c.basili@hotmail.com am 28. November 2018 um 19 Uhr 47 Liebe Cristina, Deine Frage wie es mir geht ist für mich ein problematisches Thema. Davon später, vielleicht sogar in einem gesonderten Schreiben. Indem ich Deinen kürzlichen Brief ein weiteres Mal überlese werde ich mir der Unvollständigkeit meiner Antwort bewusst. Ich möchte sie ergänzen. Das bedarf diesen weiteren Brief, vielleicht mehrere. Ich empfinde wie sehr die unbefriedigenden Verhandlungen mit Deinem Cellisten Kollegen Dich geschmerzt haben. Das sind Umstände wo ich Gefahr laufe auch mit den best gemeinten Worten durch mangelndes Verständnis Deinem Kummer zuzufügen statt ihn zu lindern. Von Deinem Kollegen weiß ich lediglich was Du mir geschrieben hast, nicht einmal seinen Namen; und von Dir weiß ich weit weniger als nötig wäre auch nur den Versuch zu machen eine Dir hilfreiche Ansicht zu äußern, geschweige denn Dir Rat zu geben. Die einzige Bemerkung die ich mit einiger Zuversicht wage ist, dass die Geldforderung symbolisch ist für die Abwesenheit einer freundschaftlichen Beziehung wie Du sie Dir vorgestellt hattest, die der Kollege aber nicht gewillt war einzugehen. Im Spiele waren nicht nur die unmittelbaren Beziehungen zwischen Euch beiden, sondern i) des Kollegen Verhältnis zu seiner neuen Arbeitgeberin, Deiner Mutter, der es aus bürokratischen Gründen unmöglich ist ihn für seine Lehrtätigkeit gehöhrig zu bezahlen, und ii) die unvermeidliche künstlerische Konkurrenz zwischen Euch beiden, denn Du bittest ihn Dir zu einer größtmöglichen Virtuosität zu verhelfen die seine eigenen Errungenschaften in einen noch tieferen Schatten als den in dem sie sich gerade jetzt befinden versenken würden. Kein Wunder dass er Dich um Vergütung bittet. Ich erkläre mir Deine sachlich unbegründete Trauer als verdrängte Verzweiflung wegen das jedenfalls vorläufigen Ausbleiben der ersehnten beruflichen Anerkennung für welche Du, allenfalls zum Teil, die vielen schweren Jahre Arbeit überstanden hast. Bitte vergieb mir eine Erklärung die ich gewagt habe in der Hoffnung das sie Dir helfen möchte, ohne Dir weh zu tun. Dass Du das Geld als Kennzeichen, wenn nicht sogar als Ursache unersprießlicher Beziehungen zwischen uns Menschen bezichtigst, ist mir verständlich wenngleich nicht überzeugend. Von meinem Gesichtspunkt enthüllt das Geld sehr oft die Armut und Verworrenheit der Beziehungen zwischen uns Menschen, den Geiz, den Neid, die Unempfindlichkeit, die Verachtung, den Hass ... aber dass diese Laster vom Gelde verursacht wären, scheint mir eine übertriebene Behauptung. Das Bewusstsein geliebt zu werden zu werden (im Sinne von Agape) und das Bewusstsein (im Sinne von Agape) zu lieben, sind wohlige und tröstende Gefühle die ich vielleicht manchmal übertreibe weil sie mir angenehm und beruhigend sind, so wie ich früh morgens in meinem kalten ungeheizten Hause mir noch ein paar Minuten im warmen Bett die Decke über den Kopf ziehe. Aber dadurch dass ich mit ihr verstecken spiele wird die Kälte nicht vertrieben, ebensowenig wie die gegenseitigen Spannungen, Enttäuschungen und Verletzungen die meine Beziehungen zu meinen Familienmitgliedern, Freunden und Mitmenschen verschwinden, weil ich versuche mich mit gefühlvollen Idealisierungen über sie hinweg zu täuschen. Statt das Geld zu beschimpfen möchte ich es verstehen. In meinen Regalen steht das Buch "Die Philosophie des Geldes" von Georg Simmel, das mich stark beeindruckte als ich es vor Jahren las. Worauf ich mich heute besinne, ist Simmels Hinweis, dass das Geld uns von persönlichen Dienstleistungen befreit, die wir anderweitig unseren Mitmenschen schuldig wären. Mich begeistert die Tatsache dass es mir dadurch dass ich ihn mit Geld abzubezahlen vermag erspart bleibt meine Schulden einem mir anderweitig gleichgültigen oder gar unliebsamen Menschen als sein Diener abzutragen. Mit Hannah Arendt und ihrer Arbeit bin auch ich mittels einem im Internet verfügbaren Gespräch mit einem Berichterstatter Günter Gaus einigermaßen bekannt geworden. Vielleicht ist's dasselbe Gespräch auf das Du in Deinem Brief Bezug nimmst. Damals, vor etwa zwei Monaten, am 2. Oktober dieses Jahres machte ich die Notiz: "Gestern abend verbrachte ich etwas 1 1/4 Stunden mit Internet Anschauen und Zuhören eines Gesprächs von Günter Gaus mit Hannah Arendt, eine Frau aus Königsberg die von etwa 1950 bis zu ihrem Tode in Amerika wohnte. Sie spricht ein klares fließendes Deutsch, das ich dennoch, wegen meiner Schwerhörigkeit nicht völlig verstehen konnte. Verschiedenes aber hatte ich mitgekriegt. Was mich zunächst beeindruckt ist ihre Erklärung sie betrachte die Veröffentlichung ihrer Schriften, des leidenschaftlich Erlebten und Gedachten als Begleichung einer Schuld an die Öffentlichkeit, an eine Gesellschaft von der sie sich befremdet und entfremdet fühlt. Das ist eine mir sympathische Gesinnung die ich als Vorlage zu einem Rahmen für mein eigenes Betragen empfange. Veröffentlichung zu meinen Lebzeiten würde bedeuten ein Grapschen nach Ehre, nach Ruhm, nach Geld und oder Macht, und dies Streben würde nicht nur mit dem altruistischen Bedürfnis streiten, mich in die Gesellschaft die mich geschaffen hat aus Liebe und Dankbarkeit zu ergießen, sondern mehr noch, und ins Besondere, mit der Notwendigkeit das Inwendige, Subjektive, quasi Göttliche des Erlebens, das prinzipiell unmitteilbar ist, geheim zu halten. Nach meinem Tode, würden der Einwand der Ruhmessucht und der Einwand des Geheimnisverrats hinfällig, belanglos werden. Die vermeintliche Schuld der Veröffentlichung meiner Schriften aber vermöchte auch nach meinem Tode abgetragen zu werden. Mit dem Tod erlischt nur die Subjektivität, keineswegs aber der objektive historische Wert der Schriften. Was bleibt ist objektiv, mit des Objektiven beschränkter Gültigkeit." Mit dem, was Du von Hannah Arendt berichtest, stimme ich überein. Du schreibst: "In einem Interview beschreibt Hannah Arendt ... das Wagnis des Handelns im öffentlichen Raum. Man exponiert sich in der Öffentlichkeit und zwar als Person. Man wisse nie, wenn man entscheidet zu handeln (oder zu sprechen, in meinem Falle Musik zu spielen), was daraus wird, sagt sie. Dies Wagnis ist nur möglich im Vertrauen auf die Menschen, das heißt in irgendeinem - schwer zu fassenden-grundsätzlichen Vertrauen in das Menschliche aller Menschen, anders könnte man nicht." Diese Feststellung aber besagt keineswegs das dies Vertrauen in das Menschliche aller Menschen in der Erfahrung bestätigt werden muss. Ich vermag mir ein Leben vorzustellen, in dem dies Vertrauen durchweg enttäuscht wird. Ich betrachte die äußerste Enttäuschung des Vertrauens in die Menschlichkeit der Menschen als den Inbegriff der christlichen Religion. Dein Name ist nicht umsonst. 45 VNd von der sechsten stunde an / ward ein Finsternis vber das gantze Land bis zu der neunden stunde. 46 Vnd vmb die neunde stunde schrey Jhesus laut /vnd sprach / Eli / Eli / lama Asabthani? Das ist /Mein Gott / mein Gott / Warumb hastu mich verlassen? 47 Etliche aber die da stunden / da sie das höreten / sprachen sie / Der rüffet dem Elias. (Matthäus 27) Aus einer ganz anderen Perspektive als das Geld wofür Joseph von seinen Brüdern nach Ägypten verkauft wurde, und als die 30 Silberlinge für welche Jesus an die hohen Priester und Schriftgelehrten verraten wurde, lässt sich Geld als notwendiges Instrument der Vergesellschaftung betrachten. Wie ich erwähnte, bin ich stark beeindruckt von dem Gedanken dass die Notwendigkeit gegenseitiger Dienstleistungen gegenseitige Gebundenheit unter den Menschen stiftet, und dass das Geld den Schuldner von der Leistung eines spezifischen Dienstes befreit und es ihm ermöglicht seine Obliegenheiten weniger demütigend und zermürbend mit allgemeiner Währung zu begleichen. Wenn ich Hannah Arendts Ausführungen recht verstehe, so beziehen sie sich auf das Auftreten einer Künstlerin oder Schriftstellerin in einer Öffentlichkeit, wie zum Beispiel Du in einer Probe oder in einem Konzert; bei Hannah Arendt beziehen sich diese Ausführungen zum Beispiel auf einem Vortrag oder eine Vorlesung. Deine Verhandlungen aber mit Deinem geldfordernden Kollegen sind nicht öffentlich sondern privat, und die Tatsache dass Du Hannah Arendts Bedenken über das Auftreten in der Öffentlichkeit in diesem Zusammenhange zitierst, bekräftigt meine Vermutung über eine andere, unscheinbare Quelle Deines Kummers. Du zitierst Hannah Arendts Klage: Man exponiert sich in der Öffentlichkeit und zwar als Person. Sich in der Öffentlichkeit exponieren ist Pleonasmus, denn exponieren besagt veröffentlichen. Ein dunkler leerer Raum kann kein Theater sein. Im dunklen leeren Theater vermag man sich nicht zu exponieren. Sich als Person zu exponieren ist Widerspruch. Denn Person heißt Maske. Der maskierte Mensch exponiert sich indem er die Maske abreißt. Als Person trägt er eine Maske und vermag nicht sich zu exponieren. Im Konzertsaal, auf der Bühne bist auch Du Schauspielerin und trägst eine Maske. Die Maske schützt die Schauspielerin vor der Öffentlichkeit und von den existentiellen, seelischen Folgen des öffentlichen Auftritts. Du schreibst: "Nach dem Satz von Hannah Arendt, der besagt, dass das Handeln in der Öffentlichkeit ein Wagnis ist, das nur durch Vertrauen an das Menschliche in allen Menschen möglich ist, bist du sehr feig und hast gar kein Vertrauen an die Menschen. Aber doch beschäftigt dich die Kunst und Musik und Literatur und Philosophie, die ja der Menschen Werk ist und auch der Dialog. Wie kommt das? Arendt spricht vom Vertrauen an das Menschliche ALLER Menschen. Glaubst du tatsächlich, dass der Dialog zwischen zwei Menschen genügt?" Liebe Cristina, ich glaube Du verstehst mich falsch. Hab ich mich nicht "exponiert" mit den 6 Bänden veröffentlichter Romane, mit meinem Netzort mit 227 Seiten Gedichten, mit 2 weiteren Romanbänden, und mit etwa 10 Bänden Tagebücher und Briefwechsel, im Ganzen, etwa 19 Büchern? Was willst Du noch mehr? Das ist nicht nur genug; es ist zu viel. Es betrübt mich nicht, dass von dem was ich denke und schreibe, keiner etwas wissen will. Mit dem Beschluss, dass ich und mein Denken objektiv wertlos sind habe ich mich längst zufrieden gestellt, so wie mit der Tatsache dass ich nur für mich selber schreibe, und dass auch letzten Endes vielleicht auch dieser Brief an mich selber gerichtet ist. Mein Denken und Schreiben macht mir das Leben erträglich. Grüße bitte Deine Eltern von mir. Dein Jochen