X-Account-Key: account1 X-UIDL: 11e8-e700-405b10e6-a119-002128053662 X-Mozilla-Status: 0000 X-Mozilla-Status2: 00000000 X-Mozilla-Keys: Status: U Return-Path: Received: from mx-thunderbolt.atl.sa.earthlink.net ([207.69.195.188]) by mdl-journey.atl.sa.earthlink.net (EarthLink SMTP Server) with SMTP id 1GmqIW3lR3Nl3700; Mon, 12 Nov 2018 23:54:50 -0500 (EST) Received: from elasmtp-galgo.atl.sa.earthlink.net ([209.86.89.61]) by mx-thunderbolt.atl.sa.earthlink.net (EarthLink SMTP Server) with ESMTP id 1GmqIWvK3Nl36Q1 for ; Mon, 12 Nov 2018 23:54:50 -0500 (EST) DKIM-Signature: v=1; a=rsa-sha256; c=relaxed/relaxed; d=earthlink.net; s=dk12062016; t=1542084890; bh=jNzG2oGXpgRYnIL47dtTo+yimEU8LhQS1G8S 2IUVEDs=; h=Received:Message-ID:Subject:From:To:Date:Content-Type: X-Mailer:Mime-Version:Content-Transfer-Encoding:X-ELNK-Trace: X-Originating-IP; b=CnL/Pi15/+BbxipZiK46N5k7JRGaKJ9YJKlNEX9kHQ2Ax/ xD08qRlTt1xXU8zq7HrE2R42pV4TnmQT4V/1jBV/8uy6GZ76kLa+MD6KIPSd7ruyzyo dvGx021sZ5UFuAiPt4Lk7WYCSYtY149cAvaE9iHjRq07eaObptninHZxUXOX9fV8pdB Pg4YjG6EGTG80AdapldxHuYUzJq+xN+6Re2oIlFdcMAKJsQl0XWluT9taEroAfNdgo7 qaus9DsjXgWdbtJfXCGUdXtYyELdAfsveiofLkeRFRCzKgnNpAqY3ysPTbwWdsmHjK5 qRNna1qxsMgFTv3PVY8gH93+ACKg== DomainKey-Signature: a=rsa-sha1; q=dns; c=nofws; s=dk12062016; d=earthlink.net; b=DYht8LVH6EoVu9CmOrWv0ODlTCX5W2yo1zZ9qllDrIfmYjZOhtSfcQ5YnTZmg9UNE5PMfr/zDx1D86Y8UrFaTDRpiNCnXPdvRPaYZZmaKtSy7+coFj3uYkem7hOKSGAAff3jAJaiVA6eda+q+XLUq85Qli3up8Jf58hZJggxGB+fO9lTR5LDhqCLKLS1jQ+3R/aFmZdPkseWADvGqhMv6eAc7u3fAPnhb6ygLVeNyoeoo9SCDYJ1fQv9r/Wqc9XZYYYzOA5wHKNISdNYObbetcN6V0rYUsyBfvWnSbFiqkqXwdPl9Oz+vyVGiuCSZS51D5suFhIagmt4tuyoG6gPKg==; h=Received:Message-ID:Subject:From:To:Date:Content-Type:X-Mailer:Mime-Version:Content-Transfer-Encoding:X-ELNK-Trace:X-Originating-IP; Received: from [96.252.35.196] (helo=madaket20) by elasmtp-galgo.atl.sa.earthlink.net with esmtpsa (TLSv1.2:ECDHE-RSA-AES256-GCM-SHA384:256) (Exim 4) (envelope-from ) id 1gMQit-0001Ex-Pe; Mon, 12 Nov 2018 23:54:49 -0500 Message-ID: <1542084886.4743.2.camel@earthlink.net> Subject: am 12. 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Denn ich glaube dass ich seit meinem letzten Schreiben an Sie wesentlich gealtert bin, jedenfalls insofern es scheint, dass mein Denken sich in einem Kreise dreht aus dem auch die lahmgewordenen Flügel der Sprache jedes stilistische Entkommen verweigern.  Daher dieser Brief an Sie, in dem ich hoffe, dass es meinem Denken alter Gewohnheit gemäß gelingt, sich zusammenzunehmen. Ich bin mir eindringlich bewusst dass es einen Zeitpunkt geben muss an dem mein Denken sich in Unsinn auflöst, und dass es mir selber unmöglich sein wird - oder war - ihn zu bestimmen.  Ihn festzustellen wäre Ihre Aufgabe. Falls Sie besagten Zeitpunkt schon in der Vergangenheit entdecken, bitte ich um Vergebung. Was mich kürzlich vergebens beschäftigte, war eine dritte Einleitung, ein drittes Vorwort, zu der Schriftensammlung die ich an meinem unbeachteten Netzort, im Geist des Größenwahnsinns, theoretisch der gesamten ans Internet angeschlossenen Bevölkerung zugänglich mache, die aber tatsächlich von keinem gelesen wird.  Diesen Netzort, im ursprünglichen Englisch, website, zuweilen irrtümlich als Netzseite oder misslautig als Netzplatz verdeutscht, hab ich an einen Rechner in der eigenen Wohnung verbunden, wo mir, außer dem vom Internetdienstanbieter zur Verfügung gestellten 80 Megabyte Speicherraum, ein praktisch unbeschränkt großes elektronisches Lager zur Verfügung steht. Da habe ich nicht nur meine Gedichte, Romane, Aufsätze und Briefe abgelegt, sondern zugleich bemerkenswürdige sowie banale Schriften meiner Familienmitglieder und Vorfahren, und bin im Begriff, so wie ich Zeit habe, die aufbewahrten Schriften meiner angeheirateten Familie hinzuzufügen. Muss mich nun fragen, was soll das, was bedeutet das, wer soll denn, wer wird denn, das alles lesen? Und wenn es von keinem sonst gelesen wird, und wenn ich selber keine Zeit aufbringe es zu lesen, welchen Sinn hat es wenn auch nur für mich das viele Geschriebene wie in einem Privatmuseum zu bewahren und auszustellen?  Ich sehe in dem Netzort ein Mosaik dessen zusammengefügte Teilchen mir in die Augen fallen wie ein Bild des Lebens meiner Familie und meiner selbst, möglicherweise das zuverlässigste, getreueste und treffendste das mir zugängig ist, unterschiedlich von anderen Bildern die den Erinnerungen oder den Phantasien der Erzähler, einbeschlossen meiner eigenen, entspringen. Treffender aber noch denn als Bild, möchte der Netzort als Vorlage, als Modell, des geistigen Lebens dienen, ins Besondere, weil er aus Schriftstücken besteht in denen einst die Erleben der verschiedenen Schreibenden niederschlug, die seitdem und hinfort eine fortwährende Aufforderung zum Lesen darstellen,und die nun mittels des Lesens geeignet sind neues Erleben zu erwecken, ein neues Erleben das vielleicht mit dem einstigen Erleben dem es mittelbar entsprang, durch das es in entlegenen Zeiten gestiftet oder gegründet wurde, zu vergleichen oder mindestens zu eichen ist. Wohlbemerkt: aus unseren Erleben bestehen unsere Leben, und aus nichts anderem.   In diesem Zusammengang meine ich zu erkennen: a) ein Gegenüber zwischen dem Sprechen und dem Gesprochenen, b) ein Gegenüber zwischen dem Schreiben und dem Geschriebenen.  Wiederum meine ich zu erkennen: c) ein Gegenüber zwischen dem Gesprochenen und dem Hören, d) ein Gegenüber zwischen dem Geschriebenen und dem Lesen.  Entsprechend der Gegenüberstellung von Erzeugen, sei es mündlich oder schriftlich, (Sprechen oder Schreiben,) mit dessen Erzeugnissen, (Sprache oder Schrift); entsprechend der Gegenüberstellung der Erzeugnisse, Sprache oder Schrift, mit deren Empfangen, sei es optisch oder akustisch, (lesen oder hören); entsprechend diesen Gegenüberstellungen, erscheinen auch die Gegenüber von Subjekt und Objekt, von Innen und Außen, von Innerlich und Öffentlich, und erweiternd, vom Einzelnen und der Gesellschaft. Mit der Dynamik welche aus des Menschen Beziehung zum geschrieben befestigten unveränderlichen Wort entspringt, weist jede Schrift, jedes Buch, und so auch mein Netzort einerseits auf das Wesen des Geistes, auf das Denken und Fühlen, auf das subjektive Erleben des Menschen, und andererseits auf die Welt der vermeintlich verlässlichen Gegenstände, auf die objektive Welt wo der Mensch lebt.  Mehr weiß ich allerdings jetzt nicht darüber zu schreiben, es sei denn der Hinweis auf die unentrinnbare Dualität welche das Denkens heraufbeschwört. Ich glaube nicht dass ich die vielen ausschließlichen Gegensätze in welchen mein Denken niederschlägt als von Natur gegeben verstehen sollte.  Gibt es doch zwischen Ja und Nein ein Vielleicht, zwischen Tag und Nacht ein Morgengrauen und eine Abenddämmerung, zwischen Schlafen und Wachen, Träume und Schläfrigkeit, und zwischen Eins und Null eine unendlich große Anzahl von Teilungen.  Ich neige zu der Annahme dass die durchdringende Dualität (allgegenwärtige Zweiheit, pervasive duality) der Welt ein Ausdruck von Idealisierung ist, eine unseren Gemütern von Natur eingeimpfte Neigung der wir uns nur mit großen Mühen entledigen.  Die Dualität bewirkt Feststellung und Bestimmtheit, denn das ungeteilte Eine ist seinem Wesen gemäß grenzenlos.  Begrenzung teilt eins in zwei.  Die durch Begrenzung entstehende Dualität gewährleistet die Gegenständlichkeit des objektiv Gegebenen.  Mit dem Vorbehalt und der Mahnung und Bitte die Dualität von Subjektivität und Objektivität nicht als absolut, unbedingt und unantastbar zu betrachten, erlaube ich mir von der außerordentlichen Bedeutung zu berichten, welche ich dieser Unterscheidung beimesse.  Was der einzelne Mensch sieht, hört, denkt, fühlt, erinnert und erlebt, nenne ich subjektiv.  Hingegen, die wörtlichen und mathematischen Symbole mittels derer er sein Erleben zum Ausdruck bringt und es seinem Nebenmenschen, seinem "Nachbarn" mitteilt; dass Zusammenleben und Zusammenwirken der Menschen und die gemeinsame Welt die sie wahrnehmen und gestalten, und was sie sich gegenseitig in ihren Geistes- und Naturwissenschaften erzählen, dies Alles nenne ich objektiv.  So ist das Subjektive das Inwendige das ein einzelner Mensch als solcher erlebt; indessen das Objektive der Beschluss der Gesellschaft, der Menge, ist.  Der Einzelne, aber, ist nicht als Einzelner entstanden. Er, oder sie, war, ist und wird lebenslang von den Mitmenschen abhängig sein. Diese Zwiestellung des Menschen zwischen ich und wir, zwischen Individuum und Gesellschaft, möchte folgerichtiger oder irrtümlicher Weise Antworten auf die verschiedensten Fragen ergeben oder vertuschen. Vorerst einige theologische Erwägungen.  Der hebräischen Schöpfungslegende gemäß war es nicht eine Menschengesellschaft mit welcher Gott der Herr die Menschheit stiftete, sondern er schuf Adam und Eva als zwei einzelne Menschen.  Auch wurde keine Gesellschaft der Gottfürchtenden von der Sintflut gerettet, sondern lediglich Noah als Einzelner mitsamt seiner Familie.  Das entscheidende Ereignis dann, welche die Individualität des Menschen befestigte war das mosäische Verbot der Nennung des Gottesnamens, denn dieses Verbot bestätigte, dass ungeachtet eines Menschen Eingliederung in eine Gesellschaft, ungeachtet seiner Zugehörigkeit zu einem auserwählten Volk, die Gottesbeziehung keine gemeinschaftliche oder gesellschaftliche, und somit unvermeidlicherweise eine äußerliche war, sondern dass diese Gottesbeziehung das innere, inwendige Verhältnis des einzelnen Menschen zu seinem Gott bedeutet.  Der namenlose Gott vermochte nicht anders als inwendig zu sein.  Eine gemeinschaftliche äußere Beziehung hätte eines Namens bedurft.  Die Unvereinbarkeit dieser Bestimmung der Inwendigkeit des Heiligen mit den Erfordernissen einer religionsgebundenen Gesellschaft ergibt sich dann sofort aus der ungezügelten Gesetzgebung.  Schon die Zehn Gebote widerrufen die Unnennbarkeit Gottes - denn wie vermöchte ein Unnennbarer ein gültiges Gesetz erlassen ? - Triftiger noch betreffs der Widerrufung der inwendigen Unnennbarkeit des vermeintlichen Gesetzgebers sind die vielen vermeintlich vom Gott geforderten und bestätigten Regeln mit deren Vollziehung sich die Priesterschaft erhielt. Ich bin in der Religionsgeschichte zu wenig bewandert um die Entwicklung des Widerspruchs zwischen der Unnennbarkeit des Gottes und die von ihm in seinem unnennbaren Namen erlassenen Gesetze über den Verlauf der Jahrhundete - oder waren es Jahrtausende - nachzuziehen. Werde dann aber beim Lesen des 53. Jesaja Kapitels dieses Widerspruchs neu und dringlich gewahr. Der allgemein Verachtete ist der Verbrecher, von der Gesellschaft verachtet, weil er die Gesetze übertreten hat, und ausgerechnet von diesem Verachteten ist es dass der Prophet behauptet der Verachtete sei der Bote des unnennbaren Gottes.  Eine mehr bündige Widerrufung der gesetzesbedingten Vergesellschaftung Gottes ließe sich kaum vorstellen.   Die Leidensgeschichte Jesu, ins Besondere durch die Vertonungen und Dramatisierungen in Bachs Matthäus- und Johannespassion, hat zeitlebens auf meine Eltern und von ihnen beeinflusst auch auf mich einen nachhaltigen Eindruck gemacht.  Heute wage ich die Vermutung, die Überzeugungsmacht dieser Legenden und somit des religiösen Glaubens dessen Gipfel sie darstellen, entsprießt der Urgültigkeit der Beschreibung des Widerspruchs zwischen der weltlichen Gesellschaft und dem heiligen Ich die sie veranschaulichen.  Ich bin überzeugt dass es für die Konflikte zwischen der unbedingten Notwendigkeit ein Einzelner zu sein und des Einzelnen unbedingter Abhängigkeit von der Gesellschaft die ihn hervorgebracht hat und die ihn erhält, möglicherweise Linderung aber niemals eine Lösung, nie eine Erlösung, gibt.  Die Leidensgeschichte Jesu ist im Grunde, allenfalls potenziell, die Leidensgeschichte eines jeden Menschen, eines jeden von uns.  Dass auch ein Gott sie erfahren und überwunden haben soll, ist meinem Verständnis gemäß der Trost der den "Glauben" des "wahren" Christen unverbrüchlich bestätigt. Die Handlungsweisen der Menschen aber sind Ausdruck einer Herdenethik.  Wenn die christliche Theologie die sogenannte Nachfolge Christi vorschreibt, so führt diese Vorschrift zu dem Widerspruch, dass das Leben Christi eine gesellschaftliche Unmöglichkeit war, deren Nachfolge zum Auslöschen des irdischen Lebens des Nachfolgers führen muss. Bedeutsam in diesem Zusammenhang erscheint auch Luthers Verlass, als Schlüssel zur Seligkeit, auf den inwendigen Glauben anstatt auf die äußeren Werke. Es möchte scheinen, oder man könnte behaupten, dass die Verschmelzung des Innen mit dem Außen in Kants Lehre eines den universellen Gesetzen unterworfenen Kategorischen Imperativs einen Gipfel der Realitätsleugnung erreicht; das tut auch in anderer Hinsicht, Kierkegaards Behauptung die Subjektivität sei die Wahrheit. Die Grenzen der Ethik Kierkegaards werden schließlich offenbar in der Widersprüchlichkeit des Kirchenstreits mit welchem Kierkegaard sein geistiges Leben beendete; denn wo das Leben ein inwendiges ist, was kommt es darauf an, ob ein verstorbener Kirchenfürst als wahrer Martyrer gepriesen wird oder nicht? Es will mir nicht gelingen mit den geläufigen Erklärungen was wir Menschen tatsächlich tun, und was wir tun sollten, zurande zu kommen. Denn wir alle verlassen uns ohne Ausnahme auf die Voraussetzungen, 1) dass meine Worte hinlänglich zu beschreiben vermögen was ich tatsächlich tue, 2) dass ich fähig bin mit meinen Worten oder anderweitig zu bestimmen was ich tun werde.  B.F. Skinner hat darauf hingewiesen, dass meine Handlungen zum großen Teil durch die Umstände unter denen ich handle bestimmt sind, ohne so viel ich weiß, andere unbewusste Einflüsse auf meine Handlungen und ins Besondere den Zwang der Gesellschaft in Rechenschaft zu ziehen. Wenn ich meine eigene Erfahrung überlege, ins Besondere wie ich mich gezwungen fühle die Worte die ich spreche und die ich niederschreibe mit allgemeinen gesellschaftlichen Richtmaßen zu vereinbaren, wenn ich bedenke wie ich beruflich und anderweitig mich gedrängt und gezwungen fühle, so zu handeln wie es von mir erwartet wird; besonders aber wenn ich die stetig an Stärke und Ausmaß wachsenden Beamtenschaften des Landes bedenke, besonders die Polizei, und vor allem die Armee, wenn ich überlege wie grundsätzlich der Soldat sich mit der fast völligen Einschränkung seiner Urteilsfreiheit abfinden muss, dann schwindet mir jegliches Verständnis für jede Ethik von der ich gehört oder gelesen habe.  Ich komme zu dem Beschluss, dass wir Menschen im Grunde - oder am Ende - Herdentiere sind deren Betragen bestimmt wird durch das was die anderen tun, was von den Gesetzen und durch die Befehle der "vorgesetzten" Beamten von jedem Einzigen von uns erwartet wird. Unter diesen Umständen wäre die einzig wirksame Handlung die politische, der Versuch die Richtung in welche die Herde sich bewegt, die Richtung des Ansturms der Herde zu beeinflussen. Nur insofern vermöchte ich mir meine Handlung als sinnvoll vorzustellen. Inwiefern sind wissenschaftliche Erkenntnisse als mehr denn Fragmente eines mitteilbaren Gruppenwissens zu deuten?  Der entscheidende Einfluss der Handlung der Herde auf die Handlung des Einzelnen weist auf die verwandte, naheliegende Frage, ob die Herde eine ähnliche Einwirkung auf das Wissen des Einzelnen ausübt, ob in den Bereichen des Wissens ein vergleichbarer Vorrang der Herde herrscht, ob das Wissen des Einzelnen mehr ist als ein Teil des gesamten Wissens der Vielen, der Gesellschaft, der Herde.  Inwiefern ist das Wissen des Einzelnen ein Erzeugnis seines eigenen Erlebens, seines eigenen Geistes zu verstehen? Inwiefern ist dies Wissen des Einzelnen ein wenn auch fragmentarisches Abbild des allgemeinen Gesellschaftswissen zu betrachten? Diese Fragen sind Schlüssel zu den großen alten Problemen um das Wissen. Diese Probleme sind unlöslich aber die ledige Frage erleuchtet sie dennoch, und erleichtert den Umgang mit ihren Folgen.  Kaum sind diese Fragen um das Herdenwissen und das Einzelwissen gestellt, so drängen sich, fast wie von selbst, und wie unzulänglich auch immer, die Antworten auf.  Es scheint mir unverkennbar, dass das allgemeine objektive Wissen wirkungsvoll und wirkend wird (nur) indem es vom Einzelnen empfangen und angenommen wird.  Dass heißt, insofern das Gemüt des Einzelnen von diesem Wissen affiziert und verwandelt wird. Das ist eine allgemeine (generelle) Feststellung die keineswegs etwas über die Qualität oder Auswirkung der Auf- und Annahme des Wissens besagt, sondern lediglich den Vorgang der Anpassung des einzelnen Gemüts an das vormals unbekannte und fremde Wissen andeutet. Diese Formel dient die Diskrepanz und Unvereinbarkeit des tatsächlich zeitlich und räumlich unbeschränkten Wissens der gesamten Gesellschaft mit den so offenbar begrenzten Fähigkeiten und Kapazitäten des Einzelen im Hier und Jetzt zu versöhnen. Die Anerkennung des Missverhältnisses des inwendigen, subjektiven Wissens mit dem grenzenlosen Allgemeinwissen der Gesellschaft jedoch ist Vorbedingung für epistemologische Klarheit. Die Grenzen des wirksamen Wissens mögen nun folgender Maßen bezeichnet werden.  Sie bestehen i) in der zugegeben uneinschätzbaren Substanz des allgemeinen Wissens, ii) in der unverkennbaren Schwäche und Hinfälligkeit des einzelnen, empfangenden Gemüts, iii) in dem Vorhandensein und in den Beschränkungen der symbolischen Mitteilung, sei sie Sprache oder Mathematik. Diese Erwägungen möchten als Andeutung der Wissensdynamik im Rahmen von Vergesellschaftung des einzelnen und Vereinzelung des gemeinsamen Wissens gelten. Und zuletzt erscheint auch die Wirklichkeitsvorstellung als ein Gesellschaftsphänomen. Aus all dem Vorhergehenden ergibt sich der Begriff eines Weltbildes, oder genauer, aus all dem Vorhergehenden ergeben sich eine unaufzählbare und unübersichtliche Menge von hypothetischen Weltbildern welche das Denken des einzelnen Menschen von Augenblick zu Augenblick bestimmt, und sein Handeln ausdrücklich oder inbegriffen kontrolliert. Diese Vorstellung erinnert an Leibnizens prästabilierte Harmonie. Abwesend jedoch ist die Vorstellung jegliches, oder auch nur ein einziges, Weltbild deute auf eine zum Guten oder gar zum Besten gerichtete Ordnung. Vielmehr ergibt sich das Bild, die Vorstellung einer Welt von unberechenbarer Komplexität die sich weder ästhetisch, noch ethisch noch epistemologisch richten lässt. Bleibt nach diesen viel zu vielen Worten noch ein Rest mit dem ich Ihnen und Ihrer Frau meine herzlichen Novembergrüße senden darf? Jochen Meyer