On 11/26/2018 11:22 AM, Cristina Basili wrote: Lieber Jochen, Zu allererst: Wie geht es dir? Zweitens möchte ich dir ganz herzlich für deine Gastfreundschaft im Juni danken. Es hat mich sehr gefreut dich zu sehen. Ich weiß nicht ob ich das schon einmal erwähnte, aber ich stehe der Geldkultur sehr skeptisch gegenüber und ich konnte Jahre lang nicht ganz verstehen wieso, da dieses Skeptische mehr ein Gefühl war als eine Überlegung. Unlängst spielte ich einem Cellisten vor, der fast zwanzig Jahre Cellist des Wiener Klaviertrios war und aufgrund einer komplett unkollegialen und meiner Meinung nach unmenschlichen Entscheidung seiner Kollegen, die er seine Freunde nannte, von einem erfolgreicheren Cellisten mit besserem Management ersetzt wurde. Da das Trio alles war was er im Leben tat und hatte, unterrichtet er jetzt aus finanziellen Gründen nehme ich an an der Musikschule meiner Mutter und wird da, da er kein Pädagogikdiplom hat, sehr schlecht bezahlt. Ich wollte zu einem Probespiel in Deutschland gehen und bat ihn mich einmal anzuhören und er sagte mir einpaar sehr hilfreiche Sachen, somit fragte ich ihn, ob ich ihm nicht die folgende Woche noch einmal vorspielen dürfte. Ich vergaß zu fragen, ob ich etwas schuldig sei und zwei Tage später bekam ich von ihm eine Nachricht am Mobiltelefon dass er leider aus finanziellen Gründen für weiter Unterrichte 100€ verlangen muss. Grundsätzlich und objektiv gesehen macht das ganz klar Sinn, auch wenn ich ihn als Kollegen sehe, hat er mehr Erfahrung als ich und sollte auf jeden Fall für seine Arbeit bezahlt werden. Nun leider akzeptiert das zwar mein Verstand aber ich nicht. Ich verfiel nachdem ich diese Nachricht las in eine Art Depression. Ich nahm das Cello in die Hand, spielte einen Ton und brach gleich in Tränen aus, fühlte mich leer, minderwertig und schlecht. Ich wunderte mich wieso und ob dies mein Ego ist, dass mich so fühlen lässt. Es waren nicht die 100€, an denen es mangelte, ich hätte auch 200 zahlen können, darum ging es nicht. Ich konnte mir einfach nicht erklären wieso mich dies so zerstörte, ich konnte die nächsten Tage lang nicht üben und war voller Selbstzweifel, die ich ja ohnehin schon habe, nur waren sie noch schlimmer, nur wegen dieser einen eigentlich sehr nett formulierten Nachricht dieses Cellisten, in der er mich um Geld bat für seinen Unterricht. Ich musste den Unterricht schlussendlich absagen, gab ihm 100 Euro, die ich ihm vom letzten Mal schuldete und sagte ihm, ich hätte Schmerzen am Arm. Dadurch fühlte ich mich aber nicht besser. In einem Interview beschreibt Hannah Arendt,( deren Äußerungen du ja vielleicht nicht allzu schätzt, da sie ganz an Kant geschult ist und es ja eigentlich keinen Sinn macht, dass sie als eine der erfolgreichsten DenkerInnen gilt und du nicht), ganz am Schluss das Wagnis des Handelns im öffentlichen Raum. Man exponiert sich in der Öffentlichkeit und zwar als Person. Man wisse nie, wenn man entscheidet zu handeln (oder zu sprechen, in meinem Falle Musik zu spielen), was daraus wird, sagt sie. Dies Wagnis ist nur möglich im Vertrauen auf die Menschen, das heißt in irgendeinem - schwer zu fassenden-grundsätzlichen Vertrauen in das Menschliche aller Menschen, anders könnte man nicht. Nun durch diesen Satz, den Arendt aussprach, wird mir einiges klar. In unserer Kultur, nicht nur in der heutigen, aber mir scheint es heute extremer zu sein als je zuvor - ich mag mich aber täuschen, schließlich habe ich früher nicht gelebt-wird man bezahlt wenn man handelt. Oft ist es sogar nicht so wichtig was man tut, sondern dass man es tut. Mit der Bezahlung aber wird jedes Vertrauen gestört, denn der einzige Weg um zu Handeln und dieses Handeln als wahr zu bezeichnen ist das Vertrauen in die Menschen und wenn man dann dafür Geld verlangt, dann hat das Handeln mehr mit dem Geld als mit dem Vertrauen zu tun. Stell dir vor, man hat Suizidgedanken und man geht zum Psychotherapeuten, weil man nicht weiß wo man sonst hingehen soll und er verlangt Geld von dir. Er muss doch nicht einmal handeln oder sprechen, er muss nur zuhören und er verlangt Geld. Das macht für mich keinen Sinn in so einer Gesellschaft zu leben. Und es macht deshalb keinen Sinn weil ich jung bin und mir das neu ist und weil ich die menschliche Gesellschaft und wie sie funktioniert noch nicht verstehe oder besser gesagt noch nicht akzeptiert habe. Es kommt mit der Zeit, dass man versteht und akzeptiert, dass die Menschen nicht viel aus purer Liebe tun (außer sie heißen Mutter). Wieso nicht? Weil sie verstanden und akzeptiert haben, dass man eben nicht viel aus Liebe tut. Das Geld ist eine sehr seltsame Sache mit der ich mich bis jetzt nie wirklich auseinandersetzte, weil meine Familie keine finanziellen Probleme hat und somit das Geld nicht wirklich eine große Rolle spielt, weil wir weder zu wenig noch zuviel davon haben. Aber mir scheint dass die Menschen nicht ganz wissen, wie sie mit Geld umgehen sollten, welchen Wert sie dem Geld geben sollten. Es geht da ganz klar um Unwissenheit und Unwissenheit führt oft zu Missverständnissen. Das Verhältnis zwischen mir und dem oben genannten Cellisten ist dem zwischen der europäischen Nationalbank und dem griechischen Staat doch nicht so verschieden. Ich habe zwar keine Ahnung von Wirtschaft, aber ich sehe da nicht so einen großen Unterschied. Es ist das Vertrauen zwischen den Menschen, das geschwächt wird durch den Umgang mit Geld. In den USA scheint das Problem fast nicht mehr zu existieren, weil man die Geldkultur zu fast hundert Prozent akzeptiert hat. Sie ist eine ungerechte Kultur, aber sie ist akzeptiert und dadurch funktioniert sie irgendwie. Wenn man arbeitet, verdient man Geld. Man handelt für Geld, nicht aus Liebe oder Vertrauen. Wenn man arbeitslos ist und nicht arbeitet ist man oft auch obdachlos. Was mir besonders aufgefallen ist als ein Unterschied zwischen Europa und den USA war, dass Obdachlose in Los Angeles meist keine Bettler sind. Sie sind entweder Psychopathen oder Gesunde, die nicht arbeiten und auf der Straße wohnen, aber sie betteln selten. (Das große Problem der Obdachlosen in den USA finde ich ist, dass sie meist ungebildet sind, weil die Bildung in den USA sehr teuer ist und nicht für jeden zugänglich und Ungebildetheit führt zu Kriminalität. Die Wahrscheinlichkeit erschlagen und ausgeraubt zu werden schien mir größer zu sein als angebettelt zu werden.) Hingegen in Europa betteln die Menschen ständig auf den Straßen um Geld, weil sie noch an das Mitleid glauben und wie du ja meinst gibt es zwischen Mitleid und Liebe keinen großen Unterschied. In Europa gibt es tief in uns noch etwas, das uns an die Urgesellschaft, in der es kein Geld und kein Privateigentum gab, glauben lässt. An eine Gesellschaft, in der die Beziehungen zwischen den Menschen aus purem menschlichen Vertrauen aufgebaut waren. Eine Gesellschaft, nach der wir uns sehnen, die es nicht gibt und doch existiert sie. Nach dem Satz von Hannah Arendt, der besagt, dass das Handeln in der Öffentlichkeit ein Wagnis ist, das nur durch Vertrauen an das Menschliche in allen Menschen möglich ist, bist du sehr feig und hast gar kein Vertrauen an die Menschen. Aber doch beschäftigt dich die Kunst und Musik und Literatur und Philosophie, die ja der Menschen Werk ist und auch der Dialog. Wie kommt das? Arendt spricht vom Vertrauen an das Menschliche ALLER Menschen. Glaubst du tatsächlich, dass der Dialog zwischen zwei Menschen genügt? Herzlichst, Deine Cristina ========================= am 28. November 2018 um 19 Uhr 47 Liebe Cristina, Deine Frage wie es mir geht ist für mich ein problematisches, nicht ungefährliches Thema. Davon später, vielleicht sogar in einem gesonderten Schreiben. Indem ich Deinen kürzlichen Brief ein weiteres Mal überlese werde ich mir der Unvollständigkeit meiner Antwort bewusst. Ich möchte sie ergänzen. Das bedarf diesen weiteren Brief, vielleicht mehrere. Ich empfinde wie sehr die unbefriedigenden Verhandlungen mit Deinem Cellisten Kollegen Dich geschmerzt haben. Das sind Umstände wo ich Gefahr laufe auch mit den best gemeinten Worten durch mangelndes Verständnis Deinem Kummer zuzufügen statt ihn zu lindern. Von Deinem Kollegen weiß ich lediglich was Du mir geschrieben hast, nicht einmal seinen Namen; und von Dir weiß ich weit weniger als nötig wäre auch nur den Versuch zu machen eine Dir hilfreiche Ansicht zu äußern, geschweige denn Dir Rat zu geben. Die einzige Bemerkung die ich mit einiger Zuversicht wage ist, dass die Geldforderung symbolisch ist für die Abwesenheit einer freundschaftlichen Beziehung wie Du sie Dir vorgestellt hattest, die der Kollege aber nicht gewillt war einzugehen. Im Spiele waren nicht nur die unmittelbaren Beziehungen zwischen Euch beiden, sondern i) des Kollegen Verhältnis zu seiner neuen Arbeitgeberin, Deiner Mutter, der es aus bürokratischen Gründen unmöglich ist ihn für seine Lehrtätigkeit gehöhrig zu bezahlen, und ii) die unvermeidliche künstlerische Konkurrenz zwischen Euch beiden, denn Du bittest ihn Dir zu einer größtmöglichen Virtuosität zu verhelfen die seine Errungenschaften in einen noch tieferen Schatten als den in dem sie sich gerade jetzt befinden versenken würden. Kein Wunder dass er Dich um Vergütung bittet. Ich erkläre mir Deine sachlich unbegründete Trauer als verdrängte Verzweiflung wegen das jedenfalls vorläufigen Ausbleiben der ersehnten beruflichen Anerkennung für welche Du, allenfalls zum Teil, die vielen schweren Jahre Arbeit überstanden hast. Bitte vergieb mir eine Erklärung die ich gewagt habe in der Hoffnung das sie Dir helfen möchte, ohne Dir weh zu tun. Dass Du das Geld als Kennzeichen, wenn nicht sogar als Ursache unersprießlicher Beziehungen zwischen uns Menschen bezichtigst, ist mir verständlich wenngleich nicht überzeugend. Von meinem Gesichtspunkt enthüllt das Geld sehr oft die Armut und Verworrenheit der Beziehungen zwischen uns Menschen, den Geiz, der Neid, die Unempfindlichkeit, die Verachtung, den Hass ... aber das diese vom Gelde verursacht wären, scheint mir eine übertriebene Behauptung. Das Bewusstsein (im Sinne von Agape) geliebt zu werden zu werden und das Bewusstsein (im Sinne von Agape) zu lieben, sind wohlige und tröstende Gefühle die ich vielleicht manchmal übertreibe weil sie mir angenehm und beruhogend sind, so wie ich früh morgens in meinem kalten ungeheizten Hause mir noch ein paar Minuten im warmen Bett die Decke über den Kopf ziehe. Aber dadurch dass ich mit ihr verstecken spiele wird die Kälte nicht vertrieben, ebensowenig wie die gegenseitigen Spannungen, Enttäuschungen und Verletzungen die meine Beziehungen zu meinen Familienmitgliedern, Freunden und Mitmenschen verschwinden weil ich versuche mich mit gefühlvollen Idealisierungen über sie hinweg zu täuschen. Statt das Geld zu beschimpfen möchte ich es verstehen. In meinen Regalen steht das Buch "Die Philosophie des Geldes" von Georg Simmel, das mich stark beeindruckte als ich es vor Jahren las. Worauf ich mich heute besinne, ist Simmels Hinweis, dass das Geld uns von persönlichen Dienstleistungen befreit, die wir anderweitig unseren Mitmenschen schuldig wären. Mich begeistert die Tatsache dass es mir dadurch dass ich ihn mit Geld abzubezahlen vermag erspart bleibt meine Schulden einem mir anderweitig gleichgültigen oder gar unliebsamen Menschen als sein Diener abzutragen. Mit Hannah Arendt und ihrer Arbeit bin auch ich mittels einem im Internet verfügbaren Gespräch einigermaßen bekannt geworden. Vielleicht ist's dasselbe Gespräch auf das Du in Deinem Brief Bezug nimmst. Damals vor etwa zwei Monaten, am 2. Oktober dieses Jahres berichtete ich (bitte, unterdrücke Dein Lachen) in einem meiner üblichen Briefe an meine geliebte, vor drei Jahren verstorbene Frau: "Gestern abend verbrachte ich etwas 1 1/4 Stunden mit Internet Anschauen und Zuhören eines Gesprächs von Günter Gaus mit Hannah Arendt, eine Frau aus Königsberg die von etwa 1950 bis zu ihrem Tode in Amerika wohnte. Sie spricht ein klares fließendes Deutsch, das ich dennoch, wegen meiner Schwerhörigkeit nicht völlig verstehen konnte. Verschiedenes aber hatte ich mitgekriegt. Was mich zunächst beeindruckt ist ihre Erklärung sie betrachte die Veröffentlichung ihrer Schriften, des leidenschaftlich Erlebten und Gedachten als Begleichung einer Schuld an die Öffentlichkeit, an eine Gesellschaft von der sie sich befremdet und entfremdet fühlt. Das ist eine mir sympathische Gesinnung die ich als Vorlage zu einem Rahmen für mein eigenes Betragen empfange. Veröffentlichung zu meinen Lebzeiten würde bedeuten ein Grapschen nach Ehre, nach Ruhm, nach Geld und oder Macht, und dies Streben würde nicht nur mit dem altruistischen Bedürfnis streiten, mich in die Gesellschaft die mich geschaffen hat aus Liebe und Dankbarkeit zu ergießen, sondern mehr noch, und ins Besondere, mit der Notwendigkeit das Inwendige, Subjektive, quasi Göttliche des Erlebens, das prinzipiell unmitteilbar ist, geheim zu halten. Nach meinem Tode, würden der Einwand der Ruhmessucht und der Einwand des Geheimnisverrats hinfällig, belanglos werden. Die vermeintliche Schuld der Veröffentlichung meiner Schriften aber vermöchte auch nach meinem Tode abgetragen zu werden. Mit dem Tod erlischt nur die Subjektivität, keineswegs aber der objektive historische Wert der Schriften. Was bleibt ist objektiv, mit des Objektiven beschränkter Gültigkeit." Mit dem, was Du von Hannah Arendt berichtest, stimme ich überein. Du schreibst: "In einem Interview beschreibt Hannah Arendt ... das Wagnis des Handelns im öffentlichen Raum. Man exponiert sich in der Öffentlichkeit und zwar als Person. Man wisse nie, wenn man entscheidet zu handeln (oder zu sprechen, in meinem Falle Musik zu spielen), was daraus wird, sagt sie. Dies Wagnis ist nur möglich im Vertrauen auf die Menschen, das heißt in irgendeinem - schwer zu fassenden-grundsätzlichen Vertrauen in das Menschliche aller Menschen, anders könnte man nicht." Diese Feststellung aber besagt keineswegs das dies Vertrauen in das Menschliche aller Menschen in der Erfahrung bestätigt werden muss. Ich vermag mir ein Leben vorzustellen, in dem dies Vertrauen durchweg enttäuscht wird. Ich betrachte die äußerste Enttäuschung des Vertrauens in die Menschlichkeit der Menschen als den Inbegriff der christlichen Religion. Dein Name ist nicht umsonst. 45 VNd von der sechsten stunde an / ward ein Finsternis vber das gantze Land bis zu der neunden stunde. 46 Vnd vmb die neunde stunde schrey Jhesus laut /vnd sprach / Eli / Eli / lama Asabthani? Das ist /Mein Gott / mein Gott / Warumb hastu mich verlassen? 47 Etliche aber die da stunden / da sie das höreten / sprachen sie / Der rüffet dem Elias. (Matthäus 27) Aus einer ganz anderen Perspektive als das Geld wofür Joseph von seinen Brüdern nach Ägypten verkauft wurde, und als die 30 Silberlinge für welche Jesus an die hohen Priester und Schriftgelehrten verraten wurde, lässt sich Geld als notwendiges Instrument der Vergesellschaftung betrachten. In meinen Regalen steht das Buch "Die Philosophie des Geldes" von Georg Simmel, das mich stark beeindruckte als ich es vor Jahren las. Heute erinnere ich nur den Hinweis, dass die Notwendigkeit gegenseitiger Dienstleistungen gegenseitige Gebundenheit unter den Menschen stiftet, und dass das Geld den Schuldner von der Leistung eines spezifischen Dienstes befreit und es ihm ermöglicht seine Obliegenheiten weniger demütigend und zermürbend mit allgemeiner Währung zu begleichen. Du schreibst ein Gespräch gehört zu haben wo Hannah Arendt ganz am Schluss das Wagnis des Handelns im öffentlichen Raum erläutert. "Man exponiert sich in der Öffentlichkeit und zwar als Person. Man wisse nie, wenn man entscheidet zu handeln (oder zu sprechen, in meinem Falle Musik zu spielen), was daraus wird, sagt sie. Dies Wagnis ist nur möglich im Vertrauen auf die Menschen, das heißt in irgendeinem - schwer zu fassenden-grundsätzlichen Vertrauen in das Menschliche aller Menschen, anders könnte man nicht." Wenn ich Hannah Arendts Ausführungen recht verstehe, so beziehen sie sich auf das Auftreten einer Künstlerin oder Schriftstellerin in einer Öffentlichkeit, wie zum Beispiel Du in einer Probe oder in einem Konzert; bei Hannah Arendt beziehen sich diese Ausführungen zum Beispiel auf einem Vortrag oder eine Vorlesung. Deine Verhandlungen aber mit Deinem geldfordernden Kollegen sind nicht öffentlich sondern privat, und die Tatsache dass Du Hannah Arendts Bedenken über das Auftreten in der Öffentlichkeit in diesem Zusammenhange zitierst, bekräftigt meine Vermutung über eine andere, unscheinbare Quelle Deines Kummers. Du zitierst Hannah Arendts Klage: Man exponiert sich in der Öffentlichkeit und zwar als Person. Sich in der Öffentlichkeit exponieren ist Pleonasmus, denn exponieren besagt veröffentlichen. Ein dunkler leerer Raum kann kein Theater sein. Im dunklen leeren Theater vermag man sich nicht zu exponieren. Sich als Person zu exponieren ist Widerspruch. Denn Person heißt Maske. Der maskierte Mensch exponiert sich indem er die Maske abreißt. Als Person trägt er eine Maske und vermag nicht sich zu exponieren. Im Konzertsaal, auf der Bühne bist auch Du Schauspielerin und trägst eine Maske. Die Maske schützt die Schauspielerin vor der Öffentlichkeit und von den existentiellen, seelischen Folgen des öffentlichen Auftritts. Du schreibst: "Nach dem Satz von Hannah Arendt, der besagt, dass das Handeln in der Öffentlichkeit ein Wagnis ist, das nur durch Vertrauen an das Menschliche in allen Menschen möglich ist, bist du sehr feig und hast gar kein Vertrauen an die Menschen. Aber doch beschäftigt dich die Kunst und Musik und Literatur und Philosophie, die ja der Menschen Werk ist und auch der Dialog. Wie kommt das? Arendt spricht vom Vertrauen an das Menschliche ALLER Menschen. Glaubst du tatsächlich, dass der Dialog zwischen zwei Menschen genügt?" Liebe Cristina, ich glaube Du verstehst mich falsch. Ich habe mich "exponiert" mit den 6 Bänden veröffentlichter Romane, mit meinem Netzort mit 227 Seiten Gedichten, mit 2 weiteren Romanbänden, und mit etwa 10 Bänden Briefwechsel, im Ganzen, etwa 19 Bücher. Was willst Du noch mehr? Das ist nicht nur genug; es ist zu viel. Es betrübt mich nicht, dass von dem was ich denke und schreibe, keiner etwas wissen will. Mit dem Beschluss, dass es nicht lesenswert ist habe ich mich längst zufrieden gestellt, so wie mit der Tatsache dass ich nur für mich selber schreibe, und dass auch letzten Endes vielleicht dieser Brief an mich selber ist. Mein Denken und Schreiben macht mir das Leben erträglich. ========================= am 26. November 2018 um 19 Uhr 49 Liebe Cristina, Du weißt, oder vielleicht weißt Du auch nicht, dass ich zwischen meinem sechsundzwanzigsten und zweiundreißigsten Jahr in dem kleinen Ort Damascus im Südwesten Virginias als Landarzt gewirkt habe. Manchmal hab ich meine Patienten in ihren bescheidenen kleinen Häusern besucht. Manchmal war ich verspätet. Dann sagten die Patienten oder die sie pflegenden Angehörigen zu mir: "We almost gave you out of coming." Du verstehst also wenn ich schreibe: "I almost gave you out of writing." Umso lebhafter meine Dankbarkeit, nun da Dein Brief erschienen ist, ein Brief der mich umso wertvoller dünkt als er sich jenseits höflicher Freundschaftsbezeugnisse an die Quellen Deiner Traurigkeit wagt. Umso gewissenhafter muss ich meine Antwort bedenken. Muss mich hüten, das Vertrauen das Du mir schenkst zu der Annahme zu missbrauchen dass ich die Problematik die Dich kränkt verstünde, geschweige denn dass ich Dir eine Lösung vorzuschreiben oder gar einen Ausweg anzudeuten vermöchte, etwa wie in Shakespeares Hamlet, Polonius sich anmaßte seinen Sohn Laertes zu belehren. Auch wäre es ungebührlich, mir zuzutrauen Dich zu unterweisen "was ich tun würde, wenn ich an Deiner Stelle wäre," denn ich bin ja nicht an Deiner Stelle, und finde es albern zu phantasieren, dass ich es sein könnte. Nein, das einzig mir Mögliche ist Dir von meinem Erleben zu berichten und zu beichten. Auf den selbstverständlichen Vorwurf mein Erzählen von mir selber sei ungebührlich egoistisch, habe ich keine Antwort. Über Hannah Arendt hatte ich natürlich oftmals gelesen, wurde dann Anfang letzten Monats von Klemens, meinem Sohn, auf ein bei Youtube verfügbares Gespräch mit ihr aufmerksam gemacht. So berichtete ich am 2. Oktober dieses Jahres in einem meiner üblichen Briefe an meine vor drei Jahren verstorbene Frau: "Gestern abend verbrachte ich etwas 1 1/4 Stunden mit Internet Anschauen und Zuhören eines Gesprächs von Günter Gaus mit Hannah Arendt, eine Frau aus Königsberg die von etwa 1950 bis zu ihrem Tode in Amerika wohnte. Sie spricht ein klares fließendes Deutsch, das ich dennoch, wegen meiner Schwerhörigkeit nicht völlig verstehen konnte. Verschiedenes aber hatte ich mitgekriegt. Was mich zunächst beeindruckt ist ihre Erklärung sie betrachte die Veröffentlichung ihrer Schriften, des leidenschaftlich Erlebten und Gedachten als Begleichung einer Schuld an die Öffentlichkeit, an eine Gesellschaft von der sie sich befremdet und entfremdet fühlt. Das ist eine mir sympathische Gesinnung die ich als Vorlage zu einem Rahmen für mein eigenes Betragen empfange. Veröffentlichung zu meinen Lebzeiten würde bedeuten ein Grapschen nach Ehre, nach Ruhm, nach Geld und oder Macht, und dies Streben würde nicht nur mit dem altruistischen Bedürfnis streiten, mich in die Gesellschaft die mich geschaffen hat aus Liebe und Dankbarkeit zu ergießen, sondern mehr noch, und ins Besondere, mit der Notwendigkeit das Inwendige, Subjektive, quasi Göttliche des Erlebens, das prinzipiell unmitteilbar ist, geheim zu halten. Nach meinem Tode, würden der Einwand der Ruhmessucht und der Einwand des Geheimnisverrats hinfällig, belanglos werden. Die vermeintliche Schuld der Veröffentlichung meiner Schriften aber vermöchte auch nach meinem Tode abgetragen zu werden. Mit dem Tod erlischt nur die Subjektivität, keineswegs aber der objektive historische Wert der Schriften. Was bleibt ist objektiv, mit des Objektiven beschränkter Gültigkeit." Mit dem, was Du von Hannah Arendt berichtest, stimme ich überein. Du schreibst: "In einem Interview beschreibt Hannah Arendt ... das Wagnis des Handelns im öffentlichen Raum. Man exponiert sich in der Öffentlichkeit und zwar als Person. Man wisse nie, wenn man entscheidet zu handeln (oder zu sprechen, in meinem Falle Musik zu spielen), was daraus wird, sagt sie. Dies Wagnis ist nur möglich im Vertrauen auf die Menschen, das heißt in irgendeinem - schwer zu fassenden-grundsätzlichen Vertrauen in das Menschliche aller Menschen, anders könnte man nicht." Diese Feststellung aber besagt keineswegs das dies Vertrauen in das Menschliche aller Menschen in der Erfahrung bestätigt werden muss. Ich vermag mir ein Leben vorzustellen, in dem dies Vertrauen durchweg enttäuscht wird. Ich betrachte die äußerste Enttäuschung des Vertrauens in die Menschlichkeit der Menschen als den Inbegriff der christlichen Religion. Dein Name ist nicht umsonst. [45] ¿¿¿ ¿¿ ¿¿¿¿¿ ¿¿¿¿ ¿¿¿¿¿¿ ¿¿¿¿¿¿¿ ¿¿¿ ¿¿¿¿¿ ¿¿¿ ¿¿¿ ¿¿¿ ¿¿¿¿ ¿¿¿¿¿¿. [46] ¿¿¿¿ ¿¿ ¿¿¿ ¿¿¿¿¿¿ ¿¿¿¿ ¿¿¿¿¿¿¿ ¿ ¿¿¿¿¿¿ ¿¿¿¿ ¿¿¿¿¿¿ ¿¿¿¿¿ ¿¿¿¿¿ ¿¿¿¿ ¿¿¿¿ ¿¿¿¿¿¿¿¿¿¿;¿ ¿¿¿¿¿ ¿¿¿¿¿ ¿¿¿¿ ¿¿¿ ¿¿¿ ¿¿¿, ¿¿¿ ¿¿ ¿¿ ¿¿¿¿¿¿¿¿¿¿¿;¿ [47] ¿¿¿¿¿ ¿¿ ¿¿¿ ¿¿¿¿ ¿¿¿¿¿¿¿¿¿ ¿¿¿¿¿¿¿¿¿¿ ¿¿¿¿¿¿ ¿¿¿ ¿¿¿¿¿¿ ¿¿¿¿¿ ¿¿¿¿¿. 45 VNd von der sechsten stunde an / ward ein Finsternis vber das gantze Land bis zu der neunden stunde. 46 Vnd vmb die neunde stunde schrey Jhesus laut /vnd sprach / Eli / Eli / lama Asabthani? Das ist /Mein Gott / mein Gott / Warumb hastu mich verlassen? 47 Etliche aber die da stunden / da sie das höreten / sprachen sie / Der rüffet dem Elias. (Matthäus 27) Aus einer ganz anderen Perspektive als das Geld wofür Joseph von seinen Brüdern nach Ägypten verkauft wurde, und als die 30 Silberlinge für welche Jesus an die hohen Priester und Schriftgelehrten verraten wurde, lässt sich Geld als notwendiges Instrument der Vergesellschaftung betrachten. In meinen Regalen steht das Buch "Die Philosophie des Geldes" von Georg Simmel, das mich stark beeindruckte als ich es vor Jahren las. Heute erinnere ich nur den Hinweis, dass die Notwendigkeit gegenseitiger Dienstleistungen gegenseitige Gebundenheit unter den Menschena stiftet, und dass das Geld den Schuldner von der Leistung eines spezifischen Dienstes befreit und es ihm ermöglicht seine Obliegenheiten weniger demütigend und zermürbend mit allgemeiner Währung zu begleichen. Bekanntlich ist Geld Quelle weder des Glückes noch der Seligkeit. Das Kamel vermag nicht sich durchs Nadelöhr zu zwingen. Und doch, ganz ohne Geld lässt es sich nur sehr beschwerlich leben. Ich besinne ich wie ich als Zwanzigjähriger zu meinem Entschluss Medizin studieren meine Vater sagte, ich beabsichtigte keineswegs ein reicher Arzt mit einem leeren Kopf zu werden. Mein Vater hat mir diesen Ausspruch übel genommen, denn er neigte zu Minderwertigkeitsgefühlen und fühlte eine Bezichtigung die mir nie in den Sinn gekommen war. Im Betrieb der Allgemeinpraxis die ich Dir erwähnte, hab ich minderbemittelte Patienten umsonst behandelt, hab den anderen drei Mal monatliche Rechnungen geschickt, hab danach die unbeglichenen Schulden erlassen und bin fortgefahren meine Patienten zu behandeln als ob sie mir nie etwas geschuldet hatten. Als ich im Januar 1962 von Damascus nach Belmont zog waren $25,000 unbezahlt geblieben, das sind bei heutiger Währung $200,000. Danach hat meine Praxis mich wegen der Großzügigkeit der Bundesversicherung (Medicare) wohlhabend gemacht. Ich schäme mich, wie wohl es mir ergangen ist.