Lieber Herr Nielsen, der längst verbrauchte Ausdruck, Vielen Dank, ist ungenügend die von Ihrem Brief ausgelösten Gedanken und Gefühle zu vermitteln. Es soll ausdrücklich gesagt sein, ohne die Richtung an Sie, wäre der Inhalt des Briefes nicht zustande gekommen, hätte ich mein Denken nicht niederzuschreiben vermocht. Damit soll nichts über Wert oder Unwert meiner Klügeleien behauptet sein. Vorgestern Abend hörte ich eine Schallplattenaufführung der Schönen Müllerin, (Fischer-Dieskau mit Jörg Demus, 1968)und lasse nun Wilhelm Müller Ihre Feststellung: "Das Denken - und damit Sprache - begleitet alle meine Vorstellungen." beantworten: Die schöne Müllerin - Pause (12) Meine Laute hab ich gehängt an die Wand, Hab sie umschlungen mit einem grünen Band - Ich kann nicht mehr singen, mein Herz ist zu voll, Weiß nicht, wie ich's in Reime zwingen soll. Meiner Sehnsucht allerheißesten Schmerz Durft ich aushauchen in Liederscherz, Und wie ich klagte so süß und fein, Glaubt ich doch, mein Leiden wär nicht klein. Ei, wie groß ist wohl meines Glückes Last, Daß kein Klang auf Erden es in sich faßt? Nun, liebe Laute, ruh an dem Nagel hier! Und weht ein Lüftchen über die Saiten dir, Und streift eine Biene mit ihren Flügeln dich, Da wird mir so bange, und es durchschauert mich. Warum ließ ich das Band auch hängen so lang? Oft fliegt's um die Saiten mit seufzendem Klang. Ist es der Nachklang meiner Liebespein? Soll es das Vorspiel neuer Lieder sein? Bitte vergessen Sie nie beim Lesen dieses, und all meiner Briefe, dass ich ein Jünger Till Eulenspiegels bin. Mein Vorbild (role model) ist Felix Krull. Mein Denken ist schier Possenreißen. Wenn ich nun so ehrlich wie es mir gegebenenfalls möglich ist, frage ob vielleicht mein Denken seniler Unsinn ist, und ob es vielleicht auch vormals jugendlicher Unsinn war, so sind diese Fragen Brücken zum Zweifel am Denken überhaupt. Denn wer wagte zwischen sinnigen und unsinnigen, zwischen vernünftigen und unvernünftigen Gedanken zu unterscheiden, es sei denn ein Felix Krull der im Vertrauen bekennt, dass er nicht einmal den Versuch anstellt die Gedanken die er anhimmelt oder die Gedanken die er verpönt, zu verstehen. In meinem Eulenspiegel Kostüm, mit sämtlichen Schellen und Zipfeln, wagte ich den Vorschlag man möchte Aristoteles, dessen Gedanken den europäischen Geist mehr als tausend Jahre lang beherrschten, als ein erwachsenes Kind betrachten, das die Gewohnheit mit Worten zu spielen und mit ihnen Luftschlösser zu bauen, nicht zu überwinden vermochte. Ich bitte Sie mich, meines Namens ungeachtet, nicht ernst zu nehmen. Ich freue mich auf die Vorstellung Sie und Ihre Frau nebenan zu wissen, und sende Ihnen beiden Herzliche Grüße! Jochen Meyer