des Gedichts das sie hervorrufen drängt sich mir unmittelbar auf. Casablanca1 Sie sitzen stumm im kühlen Abendwind der durch die schwarzen offnen Fenster weht, wo auf dem hellen Schirm in Bildern steht die Qual von Menschen die gemartert sind. Sie sind gefesselt von des Schicksals Tücken die nicht bekümmern was sie selbst genießen; sehen mitleidlos mit grausigem Entzücken wie Tränen von der Opfer Wangen fließen. Sie sind bestrebt das alles zu verdecken was selber sie erlebt, erlitten haben. Sie wollen sich und ihre Angst verstecken in des Familienkreises hohle Waben. Doch nicht gelingt's das Schicksal zu betrügen. Im Herz weint Wahrheit, auf dem Schirm stehn Lügen. Jetzt wo ich's noch einmal lese, frage ich mich ob ich die Zeile die nicht bekümmern was sie selbst genießen; umändern sollte in die nicht bekümmert was sie selbst genießen; aber vorerst, denke ich, sollte ich den Text lassen wie er ist.