Auch der Antisemitismus bedarf verstanden zu werden, und besonders dieser, verstanden nicht als böses Handeln auf Seiten einzelner Verfolger sondern als Gesellschaftskrankheit. Man setzt die Vollkommenheit der Gesellschaft voraus, und übersieht dabei dass die Gesellschaft kein optimal funktionierender unverwundbarer Organismus ist, dem es unter allen Umständen gelingt, sich selber und seine Mitglieder zu schützen und unversehrt zu erhalten. Die Gesellschaft ist krankheitsanfällig, sie ist sogar sterblich. Ich betrachte esals meine Aufgabe diese Hinfälligkeit zu verstehen, ihr nach Vermögen vorzubeugen, und insofern sie sich als unvermeidbar ergibt, sie zu akzeptieren, hinzunehmen, und zu erdulden wie sie nun einmal ist. Der Antisemitismus ist eine besonders häufige Erscheinung der Fremdenfeindschaft. Er mag als geistige Allergie gedeutet werden. Es liegt im Wesen der Gesellschaften, dass sie sich gegeneinander abschotten und abschließen, um dann mit einander zu konkurrieren, wetteifern, streiten. Die Feindseligkeit gegen eine fremde Gesellschaft, wenngleich gefährlich scheint unter Umständen als etwas Natürliches. Jedocj, eine fremde Gesellschaft in der eigenen entdecken zu meinen, besagt eine Auflösung des Zusammenlebens. Außerdem ist es denkbar, dass zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft welcher er angehört, eine Spannung besteht welche durch den Fremdenhass irgendwie beschwichtigt oder behoben werden möchte.