am 31. Januar 2018 Liebe Gertraud, lieber Bernd, wieder einmal herzlichen Dank für Euern Brief, und unter seinem unmittelbaren Eindruck, eine umgehende Antwort von mir. Mein Gedächtnis lässt nach. Was ich heute Abend denke und fühle, wird wenn nicht morgen, dann übermorgen vergessen sein. Es tut mir leid Dich mit meiner Stimmung der Ergebenheit in mein hohes Alter in einem Maße das Dir die Antwort erschwerte, belästigt und belastet zu haben. In einem früheren Briefe erwähnte ich, dass ich meine Zufriedenheit mit meinem zugegeben beschränkten täglichen Leben als eine an Wahnsinn grenzende senile Euphorie betrachte, ein Gebrechen das ausnahmsweise statt Schmerz eine gedämpfte freudige Begeisterung stiftet. Hinzu kommt dass ich Euch bewusst die absonderlichen Verzweigungen meiner Gedanken und Gefühle, die ich als Begründung und Stützung meiner Gelassenheit betrachte, grundsätzlich verschwiegen habe. Ich befürchtete und befürchte Euch mit der verantwortungslosen Ungebundenheit meiner Mutmaßungen zu verstimmen wenn nicht gar zu verärgern. Seit mehreren Tagen beschäftigt mich neuerdings die Zusammenstellung eines dritten Vorworts zu der Schriftensammlung an meinem Netzort mit der Gelegenheit die Verwandlungen die mein Denken über meine vorgestellte Welt und über mich selber im Verlauf der Jahre erfahren haben, nachzuziehen. Das sind Überlegungen, mit denen ich Euch nicht behelligen darf. Die Tatsache dass mein Denken und Schreiben ausschließlich an mich selber gerichtet ist, erinnert daran, dass die Griechen denjenigen der sich nur mit eigenen Dingen befasst einen Idioten nannten. Der Geselligkeit, mit der Ihr Eure Freunde besucht und Eure Freundschaften feiert, zolle ich meine Bewunderung und hohe Achtung. Schließlich war es eben diese Liebe zum Menschlichen und zum Menschen welche Gertraud vor 25 Jahren, im Januar 1993, bewog, mich aufzusuchen und mit dem ursprünglichen Telefongespräch unsere Freundschaft zu stiften, ein Unternehmen zu dem ich meinerseits den Mut nicht hätte aufbringen können. So lange ich mich besinnen kann, hab ich mich vor veranstalteten Gesellschaften gescheut. Schon als Kind, stimmten Geburtstagsfeiern mich traurig. Hab' als junger Mensch keine Gesellschaften besucht, es sei denn dass man Konzerte, wie etwa die Bach Festspiele in Bethlehem Pennsylvania als solche betrachtet. Zu keinen der drei Universitätsfeste an denen mir Diplome verliehen wurden, hab ich mich eingefunden, und hab keine der sich im Verlauf von 72 Jahren regelmäßig wiederholenden Einladungen zu Treffen einstiger Mitstudenten angenommen. Diesen Bekenntnissen mögt Ihr entnehmen, wie und wovon Margaret mich gerettet hat. Und jetzt, jetzt entdecke ich mich vorbereitet für die Einsamkeit, bin dankbar für das gewesen Leben, beklage mich nicht, und sende Euch herzlich warme Grüße im kühlen regnerischen November. Euer Jochen