Am 3. September 2018 Liebe Gertraud, lieber Bernd, Vielen Dank für den Brief bei Euerm Aufbruch nach Frankreich, besonders dass Ihr Euer Packen unterbracht um mir zu schreiben, wo Ihr zur Zeit so viel mehr Dringendes zu überlegen hattet. Wie Ihr wisst, ist mit meinen 88 Jahren, mein Reisen, abgesehen von dem Flug nach Wisconsin vor einem Monat, beschränkt auf Fahrten mit Klemens nach Nantucket zwecks der allzu langsamen Fertigstellung des Hauses dort. In Konnarock waren wir Anfang Juni, und haben bis heute keine Pläne für den nächsten Besuch. Besinne ich mich recht, so hab ich Euch berichtet, dass Jeane Walls ihr Haus in Konnarock verkauft hat und etwa 50 Km nach Abingdon gezogen ist, und dass unser Haus, wo Ihr uns seinerzeit besuchtet, nunmehr von einem sehr freundlich gesinnten, sich im Ruhestand befindenden CIA Polizisten mit berufsmäßiger Tüchtigkeit überwacht wird. Gesundheitlich geht es mir scheinbar verhältnismäßig gut. Da ich mein eigener Arzt bin, könnte es kaum anders sein. Denn nur arztlos, scheint mir, vermögen wir ruhig zu leben, und friedlich zu sterben. Meine verrosteten Hüftgelenke erschweren das Gehen, aber von zwei, oder auch nur einem Stock gestützt, komme ich hin wo ich will, wenn auch nur langsam, - und die Wendeltreppe auf die Ihr Euch besinnt, klettere ich zuversichtlich auf und ab. Außerdem bemerke ich zunehmende Schläfrigkeit, indem ich nach sogar neun Stunden festen Schlafs im Bett, während der Morgenstunden regelmäßig im Sitzen über dem Rechner einschlafe, - vielleicht ist's ein Maßstab wie langweilig ich mir selber bin. Nachmittags und abends bin ich dann völlig erwacht. Besinne mich wie Margaret jetzt vor drei Jahren von Tag zu Tag zunehmend schläfriger wurde mit kürzer und kürzer werdenden Bewusstseinsunterbrechungen, bis sie schließlich in den letzten drei Tagen überhaupt nicht mehr erwachte. Wer weiß was mir bevor steht. Mein 27 Jahre alter Enkel Nathaniel der seit dem 2. Januar dies große Haus mit mir teilte, ist ausgezogen um sich eine eigene Wohnung zu suchen, ohne dass es ihm möglich ist, die Ursache seiner Unzufriedenheit mit seinem Großvater auszusprechen. Meiner Beobachtung gemäß sind junge Menschen im allgemeinen vorm sehr hohen Alter geängstigt; denn sie möchten nicht daran erinnert werden dass auch sie eines Tages alt werden, die sie in ihrer Kindheit mit dem Tod nur als erleuchtete Kürbisschale und anderen Hallowe'en Possen vertraut geworden sind. Dabei ist mir meine Abgeschiedenheit angenehm und keineswegs bedrückend oder gar beängstigend. Ich bin dankbar für meine Einsamkeit. Mit meinen Versuchen zu schreiben fahre ich fort. Wie sinnvoll die Ergebnisse, wage ich nicht zu beurteilen, und ist vielleicht auch in Abwesenheit aller Leser, eine überflüssige Frage. Die Entscheidung über die Bedeutung dieses Briefes als Schreibübung liegt schließlich in Euerm Bereich als Zensur erteilende Lehrer. Ich wünsche Euch angenehme und ersprießliche Ferien. Euer Jochen