am 8. September 2018 Mein liebes gutes Kind, Es ist schon viertel nach 12. Ich bin spät, um 11 Uhr aufgestanden, habe noch nicht gefrühstückt, und mein Magen ist leer. Aber mein Morgengebet an Dich, das ich gestern infolge meiner Entdeckungen von Briefen an meine Schwester ausließ, lastet mir im Sinn, denn jeder Tag an dem ich Dir nicht gebeichtet habe, bleibt überwölkt. Gestern hatte ich einen Telephonanruf von Alex; er war mir sehr wohlgesinnt, hatte wenig zu sagen, so dass die Redenslast mir zufiel, und unser Gespräch endete, wie gewöhnlich, mit meinen Entschuldigungen für mein vieles Reden. Das Wunder und das Glück meines Redens mit Dir ist, dass ich der Notwendigkeit mich zu entschuldigen enthoben bin. Immer wieder in unseren Gesprächen erwähnt Alex sein Unbehagen, seinen Kummer mit der politischen Lage. Ich unterlasse meine Widersprüche um ihn nicht zu kränken. Nicht dass ich diese politische Lage als wünschenswert betrachte, wenn irgend erscheint sie mir bedrohlicher, abscheulicher noch als ihm, aber ich betrachte was ich von dem Geschehen verstehe als Ausdruck, als Offenbarung der Natur des Menschen. "Er nennt's Vernunft, und brauchts allein um tierischer als jedes Tier zu sein." Ich beanstande die Zeitungswahrheiten oder Unwahrheiten welche "das was geschieht" entstellt, verdeckt oder erfindet. Das Kernproblem der Ethik, der Antwort auf die Frage, Was muss ich tun, meine ich im Herdenwesen der Menschen zu finden, dass ein jeder von uns sich gedrungen, gedrängt, gezwungen fühlt zu handeln wie der nächste,... am 9. September 2018 Inzwischen ist ein weiterer Tag vergangen, vornehmlich mit dem Zusammenstellen meiner Briefe an Margrit. Nachdem ich dieses Morgengebet das nun schon um 13 Uhr statt findet beendet habe, werde ich noch weitere Briefe and Margrit, die ich gestern fand, zusammenstellen. Vorerst weitere Gedanken über Politik und Ethik. Dass die beiden so streng von einander unterschieden werden sollten, scheint mit bedenklich, und noch bedenklicher der Anspruch sie zu verschmelzen. Wahrscheinlich wiederhole ich mich, wenn ich auf die hebräische Überlieferung zurückgreife, dergemäß die Verbote von den Bäumen der Erkenntnis und des Lebens zu essen, von dem Einzelnen, will sagen von Gott an die einzelnen Menschen, Adam und Eva gerichtet waren, die als einzelne für ihren Verbruch aus Eden vertrieben wurden. Auch Kains Mord an Abel begangen war Einzeltat. Die Sintflut, aber das Ersaufen der ganzen Tierwelt ausgenommen der Zuchtpaare und Noah, samt Familie, war göttliche Rache an der verdorbenen Gesellschaft. Der Verrat Josephs von Seiten seiner Brüder war das erste Beispiel der Rache der Gesellschaft, nämlich der Brüder, am Menschen der als etwas besonderes galt. So war Joseph der Vorläufer von Jesus. Die Zerstörung, der Fall Josephs geschah durch das Weib das seine Verschmähung ihrer an ihm rächte; Josephs Auferstehung geschah auf Grund der Tatsache, dass als Traumdeuter etwas Besonderes war, und als solcher Vertrauensminister des Pharaoh wurde. Hinterher kam die Versklavung des jüdischen Volks. Ich hab's nirgends beschrieben gefunden, stelle mir die Judenverfolgung auf Seiten der Ägypter als vergleichbar mit der Judenverfolgung auf Seiten der Deutschen vor, dass in jedem Falle die Verfolger in und durch die Verfolgung ihre, der Verfolger Identität gewannen und behaupteten. Dann kam Moses und befreite das versklavte Volk nicht nur mit einem Aufstand gegen das Herrenvolk, sondern, mich nicht weniger beeindruckend mit der (Wieder)entdeckung eines inwendigen Gottes des Einzelnen, eines Gottes dessen Verallgemeinerung durch ein Namensverbot vorgebeugt wurde. Der Gott dessen Sein durch das Nennen seines Namens zerstört wird, ist ein innerer, ein Seelengott, und muss ein solcher bleiben. Von diesem verborgenen Gotte wurden dann die zehn heiligen Gebote nicht an das Volk gerichtet, sondern an mich und Dich als des Volkes Mitglieder. Danach geschah es dass wir Einzelne mit einander zum Volke verschmolzen, und das Volk war es, welches sein Wesen im Tanz um das goldene Kalb bestätigte. Betrachte bitte die vorstehende Beschreibung als eine Übung in der Sozialdialektik. Bedenke dabei: Socius ist nicht das Volk, sondern der einzelne Gefährte des Einzelnen. Besinne Dich wie ich seit langem behauptet habe es zieme dem Ethiker statt in Hinsicht auf vorgestellte Idealgefüge, seine Ethik auf das tatsächliche Betragen der Menschen abzurichten, mit Rücksicht auf den Drang und den Zwang welche das Herdenbewusstsein auf das Denken und Fühlen, auf das Urteil und auf das Handeln des Einzelnen ausüben. Es ist unsinnig eine Ethik auf die Annahme zu gründen, der einzelne Mensch handele stets nur aus eigenem Antrieb. Andererseits würde mit der Feststellung die Handlung des Einzelnen sei unverbrüchlich durch die Gesellschaft erzwungen, die Ethik aufgehoben. Eine weitere Betrachtung würde darauf hinweisen, dass die Widersprüche der verschiedenen politischen Parteien es sehr nahelegen, dass die Gesellschaft, die Herde in welcher der Einzelne sich gefangen befindet, keineswegs einheitlich ist, wie denn auch aus der Verschiedenheit politischer Parteien hervorgeht, und dass es die ethische, moralische Pflicht des Einzelnen ist jeweils das Bessere, das minder Schlechte zu wählen. Diese Forderung ergiebt sich dann als Saat oder als Wurzeln für weitere ausführliche Betrachtungen.